Julia Segantini

Volontärin bei Lensing Media, Essen

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Artikel

Vier LGBTIQ-Alben

Queerness hat seit jeher einen Platz in der Musik, besonders im Punkrock. Weil sich unsere Redakteurin Julia in dieser Ecke besonders wohlfühlt, müsst ihr verzeihen, dass sich die meisten der folgenden Alben in diesem Bereich bewegen - dafür aber stets als poppige, fast radiotaugliche Variante. Dass LGBTIQ-Themen musikalisch verarbeitet werden, ist allerdings kein neues Phänomen, wie der letzte Musiktipp in der Liste zeigt.


Pansy Division - That's So Gay, 2009

Subtilität ist keine Stärke von Pansy Division: Pansy bedeutet auf Englisch so viel wie „Schwuchtel". Die Lieblingsbeschäftigung des Quartetts aus San Francisco ist es, mit Klischees zu spielen und sie auf die Schippe zu nehmen. Das macht die Band auch gern bei Live-Auftritten klar: Bassist Chris Freeman hat eine Schwäche für paillettenbesetzte Oberteile, die er mal mit kurzen Hosen, mal mit kurzen Röcken kombiniert. Dazu singen sie Zeilen wie „Some of my best friends like to suck a little dick" mit so entwaffnend guter Laune, dass man nicht anders kann, als zu lächeln.

Vorsicht: Dieser sehr hartnäckige Ohrwurm zieht an der Supermarktkasse Blicke auf sich, wenn man versehentlich laut mitsingt. Tracks wie diese sind typische Pop-Punk-Nummern, die nicht unbedingt mit komplizierten Akkordfolgen auftrumpfen, sondern eher durch ihre Eingängigkeit und poppigen Hooks überzeugen. Pansy Division gelten als eine der wichtigsten Vertreter des Queercore, einem Subgenre des Punk. Bekannt wurde die Band vor allem als Vorband für Green Day bei deren ersten Arena Tour 1994.

Für Fans von: Green Day, Blink-182, NOFX

Pillow Queens - In Waiting, 2020

Hier reicht ein Blick auf die Tracklist, um festzustellen, dass man es mit einem Gay-Pride-Album zu tun hat. Queere Themen wie der Struggle zwischen Religion und Homosexualität ( Gay Girls) und das Leben als lesbisches Paar ( Handsome Wife) werden mit viel Feingefühl, Bedacht und sanften Tönen besungen. Diese Weichheit wirkt aber niemals beliebig oder lahm, sondern eher beruhigend und trifft einen manchmal mitten ins Herz. Über die Anlage oder mit Kopfhörern kommen die queer-feministischen Texte und schönen Nuancen der Instrumentalisierung am besten zur Geltung.

Pillow Queens machen es einem einfach, sich auf einer weichen Wolke mitnehmen zu lassen. Ab und zu gibt es dort leichte Turbulenzen, wenn sie die Handbremse etwas lösen und die Themen unbequemer werden. Pillow Queens wissen einen aber immer sicher, sanft und trotzdem bestimmt wieder herauszutreiben. Auch für Nicht-Queers schaffen es die Irinnen, ihre Erfahrungen sehr nachvollziehbar zu interpretieren.

Für Fans von: Dream Wife, frühe Green Day, Soak

Nervus - Tough Crowd, 2019

Obwohl Nervus schon mit Worriers und Anti-Flag tourten, sind die Vier aus Südengland in Deutschland noch nahezu unbekannt. Das Genre-Gemisch aus Indie, Alternative und Punk ist immer mitreißend und eingängig, vor allem durch die hymnenhaften Refrains, die zum Mitsingen animieren. Nervus leben von der Abwechslung zwischen Frauenund Männergesang und den Texten von Frontfrau Em Foster. Ihre Erfahrungen von Andersartigkeit und Gender-Dysphorie, die Em als Transfrau und Lucinda (Bass) als non-binary-Person erleben, wurden besonders auf dem Vorgänger-Album lyrisch verarbeitet, finden aber neben Umwelt-Themen auch auf Tough Crowd Platz.

Trotz der oft schweren Thematik, fehlt es Nervus nie an Fröhlichkeit und Leichtigkeit. Dort wo der Text sich durch Kompromisslosigkeit und scharfkantige Ehrlichkeit charakterisiert, bietet die Musik einen leichtfüßigen Kontrast. Auch wenn Nervus fast schon zu glattgestrichen sind, um sich Punk auf die Fahne zu schreiben, sichern sich die Brit:innen ihren Platz in der Szene durch ihre Attitüde.

Für Fans von: Pansy Division, The All-American Rejects, Jimmy Eat World

Lou Reed - Berlin, 1973

Eingeläutet wird Berlin durch ein melancholisches Klavier. Dann singt Reed in die Stille hinein: „It was very nice / Oh honey, it was paradise". Auf Berlin erzählt der mittlerweile verstorbene bisexuelle Musiker die tragische Geschichte eines unglückseligen Paares, Jim und Caroline. Aufgrund der kontroversen Themen nannte der Rolling Stone das Album 1973 ein „Desaster". Es geht nämlich um Drogenkonsum, Prostitution, Depression, häusliche Gewalt und Selbstmord. Entsprechend klingt die Musik eher dramatisch oder resigniert. Lady Day hört sich an, als würde jemand von Alkohol und Drogen berauscht durch die Straßen taumeln, geradewegs in einen schrägen und unheimlichen Traum hinein.

Für Optimismus ist wenig Platz, für schiefe Töne dafür umso mehr. Mit Sad Song endet das Album. Paradoxerweise klingt das Lied von allen am hoffnungsvollsten und vermittelt ein befreiendes Gefühl. Und das nachdem eben noch Carolines Suizid beschrieben wurde. Nebenbei gehört klingt Berlin zu dünn. Über Kopfhörer oder eine gute Anlage wirken Musik und Text in Zusammenspiel mit Reeds ungewöhnlicher Stimme ungeheuer kraftvoll.

Für Fans von: David Bowie, Patti Smith, Iggy Pop
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