Es ist vier Uhr morgens, als der Wecker klingelt. Christine Schmidt steigt müde aus dem Bett. Um 5.30 Uhr beginnt ihr Arbeitstag. Feierabend hat sie an diesem Tag erst gegen vier Uhr, denn: Sie hat noch einen Zweitjob. Christine Schmidt, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist eine von rund 205.000 Menschen in Hessen, die neben ihrem normalen Beruf noch einen zweiten ausüben. Und die Zahlen steigen: Vor zwei Jahren verdienten noch rund 192.000 Menschen mit einem Zweitjob Geld. Das geht aus einer Statistik der Agentur für Arbeit hervor. Der häufigste Nebenjob ist demnach der als Putzkraft, an zweiter Stelle stehen Berufe in der Gastronomie, etwa als Bedienung.
Auch Schmidt arbeitet nebenher in der Gastronomie: Ein paar Stunden pro Woche steht sie hinter der Kasse einer Einrichtung, die Verkostungen kulinarischer Spezialitäten anbietet. Hauptberuflich bringt sie beim Betreuungsdienst am Frankfurter Flughafen Menschen, die selbst nicht gut zu Fuß sind, von A nach B. Wenn Schmidt nach elf Stunden Arbeit nach Hause fährt, warten dort noch der Haushalt und ihre Tochter auf sie - Schmidt ist alleinerziehend.
Die Motive von Nebenjobbern seien unterschiedlich, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. „Nebenjobs sind breit gestreut, die Nebenjobber entsprechen ungefähr dem Querschnitt aller Beschäftigten." Dass ihre Zahl immer größer werde, resultiere daraus, dass ein Minijob als Nebenbeschäftigung seit 2003 von Steuern und Sozialabgaben befreit sei. „Finanziell sind Zweitjobs für Arbeitnehmer also stark begünstigt und damit sehr attraktiv." Auch Stefan Hoehl, Arbeitsmarktexperte vom Verband hessischer Unternehmer, sieht dies als Ursache für den Anstieg. Er geht davon aus, dass viele Nebenberufler hauptberuflich nur in Teilzeit arbeiteten und deshalb „zeitlich nicht ausgelastet sind".Auch Schmidt arbeitet in Teilzeit in ihrem Hauptberuf am Flughafen - aber vor allem des Geldes wegen: „Diese 200 bis 300 Euro machen am Ende des Monats einen Riesenunterschied." Die Sechsundvierzigjährige hat Betriebswirtschaftslehre studiert, könnte ohne weiteres als Sekretärin oder Rezeptionistin in Vollzeit arbeiten, wie sie sagt, und wahrscheinlich damit mehr Geld verdienen. Drei Jahre lang hat sie in Vollzeit hinter der Rezeption eines Hotels gesessen, aber: „Das war der Horror für eine Alleinerziehende mit achtjähriger Tochter." Die Verbindung einer Teilzeitstelle mit einer Nebentätigkeit, der sie zweimal die Woche nachgeht, verschaffe ihr mehr Flexibilität, um ausreichend Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen. „Ich hätte vorher nie gedacht, dass ich so über die Runden komme."
„So kann ich mal zum Friseur gehen, wenn ich möchte."Inzwischen könnte sie zwar am Flughafen in Vollzeit arbeiten, aber die derzeitige Konstellation ist ihr lieber. „Ich verdiene zwar weniger Geld, aber Geld ist nicht alles." Ihr ist mehr Zeit für sich und ihre Tochter wichtiger. Dafür verzichtet sie gerne auf Luxus: Sie hat kein Auto, mit ihrer 18 Jahre alten Tochter wohnt sie in einer 52 Quadratmeter großen Wohnung. Mehr brauche sie nicht, sagt sie. Dafür gönne sie sich an anderen Stellen etwas: gutes Essen oder auch mal eine Massage. Für Stefan Hoehl stellt Schmidt damit eine Ausnahme dar. Er ist überzeugt, dass ein Großteil der Menschen mit einem zweiten Beruf sich damit zusätzlichen Luxus leiste, „zum Beispiel eine teure Reise". Christine Schmidt nimmt das anders wahr. Unter ihren Kollegen seien einige, die mit dem Geld aus dem Nebenjob noch jemand anderen mitversorgen müssten, erzählt sie. Eine Kollegin arbeite sogar in Vollzeit und übe noch dazu eine Nebentätigkeit aus, damit sie sich jedes Jahr einen kleinen Urlaub leisten könne. „Ich glaube, kein Mensch würde fünfzig Stunden arbeiten, wenn das Geld auch so reichen würde", glaubt Schmidt.
Beim Betreuungsdienst am Flughafen verdient sie derzeit knapp 1300 Euro Netto im Monat. 660 Euro allein zahlt sie für Miete und Strom. Durch den Nebenjob bleibe genug übrig, um sich nicht am Ende des Monats Sorgen um das Auskommen machen zu müssen: „So kann ich mal zum Friseur gehen, wenn ich möchte." Ohne die zusätzlichen Einnahmen könne sie das nur dann machen, „wenn ich einen Bonus bekomme". Geld zurücklegen für schlechte Zeiten kann sie nicht. Dafür sei es zu wenig, sagt Schmidt. Aber das stört sie nicht, sie wirkt völlig mit sich im Reinen. Trotzdem sagt sie: „Ein bisschen mehr Geld wäre schön." Dann überlegt sie und fügt hinzu: „Oder weniger Arbeit für das gleiche Geld, das wäre auch okay."