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Faktencheck zu Söder: Doch, Experten warnten vor der vierten Welle

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder behauptet, Wissenschaftler hätten die Geschwindigkeit der vierten Welle nicht richtig eingeschätzt. Warum das so nicht stimmt.


Deutschland ist mitten in der vierten Welle, die Infektionszahlen klettern weiter nach oben. In Bayern, wo die Inzidenz teilweise über 1.000 liegt, ist auch die Impfquote unter dem Bundesdurchschnitt.

Aussage: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) behauptete, dass Wissenschaftler die Heftigkeit der vierten Welle nicht hätten kommen sehen. Vergangene Woche sagte er in der BR-Sendung " Kontrovers":

Es ist ja sehr beeindruckend, dass nahezu alle Virologen, Epidemiologen und Wissenschaftler auch die Wirkung dieser neuen Welle in ihrer Wucht und Geschwindigkeit nicht richtig eingeschätzt haben.

Markus Söder, Ministerpräsident Bayern (CSU)

Bewertung: Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat im Juli eine Schätzung für die vierte Welle veröffentlicht. Darin wird von verschiedenen Szenarien mit unterschiedlich hohen Impfquoten und Öffnungsstrategien ausgegangen.

Bei einer Impfquote von nur 65 Prozent - und ungefähr dort steckt Deutschland fest - hat das RKI das Erreichen der 300er-Inzidenz in den ersten Novembertagen berechnet. Diese Marke wurde laut RKI gestern überschritten.

Berechnung der Inzidenz für die vierte Welle - RKI-Bericht vom 8. Juli 2021. Quelle: RKI

Das RKI lag mit seinem Szenario also ein bis zwei Wochen zu früh, hat aber keinesfalls die Geschwindigkeit unterschätzt, wie Söder suggeriert.

Man muss allerdings festhalten: Im Juli konnte niemand wissen, wie viele Menschen heute geimpft sind. Eine Impfquote von 75 Prozent hätte die Inzidenzen laut RKI-Papier auch viel stärker gedrückt, doch das Impftempo hat den Sommer über nicht genug angezogen.

Genau das haben Forschende auch früh angemerkt. Der Virologe Christian Drosten hatte Ende Juli vor einer "Winterwelle" gewarnt - und sich besorgt wegen des geringen Impffortschritts gezeigt. Auch der WHO-Europadirektor hatte Anfang Juli vor einer neuen Corona-Welle im Herbst gewarnt.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, CSU, plädiert für die landesweite Verschärfung der Corona-Maßnahmen und Ausschöpfen des "Rechtsrahmens": Natürlich brauche es "Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte".

Und auch Söder selbst hatte Ende Oktober getwittert: "Leider kommt Corona mit großer Wucht zurück." Im heutigen ZDF-Morgenmagazin sagte Söder:

Die Situation im Oktober war anders.(...) Der Hauptunterschied ist ja, dass die Situation der Impfdurchbrüche das Problem ist. Da gab es eine andere Einschätzung, ab wann solche Gefahren bestehen.

Markus Söder im ZDF-Morgenmagazin

Damals sahen viele Forschende das Boostern aber auch kritisch. Ende August sagte etwa der Immunologe Carsten Watzl: "Aus immunologischer Sicht ist das sehr sinnvoll: Das Immunsystem verbessert bei jedem Kontakt mit einem Erreger die Immunreaktion auf diesen deutlich." Er äußerte aber auch ethische Bedenken:

Weltweit herrscht immer noch Impfstoffmangel. Durch diesen sterben mehr Menschen als hierzulande durch eine dritte Impfung gerettet würden.

Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie

Zudem mutiere das Virus vor allem dort, wo es sich ungehindert ausbreiten könne, so Watzl.

Fazit: Markus Söder suggeriert, dass Forschende von der Heftigkeit der vierten Welle überrascht wurden. Ein RKI-Papier aus dem Juli zeigt, dass es mit seinen Berechnungen ziemlich richtig lag. Allerdings konnte man damals auch nicht wissen, dass Deutschland bei den Impfungen so langsam vorankommt.

Söder behauptet auch, dass man die Gefahr durch Impfdurchbrüche nicht habe kommen sehen. Studien haben jedoch schon im Juli darauf hingewiesen - und Bayern hat auch reagiert. Allerdings gab und gibt es in Deutschland Uneinigkeit darüber, wer wann geboostert werden soll.

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