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Gerhart Baum: „Die Kontroverse war mein Lebenselixier"

Es ist Samstagabend, draußen schneit es, und Baum fragt sich, ob diesen Film heute überhaupt jemand sehen möchte. In Zeiten, in denen es das Kino sowieso schon schwer hat, zeugt es von Mut, eine Dokumentation auf die große Leinwand zu bringen. Noch dazu eine, die sich trotz - vielleicht auch gerade wegen - der allgemeinen Politikverdrossenheit um Politik dreht, um einen FDP-Politiker im Besonderen. Regisseurin Bettina Ehrhardt hat es gewagt. „Wir wollten die Republik verändern" heißt das 90-minütige Werk, das ab Donnerstag bundesweit im Kino zu sehen ist.

Es ist ein Film über einen Homo politicus aus Leidenschaft, der seine Zuschauer auf eine Zeitreise schickt. „Zu Beginn", so Ehrhardt, „stand eine Archivrecherche im Bauch des WDR." Anschließend, über einen Zeitraum von sechs Jahren, begleitete sie den früheren Bundesinnenminister Baum, führte Interviews mit ihm und politischen Weggefährten wie Hans-Dietrich Genscher, Günter Verheugen, Burkhard Hirsch, Hildegard Hamm-Brücher, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Daniel Cohn-Bendit und dem Journalisten Friedrich Nowottny. „Gerhart Baums hochspannendes Leben hat mich dazu bewegt, diesen Film zu machen", sagt Ehrhardt.

Es geht um deutsche Geschichte, das Geschäft Politik, um den FDP-Politiker und Privatmenschen Baum - Rebell in den eigenen Reihen, Visionär, Menschenrechtler, Politiker aus Leidenschaft. „Die Kontroverse war mein Lebenselixier", sagt der 80-Jährige heute. Sein politisches Engagement begann als Student in den 50er Jahren. „Die NRW-FDP war durchsetzt mit alten Nazis. Da sind wir Sturm gelaufen, haben unglaubliche Kämpfe ausgetragen", erzählt Baum. „Wir wollten heraus aus der konservativen Erstarrung."

In den 60er Jahren waren es die Notstandsgesetze, der Vietnamkrieg und der Tod des Studenten Benno Ohnesorg, die die deutsche Geschichte in eine neue Richtung führten. Es war der Moment, an dem sich die Studentenbewegung radikalisierte, die Geburtsstunde der RAF. Baum, der Linksliberale, kämpfte gegen den „Sicherheitswahn" des Staates und gegen „Gesinnungsschnüffelei", später gegen den „Großen Lauschangriff".

„Vielen ist die Gefährdung der Freiheit nicht bewusst", sagt Baum. Die Premiere ist gelaufen, mit Ehrhardt sitzt er auf dem Podium vor der Leinwand, beantwortet Fragen. Seine Befürchtung, dass niemand kommen würde, ist nicht eingetroffen, im Gegenteil. Auch wenn er nicht mehr all seine Zeit der Politik widmet - ganz heraushalten will und kann er sich nicht. Datenschutz ist sein großes Thema. Und: „Bei der vorbeugenden Menschenrechtspolitik muss noch viel getan werden", sagt er.

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