Julia Adame y Castel

Journalistin, Redakteurin, Hamburg

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Artikel

Ganz schön multikulti: Hamburger mit Heimweh im Herzen

Ganz schön multikulti: Inzwischen hat jeder dritte Hamburger einen Migrationshintergrund. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 630.000 Menschen mit Wurzeln im Ausland leben in der Stadt. Spitzenreiter ist mit 91.000 Mitgliedern die türkische Gemeinde. Mit einigem Abstand folgen die polnische (57.000) und afghanische Gemeinde (39.000). Auf Platz vier und fünf fast gleichauf finden sich die Russen (25.000) und die Kasachen (23.000). Die MOPO hat bei einigen von ihnen nachgefragt: Wie lebt es sich in Hamburg?

„Unsere Gemeinde ist zersplittert"

Wir treffen Ahmad Shah Qadiry (69) bei einer Tasse Tee in einem afghanischen Restaurant. Hier auf dem Steindamm treffen sich viele Menschen aus Qadirys Heimat, denn einen eigenen Raum für die afghanische Gemeinde gibt es in Hamburg nicht, bemängelt der 69-Jährige. 1978 kam er zum Studieren nach Hamburg.

Eigentlich wollte der Diplombiologe in Rente später in die Heimat zurückkehren. Doch dann blieb er an der Elbe. „Sie wissen ja, wie das ist...", sagt er. Als Vorsitzender des Afghanischen Kulturvereins hat er viel zu tun. „Die afghanische Gemeinde ist sehr zersplittert", erklärt Ahmad Shah Qadiry.

Häufig kommt es zu Unstimmigkeiten. „Ich helfe unabhängig von ethnischen oder religiösen Gesinnungen." Denn schließlich „sind ja alle Afghanen".


„Jetzt lebe ich gern hier"

Vor 21 Jahren kam Natalia Dergatcheva (52) aus St. Petersburg nach Hamburg: „Ich habe lange gebraucht, um meine Identität zu finden. Zehn Jahre war ich hin- und hergerissen, ob ich nicht doch zurück in meine Heimat gehen soll."

Doch sie entschied sich dazu, mit ihren zwei Kindern bei ihrem deutschen Mann zu bleiben. Heute fühlt sie sich als Russin, die gern im Ausland lebt. Schon seit 1997 ist sie Geschäftsführerin des Vereins „Tanzbrücke Hamburg": „Mit unserem Angebot aus Sport, Musik, aber auch Sprachunterricht für Kinder und Erwachsene wollen wir Brücken schlagen zwischen Generationen und Kulturen. Jeder ist hier willkommen."

Der Verein war sogar schon für den Nationalen Integrationspreis nominiert. Einmal im Jahr organisiert Natalia Dergatcheva den „russischen Familientag" in Planten un Blomen: „Hier kann jeder herkommen, russische Tänze und Spezialitäten ausprobieren." Sie sieht es als großen Vorteil, die deutsche und russische Kultur miteinander zu verbinden: „So kann man das Beste von beiden nehmen."


„Wir sind vor allem Europäer"

Dr. Jacek Bystron (52) ist seit 2008 Priester der polnisch-katholischen Gemeinde St. Josef an der Großen Freiheit (St. Pauli). Ein ungewöhnlicher Ort für eine katholische Gemeinde, zumal für eine polnische? Unbedingt! Auch Pfarrer Bystron, der im zweiten Stock der Pfarrei wohnt, sagt mit einem Lächeln: „In Polen ginge das nicht. Da dürfen 100 Meter von Kirchen entfernt keine Discos sein und Alkohol ausgeschenkt werden."

Davon abgesehen wird hier aber ganz normale Gemeindearbeit geleistet. Polnischsprachiger Gottesdienst, Sozialbetreuung, Familienbetreuung, Jugendarbeit. Einziger merklicher Unterschied zu einer „normalen" Gemeinde in Polen: Dort haben die Gemeindemitglieder verschiedene Anlaufstellen, hier in Deutschland ist die Kirche hingegen oft erster Ansprechpartner für Alltagssorgen, wenn etwa ein polnischsprachiger Arzt gesucht wird.

„Wir sind eine Brücke zwischen polnischer und deutscher Mentalität", sagt der Pfarrer. Und als was fühlen sich die Gemeindemitglieder? Polen, Hamburger, Deutsche? „All das. Aber vor allem als Europäer!"


„Wir helfen uns über eine WhatsApp-Gruppe"

Maxut Mukhamejanov (36) kam 2011 aus Kasachstan, um in Bremen zu studieren. Anfangs fiel es ihm schwer, sich hier zurechtzufinden. Deshalb gründete er schon ein Jahr später eine WhatsApp-Gruppe für Kasachen aus ganz Deutschland: „Über die Gruppe können wir uns gegenseitig helfen und haben Kontakt mit anderen Landsleuten - das ist toll."

Seine Frau Dinara Ujsimbaeva (32), eine Halb-Kasachin, hat er in Hamburg kennengelernt. Sie ist technische Zeichnerin bei Airbus. Gern kocht sie traditionelle Gerichte: „Bei uns gibt's fast nur kasachisches Essen. Letzte Woche hatten wir drei Familien zu Besuch, für die ich alle gekocht habe." Maxut bestätigt: „Das gehört für uns zur kasachischen Gastfreundschaft dazu."


„Jüngere Leute gehen weniger in Teestuben"

Hüseyin Öztürk (49) trifft man meist inmitten von frischem Gemüse und leckerem Obst an. Seine Familie betreibt einen Lebensmittelladen in Altona. Hier kaufen Menschen aller Nationalitäten ein. Essen ist für den 49-Jährigen ein wichtiger Teil der Kultur.

„Wir essen zu hundert Prozent türkisch. Die Küche ist herrlich. Ich würde nichts anderes essen." In Teestuben oder Kulturvereine zu gehen, wie es viele seiner Landsleute tun, ist aber nichts für ihn.

Beim türkischen Teetrinken und Kartenspielen „bleiben viele so unter sich". In der nächsten, der „dritten Generation" sieht der Altonaer da einen Wandel: „Die sind ja alle hier geboren. Die jüngeren Leute gehen weniger in Teestuben oder auf türkische Feiern - und sie essen auch mal asiatisch oder deutsch."


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