Es war eines der größten Medienereignisse des laufenden Jahres in unserem Deutschrap-Universum: die überraschende Veröffentlichung von Shindys erster Single „". Zumindest der großen Medienereignisse, die sich auch tatsächlich um Musik drehten. Wie auf „ Eggs Benedict" prophezeit, stand „Freitag der Elfte auf der Rolex", als der Song am 11. Januar erschien.
So war nach rund eineinhalb Jahren musikalischer und am Ende sogar Social Media-Abstinenz nun der Mann zurück, der vor seinem mehr oder minder freiwilligen Verschwinden, maßgeblich einen Großteil des Status quo definierte, was im deutschen Rap musikalisch passierte. Aber auch, wie sich junge männliche Zeitgenossen - Rapfan oder nicht - die Haare schnitten, den Bart wachsen ließen und welche Kleidung sie kauften. Stichwort: orangefarbene 700€-Sweater ohne Aufdruck.
Nach der Anfangseuphorie oder dem Anfangshate, je nachdem, war die Deutschrap-Community dann auch schon wieder da angekommen, wo sie vor seinem Rückzug aufgehört hatte: Bei Bitingvorwürfen gegen Shindy. Also alles beim Alten, irgendwie.
Ich rede nicht von den tatsächlich ganz amüsanten Witzen, Shindy sehe mit der neuen Frisur jetzt auch noch aus wie Drake und schon gar nicht von den absurden Vergleichen mit Rin, nur weil da ein Rapper aus Bietigheim-Bissingen Autotune benutzt. Nein, ein paar Schlaumeier hatten bemerkt und weniger schlaue Meier darauf hingewiesen, dass die viel zitierte und abgefeierte Zeile:
„Interessant, du hast Shindy gemacht? / Mashallah, mach nochmal, ah"
der Einstiegsline von Jay-Z auf seinem Song „ Lost Ones " (2006) ähnelt:
„I heard motherfuckers sayin' they made Hov / Made Hov say: Okay, so make another Hov!"
Und schon nahmen die Dinge ihren Lauf und Shindy war wieder der untalentierte Typ, der sich alles zusammengeklaut und denkt, wir merken es nicht.
Nun, ja. Dass Lines, Beats oder sogar ganze Songs von internationalen Rap-Acts (Frankreich ist da mindestens genauso betroffen wie die USA) schamlos kopiert und als Originale verkauft werden, ist tatsächlich ein Problem. Das Problem im Falle von Shindy liegt jedoch ganz woanders: Er überschätzt das Rap-Knowledge seiner Hörer.
Ich habe Shindy nie persönlich getroffen, die öffentliche Person aber aufmerksam verfolgt. Darum wage ich zu behaupten, dass wir auf dem kommerziellen Level, auf dem er sich bewegt, keinen finden werden, der Rap so intensiv studiert hat wie er. Das beweisen z.B. seine Interviews mit Niko, in denen es ausnahmsweise tatsächlich weitestgehend nur um Musik geht. Oder ein Interview mit Jan Wehn, bei dem er Torch zitiert und davon berichtet, wie er gemeinsam mit Laas „ Blauer Samt" analysierte. Mit dem neuen Album erreicht sein Nerdtum das nächste Level. Die meisten der bisher bekannten Singles sprießen vor Rap-Referenzen. Wie die oben genannte Line oder etliche Sample-Referenzen an z.B. „ („ Nautilus"), „" („ Nautilus"), „Shook Ones Part II" („ Affalterbach"). Das gab es auch auf den vorherigen Alben immer wieder, z.B. rappte Shindy 2014 auf „ Steve Urkel": „Vielleicht bin ich overhyped, na und was jetzt / Lieber überbezahlt als unterschätzt" in Anlehnung an Jay-Z auf „ So Appalled" (2010): „I went from the favorite to the most hated / But would you rather be underpaid or overrated?".
Shindy ist genauso ein hoffnungslos in Rap verliebter Nerd wie ein Laas oder ein Falk Schacht, dem jedoch stets seine Expertise abgesprochen wird, weil er teure Designerklamotten trägt statt New Era-Caps und Rucksack. Während andere Rapper mit Referenzen Oldschooler-Herzen höher schlagen lassen, erntet Shindy dafür Kritik und Spott.
Biting und Hommage - ein schmaler Grad
Zugegeben, den Unterschied zwischen Biting und Hommage zollen festzulegen, ist nicht immer einfach. Letzten Endes kann man es höchstens im Austausch mit dem betroffenen Rapper zum Thema machen und auf dessen Ehrlichkeit vertrauen. Sicherlich wird es dabei auch schon Fälle gegeben haben, in denen Rapper ‚ erwischt ' wurden und es anschließend als Hommage verkauft haben. Eine Faustregel, die aber zumindest in den meisten Fällen funktioniert: Ist es offensichtlich, ist es eine Hommage.
Klar, Ausnahmen gibt es immer. Aber. wenn z.B. Vega nur wenige Wochen nach dem Erscheinen von „ Idols Become Rivals", Rick Ross' Disstrack gegen Birdman, die Zeile: „Damn... you nearly broke my heart / I really thought you ni**as really owned them cars" nahezu unverändert ins Deutsche übersetzt: „Und ich schwör' ihr habt mein Herz gebrochen / Ich dachte wirklich, dass die Autos euch gehören, ihr Fotzen" (" Unser Lied"), wäre es vermessen, ihm Biting zu unterstellen. Denn a) sollte es eigentlich niemanden geben, der sich ansatzweise für Rap interessiert und diesen Track zu dieser Zeit nicht mitbekommen hat und b) traue ich deutschen Rappern nicht zu, so dreist und dumm zu klauen, wenn sie es denn schon tun wollen oder müssen. Gleiches gilt auch für Casper. Dessen Texte bestehen nicht selten aus eingedeutschten Zeilen wie: „Würd ich mich lieber mit dir streiten / Als wen anders zu lieben" („ 20qm", Original aus „" von Kanye West). Aber auch bei ihm wäre jeder Vorwurf in Richtung Biting haltlos, veröffentlichte Casper doch z.B. zu „ Hinterland" selbst eine Liste an Songs, die den Schaffensprozess des Albums inspiriert haben.
Shindy überschätzt seine Hörer
Bei Shindy ist das Problem, dass viele seiner Referenzen eher nischig und manchmal etwas zu subtil erscheinen. Allerdings nicht nach seinem Verständnis. Ich glaube, Shindy ist so sehr in seiner ganz eigenen Hip-Hop-Welt gefangen, dass er sich gar nicht vorstellen kann, dass jemand, der seine Musik hört, nicht genauso tief in der Materie ist wie er selbst. Wie soll es nur möglich sein, dass ein Shindy-Fan Jay-Zs Einstiegsline auf „ Lost Ones" nicht kennt und sich bei „ Dodi" nicht dachte: „ Geile Jigga-Referenz!"? Klar, „ Kingdom Come" ist ohne jeden Zweifel das schlechteste Album von Jay-Z, aber doch auch gerade deswegen so populär zerrissen und vernichtet worden, dass jemand, der sich für Rap interessiert, eigentlich nicht daran vorbeikommt. In der Realität scheint es am Ende leider so, dass Shindy in den Augen der Mehrheit nur einer von vielen ist. Von Liebhabern verkannt, von Fans reduziert und nur selten als der wahrgenommen, der er ist.
Vielleicht bin ich am Ende auch nur ein Fanboy, der sich alles zurechtbiegt und nicht erkennt, dass Shindy nicht mehr als ein untalentiertes Markenopfer ist, das sich seine Musik aus Übersee zusammenklaut. Glaub' ich aber irgendwie nicht...
Hier geht's zur Kolumne vom Juni über Fake-Streams und die Reportage des Y-Kollektivs