Boyan Slat studiert Luft- und Raumfahrt in den Niederlanden, der 20-Jährige taucht gerne, geht nach eigener Aussage nicht allzu oft zum Friseur und verbringt seine Ferien mit Vorliebe in Griechenland. So weit, so normal.
Doch in einer Hinsicht hebt sich Slat von vielen Tausenden gleichaltriger Kommilitonen ab: Er hatte eine Idee, die 100 Wissenschaftler weltweit überzeugend und zum Teil sogar wegweisend fanden - und die, wenn sie funktioniert, Milliarden einsparen könnte. Aber der Reihe nach.
Das Problem, dem sich der 20-Jährige widmen möchte: Millionen Tonnen Plastikmüll treiben auf den Weltmeeren herum. Wie viel Müll es genau ist, lässt sich nur schätzen, und Experten sind sich uneins. Die Zahlen reichen von 100 bis 142 Millionen Tonnen. Und es wird stetig mehr: Nach Angaben der Vereinten Nationen werden jährlich 225 Millionen Tonnen Plastik produziert.
Davon enden 6,4 Millionen Tonnen irgendwo auf der Oberfläche der Weltmeere - und werden dort jahrzehntelang umhergewirbelt, ohne sich in absehbarer Zeit zu zersetzen. Stattdessen zerfallen die Müllteile in immer kleinere Partikel.
Gift durch Müll freigesetztStudien zufolge dauert es nicht einmal ein Jahr, bis durch UV-Strahlung, Salzwasser und mechanische Kräfte Zersetzungsprozesse einsetzen, durch die giftige Chemikalien freigesetzt werden, die auch bei Menschen schon in geringen Dosen schwere körperliche Schäden verursachen können. Und sie gelangen recht einfach in den menschlichen Organismus - zum Beispiel über Fisch, Muscheln oder andere Meerestiere, die Plastikteile aufnehmen, weil sie sie mit Plankton oder anderer Nahrung verwechseln.
Und nicht nur das: Der Plastikmüll selbst führt zum massenhaften Sterben von Seevögeln, Fischen und Meeressäugern. Recht eindrucksvoll hat eine Studie des niederländischen Forschungsinstituts Alterra das Problem belegt: Über einen Zeitraum von zwei Jahren haben die Forscher 600 tote Eissturmvögel obduziert, die an der Nordseeküste angeschwemmt worden. Das Ergebnis: 95 Prozent der Tiere hatte unverdauliche Abfälle gefressen, im Durchschnitt 44 Plastikteile pro Tier.
Natürlich ist Boyan Slat nicht der erste, der das Problem zu lösen versucht. Doch sein Konzept hat im Gegensatz zu den meisten der bisher vorgestellten Ideen eindeutige Vorzüge: Es ist um ein Vielfaches günstiger und verspricht vor allem eine deutlich höhere Effizienz, als herkömmliche Methoden, bei denen beispielsweise Fischer mit Netzen auf Müllfang gehen.
Nur zwei Millionen Euro KostenRund 967 Millionen Euro kosten allein in der Asien-Pazifik-Region die bisherigen Bemühungen, der Müllberge Herr zu werden - jedes Jahr. "The Ocean Cleanup", wie das Modell heißt, soll dagegen gerade einmal mit zwei Millionen auskommen, und dabei viel effektiver sein.
"Die Müllmengen von solchen Projekten sind verschwindend gering im Vergleich zur Gesamtmenge", sagt der Meeresbiologe Lars Gutow, der am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung arbeitet. Man müsse sich nur die Relation der abgefischten Regionen im Vergleich zur Gesamtgröße der Ozeane anschauen, um das nachzuvollziehen.
Um das Problem effizienter anzugehen, müssten die natürlichen Müllkippen der Meere untersucht werden. Durch natürliche Wasserströmungen sammelt sich der Plastikmüll in gigantischen Wirbeln, die oft Tausende Kilometer Durchmesser aufweisen. "Ocean Gyres" werden die Phänomene in der englischsprachigen Welt genannt.
Charles Moore, ein US-Meeresforscher, war der erste, der die gigantischen Müllwirbel zu Gesicht bekam, als er 1997 auf dem Rückweg von Hawaii nach Kalifornien mit seinem Schiff sich inmitten eines Meeres aus alten Plastikteilen wiederfand. Forscher wissen inzwischen, dass es insgesamt fünf dieser Wirbel gibt. Der größte dreht sich im Uhrzeigersinn zwischen Asien und Nordamerika.
Recycling könnte 56,8 Milliarden bringen"Nordpazifischer Wirbel" nennt sich das Phänomen, inzwischen auch Nordpazifischer Müllstrudel genannt. Auf diesen, den größten aller Strudel, hat es Boyan Slat abgesehen. In fünf Jahren soll die größte Müllkippe der Welt Geschichte sein - das zumindest sieht der ehrgeizige Plan vor.
Das Modell selbst erinnert aus der Vogelperspektive an ein gigantisches V. Jeweils 50 Kilometer sollen die beiden schlauchähnlichen Arme messen, die auf der Meeresoberfläche liegen werden. In einem Abstand von vier Kilometern werden sie mit Gewichten am Boden befestigt. An den Schläuchen werden Filter befestigt, die den Müll auffangen und für Meerestiere ungefährlich sein sollen.
Gesammelt wird der Müll dann in turmähnlichen Behältern, die alle 45 Tage von Schiffen angefahren und entleert werden sollen. Dann soll der Plastikmüll recycelt werden. Funktioniert das System, wäre es bares Geld wert: Eine Tonne Plastikschrott wird im Schnitt für 50 Euro angekauft. Wird sie recycelt, erbringt sie nach Berechnungen des Rats für Nachhaltigkeit etwa 300 bis 400 Euro. Damit hätte der Ozeanmüll einen Gesamtwert von unglaublichen 56,8 Milliarden Euro.
"Technisch nicht umsetzbar"Weil der größte Teil der Plastikabfälle sich in den oberen drei Metern befindet, soll mit dem Konzept ein Großteil des Mülls abgeschöpft werden können. Energie speist das Modell aus Solarplatten. Weil keine Netze im Einsatz sind, sollen Meerestiere nicht zu Schaden kommen, heißt es in Veröffentlichungen zu dem Projekt. 100 Forscher, Wissenschaftler und Ingenieure haben an ihm mitgearbeitet.
Finanziert werden soll der ehrgeizige Plan mittels Crowdfunding. Das hat schon einmal funktioniert: 800.000 Dollar bekam Boyan Slat für einen Modellversuch zusammen. Auf 500 Seiten haben er und seine Mitarbeiter festgehalten, dass die Idee - im Kleinen - funktioniert.
Meeresbiologe Lars Gutow sieht das Projekt insgesamt aber kritisch. "Ich bin kein Ingenieur", betont Gutow. "Aber ein Gerät von dieser Größe, über mehrere hundert Kilometer, halte ich nicht für technisch umsetzbar." Noch nie habe es ein Gerät in dieser Größenordnung gegeben, das zuverlässig funktioniere, unter diesen Bedingungen: Stürme, meterhohe Wellen, unvorstellbare Kräfte. Wenn es zu Schäden kommt, was dann? Wer ist in der Lage, diese riesige Verankerung weit entfernt vom Festland zuverlässig zu warten und gegebenenfalls zu reparieren?
Gutow sieht aber auch psychologische Probleme. "Wenn die halbe Welt jetzt denkt, dass mit so einer Konstruktion all unser Plastikmüll von den Weltmeeren gefischt werden kann, gibt es doch kaum noch Anreize, weiter daran zu arbeiten, dass der Plastikmüll gar nicht erst entsteht und auf die Meere getrieben werden kann. Und das wäre verheerend."