Christina - die anders heißt, aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte - hat gelernt. Sie war in den Vorlesungen, sie war in den Übungen. Sie hat sich zusammen mit Kommilitonen wochenlang intensiv auf die Prüfung „Industrieökonomik und Wettbewerb" vorbereitet und hatte ein gutes Gefühl, als sie den Saal betrat. Als sie ihn wieder verließ, war sie desillusioniert, verzweifelt. Die Klausur war so gestellt, dass sie nicht beweisen konnte, wie viel sie gelernt hatte, sagt sie: „Das war keine Klausur, in der man Wissen zeigen konnte, sondern eine, in der man brüten musste." Jede Aufgabe war unterteilt in fünf Unterpunkte, die Aufgaben deutlich schwieriger als alles, was bisher gelehrt worden war. „Das war einfach nicht fair", sagt sie.
Sie tauschte sich mit anderen aus und stellte fest: Es ging nicht nur ihr so. Ein großer Teil der Studenten war frustriert. Für einige ging es um viel: Auf dem Weg zum Staatsexamen dürfen sie diese Prüfung genau zweimal schreiben. Wer es dann nicht schafft, wird exmatrikuliert. Sie schrieb einen Beschwerdebrief an ihren Professor. Etwa 20 andere unterschrieben ihn mit ihr, dann ging er per Einschreiben an den Lehrstuhl. „Man fühlt sich als kleiner Student oft machtlos", sagt sie. „Aber es kann nicht sein, dass der Professor alles für vollkommen banal hält hat, und wir müssen das ausbaden."
Der Fall zeigt: Studenten nehmen nicht mehr alles so hin, wie es ihr Professor vorgibt. „Noch vor einigen Jahren haben sich die Studierenden im Grunde nie beschwert. Und sie haben sich schon gar nicht organisiert, um sich zu beschweren", sagt Thomas Stelzer-Rothe, Präsident des Hochschullehrerbundes Nordrhein-Westfalen. „Das lag zum einen daran, dass es weniger Anlass zur Beschwerde gab, zum anderen daran, dass Studenten sich nicht getraut hätten, sich bei ihrem Professor zu beschweren."
Ein Widerspruchsverfahren kann sich lohnenWie weit dieser neue Mut gehen kann, zeigt ein Fall aus Köln: Im Februar 2012 legten dort 305 Lehramtsstudenten im ersten Semester eine Matheprüfung ab. Nur 22 bestanden die Klausur. Die Studenten wollten das nicht hinnehmen und beschwerten sich: Bei der zuständigen Dozentin, beim Lehrstuhl, bei Eltern, die sich wiederum an das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium wandten. Sie starteten eine Unterschriftenaktion und schalteten den Asta ein. Ihre Proteste waren schließlich erfolgreich: Die Dozentin beugte sich dem allgemeinen Druck und verließ die Uni.
„Solche Durchfallquoten sind extrem selten", sagt Stelzer-Rothe. „Trotzdem kann es nicht sein, dass ein Dozent gehen muss, nur weil er mal überdurchschnittlich schlechte Noten gegeben hat." Grundsätzlich habe jeder Studierende das Recht, sich bei seinem Professor zu beschweren, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, ob per Mail oder in der Sprechstunde, sagt Stelzer-Rothe. „Es liegt in der Verantwortung des Dozenten, den Einzelfall zu prüfen, sich die Argumente anzuhören und selbst welche vorzubringen. Das ist der akademische Ansatz, das ist Wissenschaft." In der Praxis aber gehen viele Professoren mit dem Thema anders um. Sie tun sich mitunter schwer, Kritik zuzulassen und fremde Argumente offen anzuhören.
„Es ist das Recht und die Pflicht jedes Professors, neutral abzuwägen. Aus den Gesprächen mit vielen Kollegen habe ich aber den Eindruck gewonnen, dass es einigen besonders schwerfällt", räumt Stelzer-Rothe ein. „Da gibt es manche, die es als Sakrileg erachten, wenn sie kritisiert werden." Er empfiehlt Studenten, sich in solchen Konfliktsituationen Unterstützung zu holen - zum Beispiel vom Prüfungsbeauftragten der Universität. Dort können Studenten auch Widerspruch einlegen, wenn sie eine Bewertung ungerecht oder eine Prüfung unangemessen schwierig fanden. Der Widerspruch muss nicht zwingend schriftlich per Post oder per Mail vorliegen, sondern kann auch mündlich vorgetragen werden. Wer das Verfahren gewinnt, darf die Prüfung entweder noch einmal ablegen oder bekommt eine entsprechend bessere Note. Wer verliert, muss Gebühren zahlen. Bei den meisten Universitäten und Fachhochschulen fallen etwa 100 Euro an, in Einzelfällen können es auch 300 Euro und mehr sein.
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