Jahrelang hat Ismail Yilmaz, genannt Isi, das legendäre X-Cess in München betrieben. Zuerst im Glockenbachviertel, später in der Sonnenstraße. Vor vier Jahren wurde ihm alles zu viel, er erfand sich neu und arbeitet mittlerweile auf dem Münchner Westfriedhof.
Von: Joschka Moravek
Stand: 09.02.2022
Statt der ikonischen Militärmütze, die Isi früher jeden Abend im X-Cess auf dem Kopf hatte, trägt er an diesem Vormittag eine Wollmütze. Sie ist Teil seiner Arbeitskleidung bei der Friedhofsverwaltung München. Gemeinsam spazieren wir über den Friedhof, seinem Arbeitszimmer. Es ist ruhig hier. Nur ein paar Vögel zwitschern. Es ist etwas skurril mit jemandem wie Isi an solch einem Ort über alte Partyzeiten zu sprechen.
„Ich glaube, ich habe etwas Gutes für die Menschheit getan"
Am 16. August 2000, dem Todestag von Elvis Presley, drehten sich neben dem Dönerspieß erstmals auch Schallplatten im X-Cess - die erste Party in einem Imbiss, der später eine legendäre Bar werden sollte - so legendär, dass sogar die New York Times berichtete. „Viele, viele Menschen waren da glücklich. Viele haben da geübt, gelernt. Das X-Cess war, ich sage nicht die Grundschule, sondern der Kindergarten für die Neu-DJs. Diese Jungs und Mädels, die damals nirgendwo auflegen konnten, die haben bei mir angefangen. Und jetzt sind sie Highlight-DJs geworden. Ich glaube, ich habe etwas Gutes getan, nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Menschheit. Da haben sich viele kennengelernt, sie haben geheiratet, Kinder gezeugt."
Wir begegnen ein paar Menschen, die Gräber besuchen. Später laufen wir an einer Beerdigung vorbei. Wie das sei hier zwischen all den Grabensteinen täglich mit dem Thema Tod konfrontiert zu sein? „Das ist das Schicksal. Das ist doch unsere Endstation. Wir geben den Menschen hier die letzte Ehre", sagt Isi. Er sei sehr froh, hier gelandet zu sein. Zwischendurch ging es ihm sehr schlecht. Er spricht von Depressionen, Burnout und dass er in Therapie war. Besonders die letzte Zeit im X-Cess in der Sonnenstraße sei wegen Stress mit Anwohnern schwer gewesen: „Ich habe Angst vor dem Briefkasten gehabt - und ich habe drei Briefkästen gehabt. Jedes Mal, wenn ich zum Briefkasten gegangen bin, hatte ich Angst, weil immer ein böser Brief rauskam."
„Du bist hier zum Rocken und Saufen"
Nach einer Weile lädt er noch zu einem „waschechten türkischen Schwarztee" ein. Er beschwert sich, dass er nicht gerne Krawatte trage, aber müsse. „Im X-Cess habe ich Leute mit Krawatte nicht reingelassen. Ich habe gefragt: Kommst du von einer Beerdigung oder von einer Hochzeit? Dann habe ich gesagt: Zieh das Zeug von deinem Hals weg, entspann dich und dann komm rein. Du bist hier zum Rocken und Saufen - ohne Krawatte bitte. Und jetzt muss ich selber eine Krawatte tragen."
Münchner Legende
Auf dem Rückweg hält ein Arbeitsauto mit Kollegen von Isi. Sie grüßen sich. „Das ist die Legende von München", ruft der Beifahrer bevor sie weiterfahren. Isi lacht. Auf dem Friedhof zu arbeiten hatte er nie vor. Eigentlich wollte er Müllwagenfahrer werden. Er bewarb sich auch mal für einen Job auf dem Waldfriedhof, wurde aber nicht genommen. „20 Jahre später hat mich das Schicksal wieder zum Friedhof geschickt und diesmal hat es geklappt. Und hier ist es viel besser, als Müllwagenfahrer zu sein, glaube ich", sagt Isi. Wieder am Eingang angekommen, holt Isi noch schnell die offizielle Mütze der Friedhofsverwaltung München, die er bei Beisetzungen trägt. Sie erinnert ein bisschen an die Militärmütze der russischen Luftwaffe, ist nur etwas kleiner und trägt das Logo der Münchner Friedhofsverwaltung. Die originale Mütze aus dem X-Cess liegt gerade als Leihgabe im Stadtmuseum in der Ausstellung „Nachts. Clubkultur in München."