Der gemeine Flüchtling ist arm, spricht schlecht Deutsch, will sich Asyl in Deutschland wahrscheinlich nur erschleichen und hat deshalb zuerst einmal eine große Portion Misstrauen verdient. Nicht alle Deutschen denken so, aber eine ganze Menge hat Jahrzehnte lang so oder so ähnlich gedacht und tut es immer noch. Das lässt sich nicht nur im Alltag und in Umfragen beobachten; auch die Grundgesetzänderungen Anfang der 90er Jahre waren Folge der Abneigung einer Mehrheit gegenüber Asylsuchenden. Und wie feindselig die Atmosphäre in vielen Ausländerbehörden ist, hat erst kürzlich wieder ein Beitrag der Sendung Monitor gezeigt.
So weit so schlecht. Seit einiger Zeit scheint sich allerdings etwas zu ändern in Deutschland, und wenn es schon kein Ruck ist, der da durch das Land geht, dann ist es doch zumindest eine sanfte Welle des Engagements: Bürger protestieren gegen die Behandlung von Asylbewerbern, engagierte Bürgermeister organisieren Notunterkünfte. Manche Städte bringen Asylsuchende kurzerhand in Hotels unter. Und der SV Babelsberg 03 startete gerade die wohl erste Fußballmannschaft nur für Flüchtlinge, die ganz ordnungsgemäß einem höherklassig spielenden Verein angegliedert ist.
Vor ein paar Wochen startete die Website fluechtlinge-willkommen.de. Die Plattform macht es möglich, ein freies Zimmer in einer Wohnung oder Wohngemeinschaft für einen bestimmten Zeitraum für einen Flüchtling zur Verfügung zu stellen. Als Finanzierung des Zimmers empfiehlen die Initiatoren unter anderem Kleinspenden und privates Crowdfunding.
„Warum können geflüchtete Menschen in Deutschland nicht einfach in WGs wohnen statt in Massenunterkünften?" fragen die Gründer auf ihrer Website. Ergebnis ihrer Innovation ist ein Ansturm, von Mails, Teilnehmern und Unterstützungsangeboten, mit dem sie selbst nicht gerechnet haben. Am 18. November wurde die Website gelauncht. Am 22. November zählte sie bereits mehr als 70 Anmeldungen von WGs aus ganz Deutschland.
Auch das gemeinsame Kochen macht gerade Schule: Deutsche kochen mit Flüchtlingen, probieren Rezepte aus ihren Heimatländern aus, und kommen so diesen unbekannten Menschen näher, die in den Nachrichten unter dem immer gleichen Pauschalbegriff zusammengefasst werden, tatsächlich aber die Vielfalt der Welt in sich tragen. „Über den Tellerrand kochen" heißt das bei dem gleichnamigen Sozialunternehmen, das vier Berliner Studenten im Oktober 2013 gegründet haben. Gemeinsam organisieren sie Kochabende mit Flüchtlingen und Einheimischen und planen, demnächst ein Kochbuch mit Rezepten von Flüchtlingen herauszugeben
Keine Verständigung ohne Spaß
Im Unterschied zu ähnlichen Aktionen, wie sie auch schon von Caritas, Diakonie oder Amnesty International organisiert wurden, plant „Über den Tellerrand kochen", das Thema systematisch anzugehen: Es gibt qualitativ hochwertige Kochkurse zum ersten Kennenlernen, bei denen Flüchtlinge sich selbst, ihr Land und ein Rezept aus ihrem Land vorstellen. Um die Beziehungen darüber hinaus zu vertiefen, bauen die Macher gerade eine Community auf, in der sich die Leute regelmäßig treffen und jenseits des Kochens Projekte starten können.
„Neben dem Mehrwert für die Flüchtlinge betonen wir auch den Mehrwert für die Menschen hier in Deutschland", sagt Ninon Demuth, Mitgründerin von „Über den Tellerrand kochen". „Wir wollen das Positive betrachten: interessante Geschichten erfahren, neue Kulturen kennenlernen. Das soll dann kein Hilferuf sein, sondern die Botschaft haben: Hey, das macht Spaß! Ich denke schon, dass wir uns dadurch von vielen Initiativen abheben, die Flüchtlinge in erster Linie als Bedürftige sehen, denen geholfen werden muss."
Dieser Ansatz klingt nicht nur gut und modern, sondern hat auch schon jetzt für einige Begeisterung gesorgt. Ein Facebook-Aufruf, den das Sozialunternehmen vor einiger Zeit startete, motivierte Menschen in ganz Deutschland dazu, ähnliche Projekte auf die Beine zu stellen. Und das Kochbuch mit den Rezepten von Flüchtlingen ist per Crowdfunding bereits finanziert. Einige Tage vor Schluss kamen schon fast doppelt so viel wie die erforderlichen 18.000 Euro zusammen.
All das sind kleine Schritte auf einem langen Weg, aber zusammen bilden sie doch langsam einen unübersehbaren Trend. Wenn es so weiter geht, wird es in Deutschland eines Tages doch noch eine Willkommenskultur geben.