Das Sozialunternehmen Papilio fördert die Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenz von Kindern. Gerade hat es aus der Aktion „Deutschland rundet auf“ einen Scheck über knapp 300.000 Euro erhalten. Angesichts der Wirkung, die das Papilio-Programm entfaltet, ist das nicht einmal besonders viel
Hätten Heulibold, Zornibold, Bibberbold oder Freudibold Hitler oder Stalin davon abhalten können, Diktator und Massenmörder zu werden? Die Kobold-Figuren, die in Zusammenarbeit mit der Augsburger Puppenkiste entwickelt wurden, gehören zu den Standard-Werkzeugen von Papilio e. V., einem Sozialunternehmen, das Maßnahmen entwickelt, mit deren Hilfe Kinder sozial-emotionale Kompetenz entwickeln. Mit einem jeweils sehr ausdrucksstarken Gesicht ist jede Puppe so gebaut, dass ihr Gefühl für die Kinder gut zu erkennen ist. In der Maßnahme „Paula und die Kistenkobolde" sprechen Kinder und Erzieherinnen über die Gefühle der Kobolde und lernen so, wie sie grundlegende Emotionen bei sich und anderen erkennen, und wie sie damit umgehen können.
Wer solche Fähigkeiten als Kind nicht entwickelt, ist als Erwachsener in einem vielfach höheren Maß gefährdet, Suchtkrankheiten zu entwickeln oder zur Lösung von Konflikten Gewalt anzuwenden. Spätestens seit Alice Millers Buch „Am Anfang war Erziehung" ist nicht nur Psychologen bekannt, dass die Grundlagen für solche Probleme in der frühen Kindheit liegen. Als Beispiele für die Verbindung zwischen einer missglückten Erziehung und der Neigung zu Sucht oder Gewalt beschrieb Miller unter anderem die Beispiele von Adolf Hitler und der drogensüchtigen Christiane F., der Autorin des Buches „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo".
Der Gedanke, man könne mit einer spielerischen Maßnahme wie „Paula und die Kistenkobolde" Massenmorde verhindern, mag zwar erst mal ziemlich überzogen klingen. Absurd ist er aber eben nicht. Und schon die Möglichkeit, dass so etwas unter gewissen Umständen doch funktionieren und zumindest einen abmildernden Effekt haben könnte, zeigt wie groß die Bedeutung solcher klein wirkenden Erziehungs-Spiele ist.
Die anderen beiden Bausteine des Papilio-Programms sind der „Spielzeug-macht-Ferien-Tag" und das „Meins-deins-unser-Spiel". Beim ersten lernen Kinder, einmal pro Woche ohne Gegenstände und nur miteinander zu spielen. Im zweiten üben sie, soziale Regeln einzuhalten und sich prosozial zu verhalten. Auch hier lernen die Kinder spielerisch grundlegende Rezepte des sozialen Umgangs, die für eine gesunde Gesellschaft unverzichtbar sind. Papilio arbeitet im Alltag nicht mit den Kindern selbst, sondern schult Kita- und Kindergarten-Fachkräfte, so dass diese die Maßnahmen später selbst durchführen können. Auswertungen zufolge würden 98 Prozent der geschulten Erzieherinnen und Erzieher die Fortbildung weiterempfehlen. Eine gigantisch gute Quote.
Was sich nicht wenige allerdings fragen, wenn sie zum ersten Mal von der Arbeit von Papilio hören: Müsste so etwas nicht längst Standard sein in deutschen Kitas, so grundlegend wie die Fähigkeiten sind, die hier vermittelt werden? Müsste es vielleicht, ist es aber offenbar nicht. „Sozial-emotionale Kompetenz steht in unserer Gesellschaft leider nicht um Vordergrund", so Heidrun Mayer, Gründerin und geschäftsführende 1. Vorsitzende von Papilio. „Zurzeit wird sehr viel Wert auf kognitive Bereiche wie die frühe Vermittlung von Fremdsprachen gelegt. Die Kinder sollen möglichst früh Englisch, Französisch oder Spanisch lernen. Die Frage: „Wie gehen wir miteinander um?" steht dabei nicht im Mittelpunkt. Da ist durchaus noch Luft nach oben."
Mittlerweile ist Papilio in 12 Bundesländern aktiv. Um die weitere Verbreitung des Programms von Papilio voranzutreiben, ist vor einiger Zeit auch die Spendenorganisation „Deutschland rundet auf" auf Papilio aufmerksam geworden, eine Aktion mit der Kunden bestimmter Geschäfte und Supermärkte bei jedem Einkauf ohne Mühe ein paar Cents für soziale Projekte spenden können. Letzte Woche erhielt Papilio daraus nun einen ersten Scheck. Betrag: Fast 300.000 Euro.
Das klingt gewaltig und ist eine große Hilfe für Papilio - bei einem Jahresbudget, das ansonsten bei knapp einer Million Euro liegt. Mit dem Geld der Summe des Schecks von „Deutschland rundet auf" vergibt Papilio Stipendien für pädagogische Teams, die im Bereich Kindergarten arbeiten. Rund 4.400 Kinder werden so eine soziale-emotionale Förderung nach dem Modell von Papilio erhalten. Insgesamt konnte Papilio bisher mehr als 5.500 Fachkräfte fortbilden und erreichte so mehr als 110.000 Kinder.
Es müsste noch viel mehr sein
Betrachtet man, wie viele Kinder es in Deutschland gibt, sind allerdings auch 300.000 Euro noch eine eher kleine Summe. Rund 500.000 Kinder werden jedes Jahr in Deutschland geboren. Um alle zu erreichen, bräuchte es hochgerechnet mehr als 100 Schecks wie den von „Deutschland rundet auf". Von einer dauerhaften Fortführung des Programms mal ganz abgesehen.
Manch einem mag das utopisch vorkommen oder einfach nur als ein weiteres soziales Projekt scheinen, das finanziell besser ausgestattet sein könnte. Überlegt man aber, wie viel eine Gesellschaft einsparen kann, wenn sie bei man der Förderung sozial-emotionaler Kompetenz im Kindesalter ansetzt, dann ist es eben nicht irgendein Projekt. Denn Jugendliche oder gar Erwachsene, die zu Sucht und Gewalt neigen, später nachträglich zu therapieren, ist um ein Vielfaches aufwändiger und viel weniger wirksam. „In der Jugendhilfe kostet ein einziger Tag weitaus mehr als bei uns die ganze Fortbildung einer pädagogischen Fachkraft", so Heidrun Mayer. Die Kosten jener, die später einmal in einflussreiche Positionen gelangen und dort Schäden in noch viel größerem Ausmaß anrichten, sind da freilich noch gar nicht mitgezählt.
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