"Alles begann mit einer guten Portion Leichtsinn und Faulheit: Nach der 11. Klasse schmiss ich das Gymnasium hin. Ich wollte lieber etwas Kreatives machen und bewarb mich als Grafiker. Kurz darauf bekam ich eine Absage. Freunde meiner Eltern empfahlen mir, Zahntechniker zu werden. 'Das ist auch kreativ', meinten sie, 'und du hast eine gute Perspektive!'
Ich war naiv genug, ihnen zu glauben, und machte die Ausbildung. Anschließend fand ich sofort einen Job. Dort saß ich dann in einem weißen Kittel in einem Labor, beleuchtet von Neonlicht, und feilte an Zahnprothesen. Nebenher lief das Chart-Gedudel von Radio RS2, meine Kollegen unterhielten sich über die neuesten Geschichten aus 'Bild' und 'BZ', und mein Chef kontrollierte ständig und rief: 'Mach hinne!'
Eines Tages hatte ich plötzlich im Theater, in der Berliner Volksbühne, ein großes Aha-Erlebnis: Ich stellte fest, dass ich die ganze Zeit das Bühnenbild betrachtete und erinnerte mich wieder, dass ich als Jugendlicher davon geträumt hatte, Bühnenbildner zu werden. Das war es! Ich wusste, dass es schwierig werden würde. Man brauchte eigentlich das Abitur, und am besten auch noch gute Kontakte. Aber dann dachte ich daran, wie ich eines Tages auf meinem Totenbett liegen und auf mein Leben zurückblicken würde, und sagte mir: Du musst es wenigstens versuchen.
Vorher musste ich allerdings noch meinen Zivildienst machen. Ich leistete ihn in einem Seniorenheim, meine Chefin wollte mich am Ende sogar zum Bleiben bewegen. Ich lehnte dankend ab: Tut mir leid, ich habe einen Traum zu verwirklichen! Mit dem Bühnenbild klappte es dann auch ziemlich gut. Ich machte mein Pflichtpraktikum bei einem Theater in Potsdam; anschließend ergab sich aus jedem Job ein weiterer, und bald kam die erste Festanstellung.
Die Jahre am Theater waren wunderbar für mich. Ich liebte den Lebensrhythmus, das kunterbunte Treiben und die vielen interessanten Leute, die ich traf. Eines Tages kam eine Frau an mein Theater. Sie kam direkt von der Schauspielschule, und wir verstanden uns super. Das war im Sommer 2005. Zuerst waren wir nur Freunde. Im Herbst kamen wir zusammen, und im Winter war sie auch schon schwanger. Es war völlig ungeplant, aber wir entschlossen uns, das Kind zu behalten.
In den ersten Monaten kümmerten wir uns abwechselnd um das Baby. Anschließend nahmen wir unsere Arbeit am Theater wieder auf. Es machte uns immer noch Spaß, und wir stiegen beide langsam auf. Je länger wir als Familie zusammenlebten, desto mehr merkten wir allerdings auch, wie schwierig es ist, Theaterleben und Kindererziehung unter einen Hut zu bekommen. Die Arbeit am Theater war extrem zeitaufwendig, gleichzeitig verdiente man nicht viel. Abends waren oft für einen von uns noch Proben, manchmal sogar für beide gleichzeitig.
Wie gehen wir eigentlich mit alten Menschen um?
Unsere Eltern halfen uns viel in dieser Zeit, aber irgendwann merkten wir, dass es so nicht weitergehen konnte. Da wir beide Familienmenschen sind, war klar, dass einer von uns im Beruf würde kürzertreten müssen. Und da ich von meiner Frau als Schauspielerin begeistert war und unbedingt wollte, dass sie in ihrem neuen Ensemble noch eine Weile spielen konnte, entschloss ich mich, selbst dem Theater den Rücken zu kehren.
Was ich als Nächstes machen würde, wurde mir klar, als ich eines Tages meine Großmutter in Tschechien besuchte. Sie war gerade in einem Heim untergebracht, weil sie sich den Oberschenkelhals gebrochen hatte. Die Alten liefen in Nachthemden umher, die Tapeten waren abgeblättert und der Putz bröckelte von der Decke. Und ich fragte mich, wie wir eigentlich zu Hause in Deutschland mit alten Menschen umgehen? Sind die Zustände bei uns nicht eigentlich auch weit entfernt von dem, was man Menschenwürde nennt?
In meinem Zivildienst hatte ich ja schon ein paar Einblicke erhalten. Schon damals war die Situation nicht gerade ermutigend gewesen, für mich war das allerdings nicht abschreckend, sondern gerade die Herausforderung. Wie kann man alten Menschen, die wir ja selbst in ein paar Jahren sein werden, ein menschenwürdiges Leben verschaffen? Und so rief ich meine ehemalige Chefin an und sagte: 'Erinnern Sie sich? Ich habe vor 15 Jahren meinen Zivildienst bei Ihnen gemacht. Ich würde jetzt gern meine Ausbildung bei Ihnen beginnen.'
Einen Monat später fing ich an. Mittlerweile bin ich im dritten Ausbildungsjahr und meine Einblicke in das deutsche Pflegesystem sind tief genug, um sagen zu können: Eigentlich bräuchte es hier eine Revolution. Aber das ist eine andere Geschichte."