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Eishockey in Deutschland: Unterkühltes Geschäft


Eishockey ist in Deutschland ein Minusgeschäft. Viele Klubs sammeln Verbindlichkeiten in Millionenhöhe und sind von großen Geldgebern abhängig. Ohne die Zuschüsse würde der Sport kaum funktionieren.

In der Herzblut Sport- und Musikbar im niedersächsischen Mellendorf hängt eine Medaille mit der Aufschrift: "Deutscher Meister 2009/2010". Wer wissen will, welche Liga gemeint ist, nimmt die goldene Plakette aus ihrem Rahmen. Auf der Rückseite steht "DEL", das Kürzel für die Deutsche Eishockey Liga, seit 1994 die höchste Spielklasse in Deutschland. Rechts daneben: zwei weitere Medaillen hinter Glas, für die Meistertitel in der Oberliga Nord 2014 und 2015. Jede einzelne gewonnen durch die Hannover Scorpions.

Ihr Eigentümer sitzt in einem Nebenraum. "Wir haben jedes Jahr gedacht, es wäre jetzt vorbei", sagt Marco Stichnoth, 53. Er war 21 Jahre lang in Hannover, als Manager, als Geschäftsführer, als Sportlicher Leiter. Seit ein paar Jahren gehört ihm nun diese Bar, 20 Kilometer nördlich von Hannover, sie ist sein Rückzugsort. Stichnoth hat mit dem Sport nichts mehr zu tun, 2017 machte er Schluss. Zuvor hatte er die Scorpions zur Meisterschaft geführt und sie dann in die drittklassige Oberliga begleitet - nach dem Lizenzverkauf.

Dass ein Eishockeyverein die DEL verlässt, weil das Geld nicht reicht, ist nicht ungewöhnlich. Bisher scheiterten 18 Klubs in der Liga, fast keiner aus sportlichen Gründen. Viele gingen insolvent, andere verkauften ihre Lizenz, wechselten den Standort oder stellten den Spielbetrieb ein. Zuletzt traf es 2016 die Hamburg Freezers, Hannover verschwand als Nummer 17, das war 2013.

"Alle denken immer, mit Eishockey könnten sie Geld verdienen"

Dabei ist Eishockey ein beliebter Zuschauersport in Deutschland. Nach den Zahlen, die von der Internationalen Eishockey-Föderation (IIHF) im März 2019 veröffentlicht wurden, liegt der Zuschauerschnitt in der DEL bei 6.215 Besuchern pro Spiel, das ist der viertbeste Wert einer Eishockeyliga weltweit. Nur in Russland, der Schweiz und den USA kommen mehr Menschen. Auch am Abend dürften viele Fans in Mannheim sein, wenn die Adler im ersten Spiel der Finalserie auf Red Bull München treffen (19.30 Uhr, TV: Sport1; Livestream: Magenta).

Dennoch ist der Sport für viele DEL-Klubs ein Minusgeschäft. "Alle denken immer, mit Eishockey könnten sie Geld verdienen, aber das ist nicht so", sagt Stichnoth. Über Jahre sammelten die Scorpions Verbindlichkeiten in Millionenhöhe: In der Meistersaison 2010 stand am Ende ein Verlust von 4,7 Millionen Euro. Die 14 DEL-Vereine sollen in der Saison 2015/2016 zusammen einen Betriebsverlust von 15 Millionen Euro erwirtschaftet haben, so erzählte es 2016 die Geschäftsführerin der Straubing Tigers, Gabriele Sennebogen.

Um zu überleben, braucht es fast immer einen potenten Geldgeber. Bei den Scorpions war das Günter Papenburg, 79 Jahre alt, ein millionenschwerer Bauunternehmer, der den Verein 2004 übernommen hatte. In zehn Jahren soll er gut 20 Millionen Euro in den Klub gepumpt haben, er glich negative Bilanzen aus und hielt die Scorpions künstlich am Leben. "Wir waren zu 2000 Prozent abhängig von Papenburg - ohne ihn wären wir nicht lebensfähig gewesen", sagt Stichnoth.

Kein Mäzen, kein Eishockey

Andere Teams tragen ihre Abhängigkeit im Namen. Die Thomas Sabo Ice Tigers aus Nürnberg werden vom gleichnamigen Schmuckhändler finanziert, in München zahlen Dietrich Mateschitz und der Red-Bull-Konzern, Mannheim wird von Dietmar Hopps Sohn Daniel und SAP geführt.

Dass Großkonzerne oder Gesellschafter die Klubs bezuschussen, ist die Regel, zu den Mäzenen gibt es selten eine Alternative. "Man muss froh sein, dass man sie hat, sonst wären die Klubs häufig gar nicht mehr existent", sagt Christoph Breuer, Sportökonom von der Sporthochschule Köln. Wenn der große Geldgeber jedoch nach kurzer Zeit die Lust verliert, droht häufig das Aus für den Verein.

Bei den Scorpions zog Papenburg 2013 den Schlussstrich. Die Deutsche Messe plante eine Multifunktionshalle in Hannover, eine direkte Konkurrenz für die Arena der Scorpions, die Papenburg gehörte. Der Klub war einst aus Wedemark in die Stadt gezogen, um mehr Zuschauer in die Halle zu locken. Doch die neue Konkurrenz war nur der Anlass für Papenburgs Abschied, nicht der Grund, denn Verluste machte der Klub schon lange.

Der Mäzen führte den Verein bis dahin nach seinen Vorstellungen. In der Meistersaison verlangte Papenburg von den Spielern, auf teilweise 15 Prozent des Gehalts zu verzichten. Er drohte mit dem finanziellen Rückzug, Stichnoth vermittelte, die Spieler akzeptierten widerwillig.

Auch ein Wechsel in die russische Liga KHL, in der auch Teams anderer Nationen mitspielen, wurde laut Stichnoth diskutiert, aber am Ende wieder verworfen. Die finanzielle Last drückte immer mehr, es machte keinen Sinn für Papenburg, die Scorpions weiter zu finanzieren. Weil die DEL eine Liga ohne sportlichen Auf- und Abstieg ist, wurde die Lizenz an den Höchstbietenden aus Schwenningen für etwa 1,5 Millionen Euro weitergereicht.

Bald soll es wieder Absteiger geben - ein wirtschaftliches Risiko

Die DEL ist ein exklusiver Kreis. Wer mitspielen will, muss Geld mitbringen und hoffen, dass ein anderer Klub seine Lizenz verkauft. Ab 2020/2021 sollen wieder Auf- und Abstieg eingeführt werden, das ist gut für den Wettbewerb, aber wirtschaftlich riskant. "Geschlossene Ligen sind finanzwirtschaftlich vernünftiger. Die Insolvenzgefahr ist am größten, wenn ein Team abgestiegen ist und nicht den direkten Wiederaufstieg schafft", sagt Sportökonom Breuer. Ein Klub muss jedoch für die Lizenz eine Sicherheit von 800.000 Euro hinterlegen, um seine Ernsthaftigkeit nachzuweisen.

Aus dem aktuellen TV-Vertrag mit der Telekom kann jeder der 14 Ligaklubs mit etwa 285.000 Euro rechnen. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass ein Topspieler etwa 300.000 Euro im Jahr verdient und das Durchschnittsgehalt bei 150.000 Euro liegen soll. Um die Gehälter zu drücken, haben viele Profis nur Neunmonatsverträge, in der spielfreien Zeit beziehen sie Arbeitslosengeld.

Die Spieler der Scorpions wechselten nach dem Lizenzverkauf teils zu Schwenningen, andere klagten auf Schadensersatz. Der Verein gründete sich neu, spielte fortan in der Oberliga und fusionierte 2017 mit dem Nachfolgeverein aus Mellendorf, einem Ortsteil von Wedemark. Bei der Feier zur Fusion, zurück im alten Stadion, überreichte Stichnoth den Meisterpokal von 2010, neben ihm schossen Flammen aus dem Boden, Fans jubelten. Es war sein Schlussstrich.

Und die Liga? "Die wird Schritt für Schritt so weiter dümpeln, wie sie das immer gemacht hat", sagt er. Aber das ohne ihn, zum Eishockey geht Stichnoth nicht mehr.


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