Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

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Artikel

Pater Pietro aus Assisi: Der Don Camillo von Untermenzing

München - Wenn Priester in den Urlaub fahren, springen Vertreter aus aller Welt für sie ein. Einer davon ist Pater Pietro aus Assisi. Jahr für Jahr bereichert er zwei Gemeinden im Münchner Nordwesten mit seinem italienischen Lebensgefühl.

Pater Pietro tritt hinter dem steinernen Altar hervor. Er läuft bis auf wenige Meter auf die Gemeinde zu und lässt seinen Blick über ihre Gesichter schweifen. Er will genau sehen, wer heute alles zum Gottesdienst gekommen ist. Dann erst beginnt Pietro seine Predigt. Nah bei den Menschen zu sein - das ist es, was der Priester mit dem italienischen Akzent liebt - daheim in Assisi ebenso wie in den Kirchen Sankt Raphael und Maria Trost in Moosach und Untermenzing. Hier vertritt er den Priester des katholischen Pfarrverbands und bringt ein wenig Dolce Vita in den Nordwesten der Stadt.

Mit vollem Namen heißt der 51-jährige Kapuzinerpater Pietro Maranesi. Auch wenn er Professor an der Päpstlichen Universität in Rom und Direktor eines theologischen Instituts in seiner Heimatstadt ist, bietet er jedem sofort das Du an.

Die Predigt, die er heute in Maria Trost hält, ist die letzte vor seiner Abreise, und sie könnte auch eine Parabel auf sein Leben sein. „Das Leben ist kein Einkaufszentrum, in dem man sich alles aussuchen kann." Während er spricht, gestikuliert er, zeigt immer wieder auf seine Zuhörer, auf sich und in Richtung Himmel. „Vieles lässt sich von uns nicht im Voraus planen und entscheiden."

So wie der Anruf, der ihn vor 26 Jahren nach München gebracht hat. Pietro hatte in einem Kloster in Münster und im Münchner St. Anton an theologischen Schriften und an seinen Deutschkenntnissen gearbeitet. Zurück in Assisi, rief ihn eine Münchnerin an, die er zuvor kennengelernt hatte: Der Pfarrer in Sankt Raphael sei krank, ob er ihn vielleicht vertreten könne. „War das Zufall?", fragt Pietro sich heute, „oder ist da vielleicht doch ein größerer Sinn dahinter?"

Wie dem auch sei, er habe jedenfalls prompt zugesagt, seine Kawasaki gepackt und sei über die Alpen gen München gebrettert - genauso wie ein Jahr später, als der Pfarrer im Urlaub war, und in den Jahren darauf.

In rund 200 Gemeinden in München und Freising ist das ähnlich geregelt. Sobald ein Priester in die Ferien geht, springen Vertreter aus aller Welt ein - meist aus Polen, aber auch aus Afrika, Asien oder Südamerika.

„Wir sind alle Pilger", folgert Pietro in seiner Predigt. Deswegen genieße er alles, was der Augenblick ihm biete: Die vielen Abendessen und Feste bei Familien der Gemeinde, Wanderungen in den Bergen, Touren mit dem Rennrad und nicht zuletzt die Zeit mit seiner „Maaama". So nennt er - mit italienischer Betonung - seine 75-Jährige Gastmutter, in deren Familie er jedes Jahr lebt.

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„Das ist jedesmal ein Geschenk für mich", sagt Pietro. Erste Falten haben sich um Augen und Mundwinkel gebildet. In seinem Leben hat er schon viel gelacht. Hin und wieder sucht er noch nach dem passenden deutschen Wort, aber selbst wenn er es nicht findet, verstanden hat ihn bislang jeder.

„Wenn er spricht, hat das so viel Witz, Energie und Charme", sagen Leute aus der Gemeinde über ihn. Mit seinen kurzen, aber prägnanten Geschichten mitten aus dem Alltag würde er sie alle erreichen.

„Ich habe fertig", scherzt Pietro am Ende der Predigt. Den Gottesdienst hält er ausnahmsweise mit Priester Alfred Giglberger gemeinsam, für den der Urlaub nun ein Ende hat. Die Gemeinde lacht mit dem oberbayerisch-italienischen Gespann und klatscht, als Giglberger sagt: „I hob mi bei eahm sofort sauwohl g'fühlt."

Nach der Messe bildet sich eine Traube von Menschen um Pietro. Viele wollen sich persönlich von ihm verabschieden. Als Geschenk wird er ein paar Flaschen Bier der Marke Edelstoff mit in die italienische Heimat nehmen - beklebt mit einem Bild von ihm mit Heiligenschein und der Aufschrift „Kapuziner-Bräu - Pietro Spezial."

Klar, der Abschied falle ihm jedesmal schwer, gibt der Pater zu. Aber das gehöre zu dem Leben eines Pilgers nun einmal dazu, und überhaupt: Im nächsten Jahr komme er ja wieder.

Dann muss er gehen. Er schwingt sich auf sein Radl, die Kutte weht im Fahrtwind, als sauste hier Giovannino Guareschis Don Camillo durch die Poebene. Als er an zwei Frauen der Gemeinde vorbeifährt, klingelt Pietro und ruft, ein letztes Mal für dieses Jahr, „Ciao!"

Von Jonas Gerding
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