Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

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Gruselkabinett im Glockenbachviertel

München - Gruselmasken und Horrorpuppen - in seinem „Halloween Gore Store" staffiert Randy Mikels jeden aus, der anderen einen gehörigen Schrecken einjagen möchte. Selbst der Tatort-Krimi hat bei ihm schon Silikon-Leichen bestellt.

Der Horror sitzt neben Randy Mikels im Rollstuhl. Die bleiche Silikon-Leiche starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Mikels wirft der greisen, abgemurksten Dame aus dem Keller von Hitchcocks „Psycho" einen gelassenen Blick zu. So schnell jagt ihm keiner einen Schrecken ein, dem Besitzer des „Halloween Gore Store" an der Müllerstraße im Glockenbachviertel.

Mikels hat es sich in einem staubigen Sperrmüllsessel neben der Grusel-Oma bequem gemacht und erklärt, welche Masken und Kostüme es ins Horror-Sortiment schaffen: „Wir fangen da an, wo der Kaufhof aufhört." Er grinst. Klar, die Provokation gehört hier seit 18 Jahren dazu.

Dafür schätzen ihn Halloween-Fans genauso wie die Betreiber von Wiesn-Geisterbahnen, die er mit mannshohen Zombie-Figuren ausstattet. Selbst der Fernseh-Tatort hat bei ihm schon mal drei „Wasserleichen" bestellt.

Bald ist Halloween - am 31. Oktober. Das Geschäft brummt. „Wie anderswo vor Weihnachten", sagt Mikels. Deshalb verkaufen sie von Mitte Oktober bis Mitte November auch im Lager in der Kultfabrik.

Ein zwei Meter großer Werwolf bewacht den Eingang auf der Laderampe. Dahinter beginnt ein Gruselkabinett, das man ebenso gut auf die Wiesn verfrachten könnte, wenn die Exponate nicht zum Verkauf stehen würden: Zwischen Grabsteinen wandeln Zombies, auf dem Tisch, an dem auch die Grusel-Oma tafelt, wimmelt es von Stoffratten, und in Regalen reiht sich Kopf an Kopf: verunstaltete Masken mit Messern im Hals und aufgeplatzten Wunden.

Mit seinen tätowierten Armen zerrt Mikels Skelette aus Kartons. „Als Deko für die Halloween-Party." An Fasching seien Hexenverkleidungen und Kostüme aus Horrorfilmen beliebt. Ob abgehackte Plastikbeine oder Vampirzähne - 5000 Artikel türmen sich in den Regalen des1400 Quadratmeter großen Lagers.

Während des Endspurts vor Halloween wuseln 15 Mitarbeiter durch die Gänge, öffnen Kartons aus Amerika und verpacken täglich bis zu 1000 Pakete für Kunden, die über das Internet Waren bestellt haben.

Unter Mikels T-Shirt zeichnen sich die Stunden im Fitnessstudio ab. Er trägt eine kurze Armee-Hose - wie sein amerikanischer Vater, der einst in Bad Tölz stationiert war. Von seinem Sohn, der als Kind heimlich ein Geisterheftchen nach dem anderen verschlang, hatte er sich beruflich nicht viel versprochen.

Dann flog Mikels mit 18 Jahren auch noch nach Los Angeles. Er lernte Piercings zu stechen bei einem der Pioniere des Geschäfts und öffnete - zurück in München - das erste Piercing-Studio der Stadt. Aus den Gruselcomics der Kindheit wurden Horrorfilme, deren Killer-Figuren bald die Wände des Studios schmückten. Bis immer mehr Kunden nicht nur ein Piercing gestochen haben, sondern auch eine Maske kaufen wollten. Mikels teilte den Laden: Piercings auf der einen, Schock-Artikel auf der anderen Seite.

Das war 1993. Piercing war für viele gleich Rotlichtmilieu - und Halloween ein Szene-Begriff. Heute ziehen verkleidete Kinder an Halloween von Haus zu Haus, während ihre Eltern in Dracula-Kostümen auf der Motto-Party aufkreuzen. Mikels Vater ist mittlerweile stolz auf seinen Sohn, der immer noch ein Piercing auf dem Nasenrücken hat.

Nicht jedem gefällt das Halloween-Geschäft. Gläubige seien schon mit Weihwasser in den Laden gestürmt, berichtet Mikels, und Tierschützer würden in Rage geraten über künstlichen Stierköpfe, die gehäutet und blutend die Wände schmücken. Oder über eine massakrierte Silikon-Maske: Mit Messern, Nägeln und Schrauben hat Mikels den Kopf auf Holzbretter gespießt und mit Airbrush das Fleischrot der Wunden gefärbt. Preis: 1000 Euro.

Trotz stundenlangen Schnibbelns an Silikon-Leichen - in seine Träume hat Mikels der Horror nicht verfolgt. Schließlich wacht daheim auf der Fensterbank kein Werwolf und keine Grusel-Oma, sondern ein Geschenk der Mama: ein Teddybär.

Jonas Gerding

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