Der Künstler Francesco Clemente ist nicht nur dafür bekannt, dass er Aktbilder von Gwyneth Paltrow gemalt hat. Nadeln, Nägel und gefesselte Hände wählt er oft als Motiv. Clemente über seine Bilder, Kate Moss und über Gewalt.
Francesco Clemente: Können wir uns auf die Fensterbretter setzen? Ich sitze so gern im Licht.
WELT ONLINE: Natürlich. Willkommen zurück in Berlin, Herr Clemente. 1984 hatten Sie eine Schau in der Neuen Nationalgalerie, nun stellen Sie in der Jablonka-Galerie den Bilderzyklus „Atlantic Avenue Paintings" von 2006 aus. Wie fühlt es sich an, nach zwanzig Jahren wieder in Berlin zu sein?
Clemente: Ich mag Deutschland. Ich komme aus dem Süden, und hier finde ich eine Inbrunst, mit der ich mich identifizieren kann.
WELT ONLINE: Sie sind gebürtiger Neapolitaner.
Clemente: Neapel ist eine schwierige Stadt, die man eher mit New York vergleichen kann als mit Berlin. Dort regieren Anarchie, Dramen, Tragödien.
WELT ONLINE: Dennoch haben Sie sich schon vor Jahren entschieden, in New York zu leben.
Clemente: Oh ja! Drama ist ein urmenschliches Bedürfnis. Wir alle sehnen uns nach Dramen!
WELT ONLINE: Wo fühlen Sie sich heute zuhause?
Clemente: Als Künstler sollte man sich nirgends daheim fühlen. Ich brauche Distanz, um Dinge wirklich zu spüren.
WELT ONLINE: Ihre neuen Arbeiten wirken gewaltsamer als Ihre früheren Werke.
Clemente: Ich sehe nie Gewalt in meinen Arbeiten. Die wird immer von Zärtlichkeit überdeckt. Malen ist ein sehr zärtlicher Vorgang, nie ein gewaltsamer.
WELT ONLINE: Und in Ihrer Motivwahl: Nadeln, Nägel, gefesselte Hände?
Clemente: Um Zärtlichkeit zu erreichen, muss man zunächst den Ozean der Gewalt überqueren. Mein Mentor Alighiero e Boetti war einer der brillantesten Künstler der Arte-Povera-Strömung. Meine eigene Generation wurde in den Siebzigern in den Bürgerkriegen geopfert. Wir mussten zum Objekt zurückkehren, die leeren Ideen bekämpfen. Frieden und Konflikt stehen sich in meiner Anschauung nicht gegenüber. Konflikte sind der Nährboden, den Frieden braucht, um zu wachsen.
WELT ONLINE: Ihre künstlerischen Einflüsse sind vielschichtig: Sie haben mit Basquiat gemalt, mit Warhol - und mit indischen Arbeitern.
Clemente: Es ist wichtig, ab und an zu vergessen, wer man selbst ist, wofür man sich hält. Kooperationen bringen mich an Orte, die ich allein nie aufgesucht hätte. Die Nähe von Basquiat oder Warhol habe nicht ich gesucht; ich wurde erwählt. Weshalb, weiß ich bis heute nicht. Warhol war ein Meister des Understatements. An Basquiat bewundere ich seinen Sinn für Poesie, für Worte. Mich zogen ebenfalls Dichter an: Allen Ginsberg, Gregory Corso, die Beatnik-Generation.
WELT ONLINE: Was fasziniert Sie an Indien?
Clemente: Theoretisch könnte man von Berlin nach Indien laufen, es ist ein und dasselbe Stück Land. Indien ist uns sehr nah, wie ein exzentrischer Onkel: Anders als die restliche Familie, aber eben doch der Onkel. Die indischen Arbeiter haben mich akzeptiert, ohne Fragen zu stellen, sie waren begeisterungsfähig, neugierig und haben mir viel gegeben - vor allem einen Sinn für Relativität.
WELT ONLINE: Ebenfalls ein Bespiel für eine ungewöhnliche Zusammenarbeit: In dem Hollywood-Film „Große Erwartungen" haben Sie Malereien für die Filmrolle von Ethan Hawke beigesteuert, einen jungen Künstler.
Clemente: Ja, und neulich hat mich sogar ein Programmierer angerufen und gefragt, ob er meine Werke in einem Video-Spiel verwenden dürfe. Ein Skate-Boarder fährt darin durch ein virtuelles Museum. Natürlich hat mir jeder abgeraten.
WELT ONLINE: Und Sie?
Clemente: Ich habe sofort zugestimmt, alle hielten mich für verrückt. Aber wenn es in meinen Werken nützliche Ideen gibt, gehören die nicht nur mir allein.
WELT ONLINE: Anders als die beeindruckenden Aktdarstellungen von Gwyneth Paltrow aus „Große Erwartungen".
Clemente: Die habe ich tatsächlich alle behalten. In „Große Erwartungen" habe ich gemalt, als wäre ich ein fremder Künstler, deshalb habe ich eine so besondere Beziehung zu diesen Bildern. Ich versuche, sie zusammenzuhalten - für eine gesonderte Schau, irgendwann.
WELT ONLINE: David Hockney haben Sie für ein Porträt Modell gesessen. Würden Sie auch für einen Akt zur Verfügung stehen? Lucian Freud zum Beispiel?
Clemente: Nein, ich hätte nie die Geduld, monatelang stillzusitzen. Wie Kate Moss.
WELT ONLINE: Würden Sie den nackten Lucian Freud malen wollen?
Clemente: Wenn ich wählen müsste, wäre mir das lieber. Dann wären wir wenigstens innerhalb eines Tages fertig.
WELT ONLINE: Sie lachen. Ist das eine Zusage?
Clemente: Das ist wirklich naughty! Na gut: Ja, ich würde Lucian Freud als Akt malen.
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