Johanna Pauls

Freie Journalistin, Nicosia

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Artikel

Virale Umfrage zu Gewalt an Frauen nur begrenzt aussagekräftig

Laut Umfrage soll ein Drittel der Männer Gewalt gegen Frauen akzeptabel finden. Dabei ist die Aussagekraft der Umfrage begrenzt.

Zu Beginn dieser Woche wurden Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, derer zufolge ein Drittel der Männer (in Deutschland) Gewalt gegenüber Frauen akzeptabel finden. Dutzende Medien titelten daraufhin entsprechend und stießen damit eine breite gesellschaftliche Diskussion an. Dabei vergaßen einige, dass es sich dabei allerdings nicht um eine wissenschaftliche Studie, sondern um eine Umfrage der Organisation „Plan International" handelt. Diese handle nach eigenen Angaben unabhängig und widme sich der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe sowie Gleichberechtigungsfragen im weiteren Sinne.

Befragung zum „Spannungsfeld Männlichkeit"

Die Umfrage wurde als standardisierte Online-Befragung im März 2023 durchgeführt. Insgesamt umfasste sie 2.000 Teilnehmende, jeweils 1.000 Männer und 1.000 Frauen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Im Rahmen der Befragung wurden Fragen zum „Spannungsfeld Männlichkeit gestellt". Diese bezogen sich auf Themen wie Haushaltsaufteilung, Beziehungen, Job und Familie. Laut „Plan International" handle es sich dabei um eine repräsentative Befragung.

Allerdings stellt sich durchaus die Frage nach der tatsächlichen Aussagekraft der Umfrage. „Plan International" selbst bezeichnet die Stichprobe als repräsentativ, doch dies trifft bei einer Stichprobe bekanntlich nur dann zu, wenn sie so ausgewählt ist, dass sich daraus Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit, hier also junge Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren in Deutschland, ziehen lassen.Im Falle der Umfrage seien auf Basis amtlicher Statistiken Quoten definiert worden, nach denen die Teilnehmenden ausgewählt wurden. Diese inkludierten drei Altersklassen sowie Abstufungen nach Schulstufe und eine Unterteilungen der Befragten je nach Region, aus der sie stammten.

Durch die Auswahl anhand dieser Merkmale sollte ein Abbild der Verteilung innerhalb der Bevölkerung geschaffen werden. Unklar ist jedoch, ob die erfragten Einstellungen und individuellen Charakteristika der Teilnehmenden, die für die Auswertung der Ergebnisse essentiell waren, wirklich repräsentativ für die deutsche Bevölkerung sind.

Auswahl der Umfrage-Teilnehmenden fraglich

Durchgeführt wurde die Umfrage in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut „transpekte" und einem Online-Panelbetreiber namens „Mo-Web". Solche Panelbetreiber verfügen üblicherweise über eine Sammlung an Menschen, die sich bereit erklären, an verschiedenen Umfragen teilzunehmen. Diese werden vorab beispielsweise via E-Mail zur Teilnahme eingeladen und können dann selbst entscheiden, ob sie Lust haben, an der Umfrage teilzunehmen. Oft bekommen die Teilnehmenden dafür eine Aufwandsentschädigung in Form eines (kleinen) Geldbetrags oder Ähnlichem.

In einem Statement, welches im Anschluss an die Veröffentlichung auf die Website gestellt wurde, erklärt „Plan International", dass die Teilnehmenden erst bei Anklicken des Links erfahren würden, wozu sie befragt werden. Somit solle verhindert werden, dass Teilnehmende selektiv an Umfragen teilnehmen. Ob sich dadurch eine repräsentative Abbildung der Bevölkerung darstellen lässt, ist dennoch fraglich. Um die Repräsentativität einer Studie zu gewährleisten, wählen Forschende üblicherweise eine zufällige Stichprobe aus, die die zu erforschende Grundgesamtheit entsprechend abbildet.

Männliche Gewalt gegen Frauen ist real

Die Zweifel an der Umfrage scheinen jedenfalls berechtigt. Die mediale Aufmerksamkeit, die der Umfrage zuTeil wurde, ist anhand ihrer begrenzten Aussagekraft durchaus zu hinterfragen. Auch wenn dadurch eine wichtige öffentliche Debatte rund um das Thema Gewalt gegen Frauen angestoßen wurde, muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass es sich hier nicht um eine groß angelegte, wissenschaftliche Studie handelt.

Dass männliche Gewalt gegen Frauen denncoh ein real existierendes Problem ist, zeigt hingegen eine aktueller Bericht der Entwicklungsagentur der Vereinten Nationen (UN). Dieser berücksichtigt 85 Prozent der Weltbevölkerung und zeigt auf, dass rund ein Viertel der Menschen es als „gerechtfertigt" empfindet, wenn ein Mann seine Frau schlägt. Außerdem würden knapp neun von zehn Befragten weiter massive Vorurteile gegenüber Frauen haben. Medial wurde dieser Bericht bisher allerdings kaum aufgegriffen.

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