Johanna Gollnhofer: Das hat viel mit der Idee des sogenannten Customer-Centric Marketing zu tun. Es bedeutet, dass man seine Marketingaktivitäten am Kunden ausrichtet. Das Mapping der Customer Journey ist ein tolles Tool, um dies zu bewerkstelligen. Eine Customer Journey besteht aus verschiedenen Touchpoints. Diese Touchpoints sind sozusagen die Berührungspunkte zwischen der jeweiligen Marke und dem Konsumenten. Es ist ein intuitives Tool, das einem erlaubt, die Konsumentenbrille aufzusetzen. Damit geht es weiter als andere Modelle, wie zum Beispiel der Sales Funnel, der eher die Markenperspektive abbildet und nur einen Teil der Customer Journey.
Die Customer Journey ist ein Tool, das weit über den eigentlichen Kaufprozess hinausgeht. Sie schliesst nämlich auch die Phasen vor und nach dem Kauf ein. So kann zum Beispiel eine Fluggesellschaft realisieren, dass Fliegen nicht nur die Zeit beinhaltet, die der Reisende im Flieger verbringt, sondern dass die Customer Journey schon die Anreise an den Flughafen umfasst. Die Customer Journey bildet also alle Interaktionspunkte mit einem Kunden ab, die direkten wie auch die indirekten. Durch sogenanntes Customer Journey Mapping kann man dann Einblicke in die Erfahrungen und Erlebnisse der Konsumenten gewinnen.
Dies wird oftmals mit dem Konzept der Personas bewerkstelligt. Personas sind fiktive Personen, die eine gewisse Zielgruppe abbilden. Am Beispiel der Fluggesellschaft könnte das etwa Ariane, 37, Business Traveller sein. Mit dieser Persona kann man dann die Customer Journey durchexerzieren und auch schön darstellen.
Nach meiner Erfahrung wird oftmals übersehen, dass die Touchpoints die Interaktionen zwischen Marke und Konsument anzeigen. Jedoch sind diese nur in unterschiedlichem Masse von der Marke kontrollierbar. So kann zum Beispiel eine Fluggesellschaft nur schwer beeinflussen, wie das Kundenerlebnis an der Sicherheitskontrolle ausgestaltet ist. Jedoch fliesst auch dieser Touchpoint in das Konsumentenerlebnis ein.
Die Customer Journey in der analogen Welt ist simpler und kontrollierbarer. Oftmals verläuft die Kommunikation einseitig von der Marke hin zum Konsumenten. Im Digitalen wird es komplexer und dynamischer. Kunden prägen aktiv Touchpoints mit. Zum Beispiel schreiben sie Online-Reviews oder erstellen eigenen Content. Insgesamt bedeutet das, dass die Customer Journey komplexer wird. Man sollte sich die Customer Journey deshalb nicht als sequenziellen Schritt-für-Schritt-Prozess vorstellen, sondern man findet auch viel Back-Loops. Das heisst zum Beispiel, ein Kunde geht zu einem vorherigen Touchpoint innerhalb des Kaufprozesses zurück. Einerseits erfordert das höheres Management und auch Koordination vonseiten der Marke, andererseits bietet die digitale Welt auch enormes Potenzial, den Kunden noch enger zu binden.
Das ist höchstwahrscheinlich eine Traumvorstellung. Es würde voraussetzen, dass man alle Berührungspunkte identifizieren und dann auch noch sinnvoll verbinden kann. Der Konsument springt aber sehr stark zwischen Kanälen und schaut sich auch unterschiedliche Marken an. Allerdings wird es im Digitalen vereinfacht, diese Spuren zu erkennen und auch zu analysieren. Der Kunde bewegt sich aber nicht nur auf den Touchpoints, die von Marken vordefiniert sind. Teilweise erschafft sich der Kunde auch die Touchpoints, wie zum Beispiel Online-Foren, die von Marken nicht vorgesehen sind und teilweise auch nur sehr schwer kontrolliert und gemanagt werden können. Was interessant ist: Ein Teil der Konsumenten versucht ja genau diese Berührungspunkte zu vermeiden. Ich denke da an anonymes Surfen oder ans Löschen von Cookies.
Die Themen Datenschutz und neue Technologien sind unzertrennlich. Laut dem Collingridge-Dilemma wird das folgendermassen erklärt: Die Auswirkungen auf die Privatsphäre und den Datenschutz können nur sehr schwer abgeschätzt werden, wenn sich die Technologie noch in der Anfangsphase befindet. Wenn die Technologie dann aber in den Lebenswelten der Konsumenten angekommen ist, kann man sie kaum mehr zurücknehmen. Das ist das, was wir verstärkt im Digitalen sehen.
Neue Technologien und Plattformen wie zum Beispiel Instagram entstehen. In den Anfangsjahren ist es fast unmöglich abzuschätzen, was das für den Datenschutz bedeutet. Und dann in den späteren Jahren ist die Plattform fast schon zu sehr festgefahren. Das heisst jetzt aber auch nicht, dass Datenschutz ein Ding der Unmöglichkeit ist. Auf Konsumentenseite sieht man ausserdem einen sogenannten Attitude-Behavior-Gap. Die Menschen sagen zwar: Privatsphäre und Datenschutz sind mir wichtig. Aber die Handlungen, wie zum Beispiel das Posten von Bildern, ist nicht mit dieser Einstellung abgestimmt.
Vereinfacht gesagt könnte man in einem zweistufigen Prozess vorgehen: Zuerst erstellt man Personas. Mit einem Mix aus qualitativen Ansätzen wie Interviews und Zahlen wie Klicks kann man dann die Touchpoints für diese Personas bestimmen.
Für den Anfang würde ich mit zwei bis vier Personas starten. Eine Customer Journey ist wie jedes Modell eine Vereinfachung der Realität und der Komplexität. Das heisst, eine Customer Journey sollte nur als Annäherung an die Realität gesehen werden, sozusagen als Leitplanke.
Methodisch ist eine Customer Journey anspruchsvoll, weil verschiedene Daten sauber und sinnvoll miteinander verbunden werden müssen. Zudem muss man auch offen sein, gewisse Details zu übergehen. Das heisst, man muss auch ein wenig den Perfektionismus aufgeben, um eine Customer Journey zu erstellen. Zudem erstellen Unternehmen oftmals Customer Journeys basierend auf ihren eigenen Annahmen. Sie sagen: Der Kunde verhält sich so und so. Dabei reden sie oftmals gar nicht mit dem Kunden.
Teilweise wird der Customer Journey vorgeworfen, dass sie zu anekdotisch sei und nicht die wirklichen Touchpoints mit dem Kunden abbilde. Ich glaube, man muss sich bewusst sein, wie die jeweilige Customer Journey erstellt wurde. Und danach muss man dann auch den Grad anpassen, inwiefern man die Customer Journey als bare Münze nimmt und wie stark sie die weitere Entscheidungsfindung beeinflusst.
Nach dem Kauf kommen noch viele Touchpoints, die oftmals von Marken nur sehr schwer kontrolliert werden können. Dann benutzt der Kunde ja zuerst einmal das Produkt. Man könnte sich auch vorstellen, dass die Konsumenten dann noch Bilder von der Benutzung des Produkts auf Instagram stellen. Oder selbst ein Review schreiben.
Das Customer-Journey-Konzept ist in seinen Grundlagen gleichgeblieben. Was sich verändert hat - und auch in Zukunft verändern wird - ist der Grad der Komplexität. So kommen beispielsweise konstant neue Touchpoints/Kanäle hinzu. So könnte man etwa an Voice Touchpoints denken. Was passiert wenn mein Kunde nun über Amazon Alexa mit meiner Marke spricht? Diese neuen Touchpoints sollten gemanagt und auch mit anderen Kanälen integriert werden. All dies sollte durch die Kundenbrille gemacht werden und nicht aus einer zu stark internen Perspektive. Schliesslich heisst es ja Customer Journey.
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