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Blaue Zauberstadt am Berg

Blaue Zauberstadt am Berg
Noch sind die Temperaturen in der marokkanischen Hafenstadt Tanger erträglich. Es ist Mitte Juni und an den breiten, langen Sandstränden tummeln sich die Badegäste. Von hier aus hat man stets die andalusische Küste und den Felsen Gibralta im Blick. Denn diese schmale Meerenge trennt ganze Kontinente, Südeuropa von Nordafrika.
Herkules soll die Erde hier gespalten haben
Der Mythologie nach soll Herkules die Erde hier gespalten haben, so dass die Berge auf der iberischen Halbinsel und gegenüber auf dem marokkanischen Felsen Dschebel Mura als die Säulen des Herkules bezeichnet wurden. Von den Karthagern im 5. Jahrhundert vor Christus gegründet, wechselten sehr häufig die Herrscher. Nach den Byzantinern, Arabern und Portugiesen kamen die Spanier im 16. Jahrhundert und im 17. Jahrhundert die Briten. Die privilegierte Lage von Nordafrika wurde auch von den Franzosen im 20. Jahrhundert als Protektorat besetzt, mit der Absicht, die Verbindung zu Algerien zu behalten.
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Die vielen wechselnden Nationalitäten waren für Tanger nicht immer leicht zu ertragen. Aber sie kreierten daraus einen besonderen Charme und prägten die Stadt, die in den 40iger und 50iger Jahren für Künstler und Intellektuelle wie Tennessee Williams, Liz Tayler und Barbara Hutton so begehrt war, dass sie dort wohnten und das Flair zwischen Orient und Okzident genossen.
"Der Himmel über der Wüste"
Der Schriftsteller und Musiker Paul Bowles zum Beispiel kam 1947 nach Tanger, wo er mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod 1999 lebte. In seinem Domicil in Tanger verfasste er unter anderem den berühmten Roman "Der Himmel über der Wüste", der später von Bernardo Bertolucci erfolgreich verfilmt wurde. Die entspannte Atmosphäre in der Stadt, die Vielfalt der muslimischen, jüdischen und europäischen Bevölkerung, die spannungsfrei miteinander lebt und sich gegenseitig respektiert kann man auch heute spüren.
Seit der Regentschaft von König Mohammed VI. erlebt die Hafenstadt mit rund 1 Mio. Einwohnern, wieder einen Aufschwung. Urbane Großprojekte werden verwirklicht. Der neue Seehafen Tanger-Med wird ausgebaut und soll wirtschaftlichen Fortschritt ermöglichen. Und so manche Prachtstraße wie die Avenue Mohammed trägt zur Modernisierung bei.
Dennoch ist in den Gassen der Medina (Altstadt), unterhalb des Sultanspalastes auf dem Kasbahfelsen (Festung) das lebendige Treiben erhalten geblieben. In engen, kleinen Geschäften werkeln Handwerker wie Schuster, Taschenmacher oder Schneider fleißig an ihren Babouches (Pantoffeln) oder an einer Djellaba (marokkanisches Gewand). In glänzenden Vitrinen präsentieren die Goldschmiede Ketten, Ringe, Kolliers und Uhren. Und freundliche Verkäufer winken die Besucher in ihren Laden, um die Kollektion an Lampen und Souvenirs anzupreisen.
Thé à la Menthe
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Bei einem heißen Glas Thé à la Menthe (Pfefferminztee), der aus den frischen Blättern der marokkanische Minze mit viel Zucker gemacht wird, plaudert man über dies und das. Um das Getränk nicht ganz so heiß zu servieren, wird beim Ausgießen hohes Geschick verlangt, wenn aus einer reichverzierten, bauchigen Messingkanne in einem hohen Bogen, ohne einen Tropfen zu verschwenden, die kleinen Gläser gefüllt werden.
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Für die anwesende Männerrunde mit ihren Shishas (Wasserpfeife) hat dieses Kunststück natürlich schon lange an Reiz verloren und gehört zur Routine. Unweit von der Einkaufsstraße in der Medina befindet sich auch die Amerikanische Gesandtschaft, die 1976 in ein Museum umgestaltet wurde. In den restaurierten Räumlichkeiten kann man 140 Jahre Zeitgeschichte nacherleben. Historische Gemälde, Möbel, Fotografien und politische Schriften bezeugen das diplomatische Verhältnis.
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Gassenlabyrinth in Blau
Nach ungefähr zwei Stunden Autofahrt durch die eher karge Landschaft erreichen wir Chefchaoun, das sich mit seinen rund 45.000 Einwohnern an den Berghang des Rifgebirges erstreckt. "Der Ortsname bedeutet übersetzt soviel wie: Schau auf die beiden Hörner", erläutert der marokkanische Guide Lofti. Und tatsächlich bei einem Blick nach oben auf das ca. 2.000 m hohe Gebirge erkennt man zwei Felsenhörner. Wahrscheinlich eine Orientierungshilfe für die im 15. Jahrhundert aus Spanien vertriebenen Muslime und Juden. Christen war der Zutritt damals strengstens verboten. Erst 1900 wurde Chefchaoun für die Allgemeinheit zugänglich gemacht. Doch von da an dauerte es nicht lange, dass die außergewöhnliche Stadt die Bewunderung erhielt, die ihr gebührt.
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Nach muslimischem Glauben hilft die Farbe Blau gegen das Böse. Also hat man überall die Wände, Mauern und Treppen des Ortes mit blauer Farbe getüncht. Wer heute durch das enge Gassenlabyrinth die vielen Treppen nach oben steigt, wird sich fühlen wie in einer Traumwelt. Denn es tun sich ungeahnte Blicke und Perspektiven auf. Farbensymphonien beginnen zu klingen, die vom helldunkel von Licht und Schatten stimuliert werden. Wie ein Rausch in Türkis, Azur- und Pastellblau fängt einem die Traumszenerie ein und beherrscht die Sinne. Die bunten Gewänder, die oftmals vor die kleinen Läden zum Verkauf aufgehängt sind und die lustigen, handgemachten Strohhüte mit farbigen Bommeln, die zur Tracht der Einheimischen gehören, tragen zum intensiven Farbenspiel bei.
Königspalmen vor dem Palast
Wahrscheinlich ist es ungerecht, wenn man kurz darauf die Stadt Tetouan besucht und sie vergleicht mit der Zauberstadt am Berg. Sie wird "weiße Taube" genannt und wirkt eher kühl und streng. Hier dominiert das Handwerk. Vom Silberschmied, über den Hochzeitausstatter, der stolz den Luxusanzug und das perlenbestickte Brautkleid in seiner Auslage präsentiert, bis hin zum Schuh- und Bürstenmacher verfügen sie alle über eine bestimmte Fertigkeiten, die unsere industriell geprägte Welt nicht mehr kennt.
Marokkos König Mohammed VI hat sich Tetouan für seine Sommerresidenz auserwählt, da sie angenehmes, gemäßigtes Klima hat. Gut bewacht von Soldaten, zwischen zwei hohen Säulen und acht hochgewachsenen Königspalmen liegt der weiße Palast des Königs.
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Bevor es wieder zurück nach Tanger geht, machen wir einen Besuch im Hotelrestaurant Blanco Riad, das im marokkanischen Stil eingerichtet ist und ganz typische Gerichte der Region auf der Speisekarte anbietet. Wir wählen eine Mahlzeit im traditionellen Tajine-Schmortopf gekocht, Kalbfleisch mit getrockneten Pflaumen und Aprikosen. Und als süße Nachspeise gibt es ein hausgemachtes Nougateis und dazu einen starken, heißen Mokka.
Szenenwechsel - nach Übernachtungen in typischen Landhotels wie das "Da Ba Sidi" in Chefaouen, mit marokkanischen Prunkbetten und bestickten Schleiervorhängen ausgestattet, bot das 2017 neu erbaute Hilton Hotel in Tanger für uns ein gewohntes Ambiente. Bei einem marokkanisch, mediterranem Frühstück genossen wir den traumhaften Panoramablick auf die Bucht von Tanger. Tradition und Moderne, gestern und heute sind wohl die Spannungsfelder, die Schwierigkeiten bereiten und zugleich den Charme des Landes ausmachen.

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