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Sagua La Grande aus dem Dornröschenschlaf erweckt

Sagua La Grande aus dem Dornröschenschlaf erweckt
Kuba hat ein neues Ziel für Touristen, die ein Stück unverfälschten Alltag erleben möchten: Die einstmals mondäne Kolonialstadt Sagua La Grande wurde von der sozialistischen Regierung aus dem Dornröschenschlaf geweckt und zu einem Rundreiseziel aufgemöbelt.

Geschützte Architektur


„Mein Gott, ist das hässlich hier“, murmelt der Taxifahrer, mit dem ich rund 50 Kilometer in einem klapprigen Lada unterwegs war. Es ging von Santa Clara – berühmt für die Che-Guevara-Gedenkstätte im Landesinneren von Kuba – nach Sagua La Grande. Über eine gut ausgebaute Route, die Staatsstraße 221, ist die Stadt gut zu erreichen.
Obwohl nur eine Autostunde von seinem angestammten Taxistand am Busbahnhof von Santa Clara entfernt, war der circa 60 Jahre alte taxista noch nie in seinem Leben in Sagua La Grande. „Warum auch?“ zuckt er mit den Achseln.
Kubanische Freunde, die meine Entdeckernatur und mein Faible für unverfälschte, authentische Landeserlebnisse kennen, hatten mir von der nördlich gelegenen Stadt erzählt. In Reiseführern, auch in solchen im Internet, taucht sie kaum auf. Dabei wurde sie von der sozialistischen Regierung in Havanna in den vergangenen Jahren einem Sanierungsprogramm unterworfen. Wie es zuvor schon alte Kolonialstädte wie Cienfuegos, Camagüey und Trinidad erfahren haben. Vor allem Trinidad hat von dem erfolgreichen Facelifting enorm profitiert, es gilt als absolutes Highlight auf Kuba-Rundreisen.

Wäsche statt Flaggen


Nun also Sagua La Grande. Die Stadt hat im Volksmund den Beinamen „Stadt der Flaggen“. Statt Fahnen weht allerdings eher zum Trocknen aufgehängte Wäsche im Wind. Die Peripherie der 50000-Einwohner-Stadt mag in der Tat nichts für visuelle Feinschmecker sein. Fabriken und windschiefe Hütten flankieren den Ankömmling. Auch eine Hochschule gibt es, ganzer Stolz ist die medizinische Fakultät.
Wir befinden uns allerdings noch ein paar Autominuten vom sehenswerten historischen Zentrum entfernt. Es wurde zum nationalen Denkmal Kubas erklärt. Hässlich ist definitiv anders. Angeblich besitzen über tausend Gebäude einen Schutzstatus. Unterteilt in vier Kategorien. Die höchste bedeutet oberste Dringlichkeit im Sanierungsprogramm. Bekanntermaßen sind viele historische Gebäude in dem wirtschaftsschwachen Land vom Verfall bedroht.
Was sich ein paar Nebenstraßen vom Zentrum Saguas weiter unschwer ablesen lässt. Denn zuerst geht es in ein abseits gelegenes Viertel. Meine Freunde haben mir die Adresse einer engagierten Einheimischen in die Hand gedrückt, vor deren unverputztem Haus ich nun stehe. Sie soll mich in die Geschichte und das Alltagsleben der Stadt einweihen.

Englisch büffeln für die Touristen


„Can I help you?“, ruft eine resolute weibliche Stimme. „Can I help you?“, schallt es im Chor. Ich platze mitten in einen Englischkurs. Der blonde Unbekannte wird von der Handvoll Schüler neugierig beäugt und bekichert. Die Einwohner sehen Europäer offenbar nicht alle Tage. Adela, die Lehrerin, ist ganz aufgeregt und bringt noch ihre letzten Lektionen zu Ende, bevor wir uns auf den Weg ins historische Zentrum machen.
Zum Glück per Radtaxi, denn die Mittagssonne ist kaum auszuhalten. Sie gebe neuerdings wieder Privatkurse, erzählt die pensionierte Lehrerin. Weil die Stadt aufgrund des Sanierungsprogramms auf Touristen hofft. Und damit auf bessere Verdienstmöglichkeiten. Bei ihren Schülern sind Jobs im Tourismus sehr begehrt. Wegen der Trinkgelder sind sie in Kuba weitaus lukrativer als etwa akademische Berufe.
Im Vorbeifahren zeigt sie mir den alten Bahnhof  von Sagua. Die Bahnstrecke führt an den weit außerhalb gelegenen Hafen. Vor kleinen Kiosken stehen Menschen Schlange, für Eiscreme, Pizza, belegte Brötchen – bocadillos – und Fruchtsäfte. Adela macht einen Abstecher in die frisch herausgeputzte Fußgängerzone, wo ich Geld tauschen, Lebensmittel und eine Internetkarte kaufen kann. Und in welchen Bars es kühle Getränke gibt. Wichtigste Info für potenzielle Touristen: all das geht in Sagua La Grande spielerisch, da Geschäfte und frisch aufgemöbelte Cafés und Restaurants  nur wenige Schritte vom zentralen Punkt entfernt sind, der fotogenen Plaza La Libertad.

Vor dem Café Real die üblichen Oldtimer


Am Rande des weitläufigen, adretten Platzes befindet sich das Café Real, das eigens für das Touristenprogramm der Regierung wiederbelebt wurde. Mit seinen massiven Holztüren ist es unübersehbar. Vor dem Gebäude parken die üblichen amerikanischen Oldtime. Aber nicht, um Touristen für eine Spritztour abzuschleppen – noch hält sich deren Schar in Grenzen. Drinnen erklingt Latin-Pop und Salsa. Bis in den späten Abend geht es im Café zu wie in einem Taubenschlag. Morgens gibt‘s cafecito und Sandwiches, abends Pizza und Cuba libre.
Auf den dick gepolsterten Boutique-Style-Sesseln nippt Adela an einem Cappuccino und erzählt: „Ich bin sehr glücklich, dass unsere Stadt vom Tourismusministerium auserwählt und renoviert wurde.“ Denn nun könne sie mit den Gästen die Kultur der Stadt teilen.
Sagua La Grande wurde erst 1812 gegründet und wuchs rasant. Grund war die florierende Zuckerrohrindustrie vor den Toren der Stadt. „Es war einmal eine sehr schöne und sogar die modernste Stadt in Kuba“, berichtet Adela. Die erste Stadt, in der es Strom und Telefon gab. Und ein gutes Dutzend Hotels, denn auch der Tourismus blühte einst. Die meisten wurden in Wohnhäuser umfunktioniert, die rostigen Schilder zeugen noch von der Vorgeschichte.
Übrig geblieben sind nur drei nennenswerte Häuser, allen voran das Hotel Sagua. Es steht direkt neben der Kirche und erdrückt sie fast mit seiner Wucht. Das mondäne, komplett renovierte Hotel im eklektizistischen Stil hat aufgrund seiner hohen Zimmerzahl eine Schlüsselfunktion im Wiederbelebungsprogramm für die Stadt. Und soll ganz nebenbei dafür sorgen, den Rundreise- und Individualtourismus in Kuba zu stärken. Auf einer feierlichen Ansprache vor den Bewohnern der Stadt versprach Tourismusminister Manuel Marrero, dass das „Haus nicht nur gut renoviert wurde, sondern auch gut geführt“ werde.

Ungeschminkter Alltag


Serviceleistungen waren in den vergangenen Jahren häufiger Grund für Beschwerden von Pauschaltouristen, wie Marrero offen zugibt. „Wir arbeiten daran“, versichert der Minister und überträgt die Leitung wichtiger Hotels gerne in die Hände ausländischer Ketten.
Nun, die mitunter etwas behäbige Servicementalität der Kubaner empfinden die einen als Grund zur Klage, die anderen sehen darin Folklore – und Teil eines authentischen Kuba-Erlebnisses. Offenbar gibt es nicht wenige, die gerade das an der Insel schätzen. „Autentica Cuba“ lautet seit Jahren der Claim der Tourismuswerbung. In Sagua ist man definitiv richtig, wenn man ungekünstelten, ungeschminkten Alltag in Kuba erleben möchte. Die Bewohner wirken nicht geschäftig oder gar aufdringlich wie in manchem kubanischen Touristen-Hotspot, eher höflich zurückhaltend.
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In der Rooftop Bar des Hotel Sagua kann man das Facelifting für die Stadt von oben begutachten. Und die Tatsache, dass vor allem das Zentrum davon profitiert. „Dort hinten liegt die Triumphbrücke“, erklärt Adela eines der architektonischen Highlights, „und dort hinten ist ein hostal, wo Du heute übernachten kannst.“  Sie greift zum Telefon und ruft den Besitzer an. Man kennt sich in Sagua.
Und dann zeigt sie weit in die Ferne, wo der Hafen liegt, Isabela de Sagua. „Dort gehen wir morgen Fisch essen“, befiehlt Adela, „es wird Dir gefallen.“ Für ein paar Pesos kommt man mit dem Zug dorthin. Der Hafen mit seinem Fischerdorf  ist auch eine gute Option für Backpacker, die am Strand von Isabela abhängen wollen. Mit Blick auf ein paar der schönsten Cayos, vorgelagerten Inselchen, von Kuba. Dort hat die Regierung noch einiges vor. Hotels sind im Bau. In Isabela selbst entstand schon ein neues Marina-Gebäude für Yacht-Besitzer.
Doch davor will ich noch das Nachtleben von Sagua La Grande auschecken. Auch dafür hat das Tourismusministerium vorgesorgt: Die Bar „La Jungla“ wurde neu eröffnet. Der Name ist eine Hommage an Wifredo Lam. Der Künstler war der bedeutendste Sohn der Stadt. Sein Gemälde „La Jungla“ hängt im weltberühmten Museum of Modern Art in New York.

Bar „La Jungla“ mit Tiefkühleffekt


Ein Dschungel ist diese Diskobar nicht wirklich, sondern ziemlich clean und mit modernstem Equipment und allzu gut funktionierender Klimaanlage ausgestattet. Karibik-Kenner kennen die seltsame Marotte der Einheimischen, alles tiefzukühlen. Nun gut, zum Ausgleich gibt es heißte Latino-Rhythmen, die aus den Lautsprechern wummern. Zumeist Reguetón. An der Bar sitzen Emely und Giselle, beide 20, und nippen an einem Mojito (die übrigens sehr zu empfehlen sind). Beide studieren Medizin. Emely will später Gerichtsmedizinerin werden, Giselle Kinderärztin. Schönheitschirurgie hat keine auf dem Zettel. Darum hat sich in Sagua La Grande schon die Regierung gekümmert.



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