Existentielle Bedrohung: Anwohner wehren sich gegen den Titicacasee als Kloake
Am Ufer angekommen, trifft sie auf Gui Barreras. Er steuert das Boot, mit dem Maruja zu einer Insel gelangen möchte. Das Tagesziel der Umweltaktivistin: 130 tote Tiere sammeln. Symbolisch für die 130 Kongressmitglieder in Perus Hauptstadt Lima. Sie will diese mit deren Namen versehen vor die Tür des Kongresses legen. Wenn sie nicht zur Verschmutzung kommen, muss die Verschmutzung zu ihnen, so ihre Devise. Kopfschüttelnd sucht Gui das grünliche Wasser ab. Ein öliger Film liegt darüber, an manchen Stellen schwimmen Fetzen von Plastik, Tüten und Flaschen. Das Boot passiert ein Stück Fell: Ein totes Rind hebt sich von den Algen ab. Bis vor drei Jahren war Gui Fischer. "Hier gab es Fische, Vögel. Ich habe früher an dem See gearbeitet, jetzt arbeite ich in anderem Bereich, hier gibt es kein Leben mehr. Das Wasser können wir nicht mehr trinken, wir sind krank, mir schmerzt der Magen."
Der See riecht süßlich. Die Verunreinigung ist menschengemacht. Über eine Million Menschen leben in der Region. Ihre Abwässer gelangen ungefiltert in den Fluss Coata, der den See speist. Maruja drückt ihren bunt bestickten Trachtenhut fester auf den Kopf und fischt mit dem Ruder eine Windel aus dem Wasser. "Sie nutzen die und schmeißen sie in den Fluss Coata. Sie glauben, dass das ein Mülleimer ist. Sie haben überhaupt kein Gefühl dafür, dass es hier Gigantenfrösche gibt und was sie Flora und Fauna antun."
Kläranlagen gibt es nicht.
Ungefiltert gelangen Exkremente, aber auch Chemikalien aus Krankenhäusern ins
Wasser. Hinzu kommen Schwermetalle aus nahe gelegenen Minen. Viele von ihnen
werden illegal betrieben. Davon sterben nicht nur die Tiere, sagt Maruja. "Die
Kinder fühlen sich schlecht, bekommen Durchfall, den nächsten Tag sterben sie.
Hier sind so viele Kinder gestorben, wir haben einen Friedhof voller Kinder.
Deshalb mache ich weiter."
Die nationale Wasserbehörde ANA prüft
das Wasser regelmäßig. Demnach sind darin zu finden: Quecksilber. Arsen. Blei. Minenabfälle.
Dazu kommen Krankheitserreger wie Ecoli-Bakterien und Parasiten. Einen
Zusammenhang mit erkrankten oder gar gestorbenen Tieren und Menschen lasse sich
dennoch nicht erkennen, sagt Jorge Calisaya von der Regionalregierung der Stadt
Puno. "Die
innere Bucht ist verschmutzt, das stimmt, aber wir dürfen die Bevölkerung auch
nicht unnötig in Panik versetzen. Es gibt verschiedene Krankheiten,
aber es gibt da keine Studien, ob das an der Verschmutzung liegt."
Guis Boot legt an. Kaum hat Maruja einen Fuß auf Land gesetzt, schon streckt sie den Zeigefinger aus. 130 tote Vögel für 130 in Marujas Augen ignorante Kongressmitglieder zu sammeln – das fällt der Umweltaktivistin auch heute nicht schwer. Nur die vom Aussterben bedrohten Riesenfrösche entdeckt sie nicht. "Es scheint so, als würde es jetzt schon keine Frösche mehr geben."
Nach Angaben von Perus Regierung werden derzeit zehn Kläranlagen in der Region gebaut - ab 2022 sollen sie einsatzbereit sein. Der Limnologe Rene Alfaro erforscht den Titicaca-See seit 30 Jahren. Er glaubt nicht an die Versprechen der Zentralregierung in Lima. "Es geht nicht nur darum, die zu bauen, sondern auch im laufenden Betrieb zu bezahlen. Wer bezahlt am Ende die Kosten für die funktionierenden Kläranlagen? Die Bevölkerung. Das wird nicht gehen in einer Region extremer Armut, das akzeptiert hier keiner."
Dennoch rät der Limnologe dringend,
zu handeln. Sonst, so schätzt er, gibt es den Titicaca-See in 50 Jahren nicht
mehr. So lange kann Maruja nicht mehr warten. Mit 130 Vogelkadavern macht sie sich
auf den Weg nach Lima. Und scheitert bereits nach drei Kilometern auf einer
kleinen, staubigen Strasse auf der Hochebene. Ihr Bus kommt nicht weiter, weil
Bauern der Region streiken. Tagelang blockieren sie die Straßen mit großen
Steinen. Sie streiken gegen die Verschmutzung ihres Titicaca. Die
Zentralregierung in Lima bekommt von diesem Protest allerdings nichts mit.
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