Seit den Anschlägen islamistischer Terroristen in Paris, den Vorfällen in Kopenhagen und dem Vormarsch der Terrormiliz IS im Nahen Osten wird mehr denn je über den Islam und seine Heilige Schrift - den Koran - diskutiert. "Er ist ein Handbuch für Gewalttäter und Terroristen", denken manche heute. Doch so einfach ist es nicht: Vieles aus dem Koran klingt nämlich nicht viel anders, als das was in der Bibel steht.
von Jennifer Stange, MDR INFO
Dialog mit einer älteren Dame in der FußgängerzoneReporterin: "'Jene Frauen, deren Widerständigkeit ihr befüchtet, ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie.' - Wo steht das?" Frau: "Könnte der Koran sein." Reporterin: "Richtig, das ist der Koran. Noch eins: 'Ist's aber Wahrheit, dass die Dirne nicht ist Jungfrau gefunden, so soll man sie heraus vor die Tür ihres Vaters Hauses führen, und die Leute der Stadt sollen sie zu Tode steinigen.' - Wo könnte das stehen?" Frau: "Auch Koran." Reporterin: "Nein, das ist Mose." Frau: "Ach, so grausam kennt man das gar nicht. Altes der Neues Testament?"
Gewalt gegen Frauen in Bibel und KoranDas 5. Buch Mose ist Teil des Alten Testaments in der Bibel. Doch auch im neuen Testament kommen Frauen nicht gut weg - genauso wie an vielen Stellen im Koran. Sie sollen dem Mann Untertan sein. Diese religiösen Vorstellungen gelten in den meisten westlich geprägten Ländern als weitgehend überholt. In vielen islamischen Ländern bestimmen sie den Alltag zwischen Mann und Frau. Und auch Verstöße gegen religiöse Gebote werden zum Teil noch brutal bestraft. Gewalt im Dienst der Religion? Was sagen Bibel und Koran dazu?
Dialog mit einem Herren in der FußgängerzoneReporterin: "'Doch jene meine Feinde, die nicht wollten, dass ich über sie herrschen sollte, bringet her und erwürget sie vor mir.' - Woher stammt das?" Mann: "Aus dem Koran." Reporterin: "Falsch, das ist Lukas, Neues Testament." Mann: " Ich weiß, dass vieles ähnlich ist. Auch mit den gewaltbeschreibenden Szenzen - sowohl im Koran als auch in der Bibel. Die meisten denken, der Koran sei besonders blutrünstig. In der Bibel gibt es viele Stellen, die auch in die Richtung gehen."
Erklärung der Wissenschaft22.02.2015, 05:00 Uhr | 03:20 min
Doch woher kommt diese Ähnlichkeit zwischen Koran und Bibel, die Laien die Unterscheidung so schwer macht? Islam-Wissenschaftler Hans Goldenbaum von der Universität Halle hat eine Erklärung dafür: "Der Koran ist ja nicht als etwas völlig anderes entstanden. Der Entstehungskontext des Koran ist die Spätantike. Und der Koran bezieht sich auch sehr stark auf die Bibel: aufs Alte wie aufs Neue Testament, auf christliche und jüdische Erzählungen und Traditionen. Deshalb finden wir hier natürlich sehr viele Parallelen." Die drei bekannten Buchreligionen - Judentum, Christentum und Islam - haben mehr oder weniger voneinander abgeschrieben. Die Erzählungen sind zum Teil identisch, die Personen gleich. Das hören manche Gläubige nicht gern, die Wissenschaft hat daran aber keinen Zweifel.
Dialog mit einer Frau in der FußgängerzoneReporterin: "'Und tötet sie (die heidnischen Gegner), wo (immer) ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben!' - Stammt dieses Zitat aus der Bibel oder aus dem Koran?" Frau: "Das könnten beide sein. Ich würde eher die Bibel nennen." Reporterin: "Das ist der Koran." Reporterin: " Das ist der Koran!? Mord und Totschlag gibt's scheinbar überall."
Aneignung des historischen Textes für PropagandaAuf dem Papier finden sich Gewalt und brutale Strafen - sowohl im Koran als auch in der Bibel. Kriege im Namen des Glaubens sind für Christen allerdings schon sehr lange weitestgehend Geschichte. Der Dschihadismus - der Krieg im Namen des Islam - ist allerdings traurige Gegenwart. Die heiligen Schriften haben damit aber eher wenig zu tun, meint Goldenbaum: "Wenn man sich die islamistische Gewalt und Propaganda anguckt, dann geht es hier nicht um Unterschiede in den sakralen Schriften, sondern dann geht es um unterschiedliche Aneignungen des historischen Textes. Heute passiert das auf islamistischer Seite vor allem im Rahmen eines politischen Projekts, indem man Zitate aus der islamischen Tradition in die eigene Propaganda einfügt."
Der Islamismus sei kein historisches sondern ein modernes Phänomen, so Goldenbaum. Entscheidende Behauptungen, mit denen Dschihadisten im Namen des Islam hantieren, würden sich im Koran nicht einmal finden lassen: Die Hoffnung von Märtyrern beispielsweise, die glauben, nach dem Tod mit Jungfrauen belohnt zu werden, könnte in einer großen Enttäuschung enden.
Zuletzt aktualisiert: 22. Februar 2015, 10:36 Uhr