Bundesweit zählen die Sicherheitsbehörden 6.300 Salafisten. Mitteldeutschland gehört nicht zu den Zentren der Bewegung: Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt geht von einer niedrigen zweistelligen Zahl aus, für Thüringen registrierte der Bundesverfassungsschutz 50 Personen, für Sachsen immerhin 100. Regionale Medien zwischen Hamburg und Berlin berichten von radikalen Islamisten, die in Schulen und Jugend-Einrichtungen versuchen, an Einfluss zu gewinnen. Wir haben uns deshalb gefragt: Gibt es dieses Phänomen auch Mitteldeutschland?
von Jennifer Stange, MDR INFO
Toleranz und OffenheitReinhard Grütmacker leitet den offenen Jugendtreff am Rabet im Leipziger Osten - einer der ganz wenigen Orte in Sachsen, wo auch migrantische Kinder und Jugendliche ganz selbstverständliche ihre Nachmittage verbringen. "Wir haben mal alle Jugendlichen Flaggen von dem Land malen lassen, aus dem sie kommen. Da sind 13 Länder zusammengekommen. Die Flaggen haben wir auch in unserer Einrichtung aufgehangen, um zu sehen, welche Vielfalt hier gelebt wird."
Unter den Kindern und Jugendlichen sind auch Muslime: "Die muslimisch erzogenen Mädchen und Jungs treten hier sehr tolerant auf und gehen auch tolerant miteinander um." Diese Jungen und Mädchen machen selbstverständlich nicht von sich reden. In den Schlagzeilen stehen derzeit hauptsächlich Salafisten. Schon mit etwa 100 Personen, die laut Verfassungsschutz dieser strenggläugiben Ausprägung des Islam angehören, gilt Leipzig im Osten als Hochburg: "Wir haben das Salafismus-Thema aufgegriffen und mitbekommen, dass Jugendliche in die Richtung abrutschen und sich radikalisieren könnten. Es wurde ja sogar eine Weiterbildung dazu durchgeführt. In unseren Reihen und nach unserer Erfahrung haben wir hier diese Erscheinung nicht so."
Zwischen Glauben und Glaubenskrieg21.11.2014, 08:18 Uhr | 03:00 min
Weil es in anderen Jugendeinrichtungen der Stadt fünf sogenannte "Anwerbeversuche" geben hat, reagiert das Jugendamt nun mit Weiterbildung für Sozialarbeiter. Ulrike Hinkelmann, zuständig für Jugendschutz, hat sich mit den Fällen beschäftigt: "Die Einzelfälle, die darüber gesprochen haben, haben berichtet, dass zwei Jugendliche auf einen anderen Jugendlichen zugegangen wären und ihn quasi mit ihren religiösen oder politischen Anschauungen und Einstellungen konfrontiert haben und derjenige sich einfach bedroht gefühlt hat." Zwischen der Werbung für den Glauben und dem Aufruf zum Dschihad liegen Welten. Weil aber laut offiziellen Angaben mittlerweile mehr als 300 Fanatisierte aus Deutschland auf Seiten des IS kämpfen, soll auch in Leipzig sensibilisiert werden.
Es gibt nicht "den Salafisten"Solveig Prass von der Beratungsstelle für Prävention zu Sekten und Kulten leitet die Präventionsveranstaltungen im Auftrag des Jugendamts und rät, jenseits von Vorurteilen genau hinzuschauen: "Gar nicht die Migranten sind bei uns das Problem, sondern die Deutschen, die Konvertiten. Das sind auch die, die sich am schnellsten radikalisieren lassen, weil sie gar nicht wissen, was Islam bedeutet. Es geht nicht nur über den Islam, sondern auch über gewaltbereite Jugendliche ohne jeden Glauben, die sich von solchen Kampfeinsätzen anziehen lassen." Junge Männer würden sich vor allem über so genannte Kampfvideos im Netz radikalisieren. Angestachelt durch Szenen, in denen Muslime angegriffen, unterdrückt und gedemütigt werden, sollen sie in den Krieg ziehen, um den wahren Islam zu retten.
Anfällig seien vor allem Salafisten, heißt es. Gegen sie verbrüdern sich Nazis, Hooligans und rechtsradikale Patrioten auf Deutschlands Straßen - auch in Dresden machen sie Front gegen die angebliche "Islamisierung". Prass warnt vor Pauschalisierungen: "Selbst im salafistischen Bereich haben wir verschiedenen Strömungen. Da gibt es die Friedfertigen, die wirklich den Frieden predigen; da gibt es die Politischen, die sich sogar an der Politik in der Gesellschaft, in der sie leben, beteiligen; aber da gibt es dann auch diesen Bereich der Salafisten, wo zum Kampf aufgerufen wird."
Muslime stehen unter Generalverdacht"Wir sind für Frieden" steht auf dem einen Plakat, das in den Fenstern der Al-Rahman Moschee in Leipzig hängt - "Wir sind gegen Gewalt und Terror" auf einem anderen. Man weiß hier offenbar, das man unter Beobachtung steht. Ein Interview lehnt der Imam jedoch ab. Der Verfassungsschutz zählt seine Gemeinde zum politischen Islam - gewaltbereite Salafisten sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes aber nicht darunter.
Dennoch geraten nicht nur sie, sondern alle Muslime schnell unter Verdacht - eine Erfahrung, die für muslimische Jugendliche viel alltäglicher ist als der Glaubenskrieg, weiß Reinhard Grütmacker, Leiter des offenen Jugendtreffs am Rabet im Leipziger Osten: "Sie sind sensibilisiert. Sie spüren, dass sie mit anderen Augen angesehen werden - misstrauischer. Und das tut denen einfach weh, weil sie sich nicht angesprochen fühlen und weil sie sich nicht in diese Richtung drängen lassen wollen."
Zuletzt aktualisiert: 21. November 2014, 05:00 Uhr