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Spermidin: Das Wundermittel für ein langes Leben?


Haben wir das Wundermittel gefunden, welches ein langes und gesundes Leben möglich macht? Longevity-Anhänger schwören auf die Einnahme von Spermidin. Auch Wissenschaftler konnten in Studien zeigen, dass Spermidin unser Leben verlängern könnte. Funktioniert es wirklich? Und wie kann man es einnehmen? Was ein Experte sagt


Der Wunsch, lange und gesund zu leben, treibt uns Menschen um. Wie großartig wäre es, ein Mittel zu finden, welches wir einfach schlucken könnten, um besonders alt zu werden? Und das ohne Demenz und anderer Krankheiten wie Krebs?


Haben wir das Wundermittel etwa bereits gefunden, welches unser Leben verlängern kann? Longevity-Anhänger sind davon überzeugt. Der Begriff ist seit ein paar Jahren in den USA in vieler Munde, bedeutet auf Deutsch "Langlebigkeit". Besonders Tech-Millionäre und CEOs aus Silicon Valley haben sich auf die fixe Idee eingeschossen, nicht nur gesund zu leben - sondern so lange wie möglich.

Spermidin: Wie sich ein Tech-Millionär damit verjüngen will

Dafür investieren sie Unmengen von Geld. Tech-CEO Bryan Johnson (45) etwa hat das Ziel, biologisch wieder 18 Jahre alt zu werden. Um das zu erreichen, beschäftigt er 30 Ärzte und Experten. "Project Blueprint" nennt er das Projekt, welches zwei Millionen Dollar pro Jahr verschlingt. Seine Ärzte sind überzeugt, ihn bereits 5 Jahre jünger gemacht zu haben. Wie? Unter anderem, indem er sich vegan ernährt, jeden Tag eine Stunde trainiert - und neben anderer Nahrungsergänzungsmittel jeden Morgen 13,5 Milligramm Spermidin in seinem "The Green Giant"-Smoothie zu sich nimmt.

Und auch der deutsche Bestsellerautor Bas Kast ("Der Ernährungskompass") schwört auf Spermidin, nimmt es regelmäßig ein, wie er im Interview mit GEO.de verriet.

Wo ist am meisten Spermidin drin? Pilze, Weizenkeime - und Sperma

Spermidin, das klingt doch wie...? Genau. Spermidin ist ein Bestandteil des männlichen Ejakulats Sperma. Das biogene Polyamin wird in der Prostata gebildet und kommt als Botenstoff auch in anderen Körperflüssigkeiten und in jeder Körperzelle vor. Doch nicht nur dort.

Auch viele Lebensmittel beinhalten Spermidin. Folgende Nahrungsmittel enthalten besonders viel Milligramm pro Kilogramm:

Weizenkeime: 243 mg/kg Sojabohnen (getrocknet): 207 mg/kg Kürbiskerne: 104 mg/ kg Pilze: 89 mg/kg Erbsen: 46 mg/kg

Im Vergleich dazu enthält Sperma nur relativ wenig Spermidin: 15 bis 50 Milligramm pro Liter.

Was kann Spermidin? Verjüngung der Zellen

Als wissenschaftlich erwiesen gilt, dass Spermidin die Autophagie anregt - die Selbstreinigung und Verjüngung der Zellen. Beschädigte Zellen werden bei der Autophagie von einer Membran überzogen und verdaut. Der Müll wird praktisch aus den Zellen entfernt. Dadurch werden alte Zellen wieder funktionsfähig - und leben länger. Dieses Recycling-Programm hält die Zellen fit und schützt vor Krankheiten. Auch beim Fasten wird übrigens die Autophagie angeregt.

Mit zunehmendem Alter gerät die Autophagie jedoch ins Stocken. Es gibt Proteinablagerungen und dysfunktionale Mitochondrien in den Zellen. Wenn Spermidin unsere Zellen repariert, kann dann eine Einnahme - über die Ernährung oder über Nahrunsgergänzungsmittel - wirklich das Leben verlängern?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich die wissenschaftlichen Ergebnisse der Studien ansehen, welche bislang zu Spermidin gemacht wurden.

Kann Spermidin das Leben verlängern? Studien-Ergebnisse

Forschende der Universität Hannover haben untersucht, was eine Einnahme von Spermidin bewirken kann. Für ihre Studie haben sie gealterten Mäusen sechs Monate lang Spermidin über das Trinkwasser zugeführt. Das Ergebnis: Im Vergleich zu nicht-behandelten, altersgleichen Tieren zeigten die Mäuse deutliche Anti-Aging-Effekte. "Die Spermidin-Zufuhr hat dafür gesorgt, dass die Tiere weniger Nieren- und Leberschäden und eine bessere leistungssteigernde Glukoseversorgung im Gehirn entwickelten", erklärt Studienleiter Professor Ponimaskin. Auch der altersbedingte Haarverlust fiel deutlich geringer aus als bei der Kontrollgruppe.

Ob dieser Effekt auch beim Menschen funktioniert, haben Wissenschaftler*innen der Universität Innsbruck untersucht. 20 Jahre lang sollten 829 Proband*innen im Rahmen der Bruneck Studie ein Ernährungstagebuch führen. Sie mussten angeben, wie oft sie bestimmte Nahrungsmittel zu sich nehmen. Das Ergebnis der Studie: Proband*Innen, die viel Spermidin über die Ernährung zuführten, also mindestens 80 µmol (Mikromol) Spermidin pro Tag, wiesen ein deutlich geringeres Risiko auf, im 20-jährigen Beobachtungszeitraum zu versterben. "Der Überlebensvorteil von spermidinreicher im Vergleich zu spermidinarmer Ernährung (<60 µmol pro Tag) beträgt rund fünf Jahre", sagt Jungforscher Raimund Pechlaner.

Wir können mit Spermidin also fünf Jahre länger leben? Das wollten wir genauer wissen. Und haben mit dem Neurologen Stefan Kiechl gesprochen, der sowohl die Studie verantwortete, als auch an der Medizin Universität Innsbruck VASCage leitet. Ein Zentrum, bei dem sich alles um gesundes Altern dreht, und bei dem altersbedingte Veränderungen der Blutgefäße erforscht werden - zusammen mit weltweit führenden Fachleuten aus Universitäten, Klinken und Unternehmen.

Experte sicher: Menschen, die viel Spermidin zu sich nehmen, leben länger

"Die Aussage, dass man mit Spermidin fünf Jahre länger lebt, ist natürlich plakativ", sagt Kiechl im Gespräch mit GEO.de. Dennoch seien die Studienergebnisse repräsentativ. "Man kann durchaus sagen, dass Menschen, die viel Spermidin zu sich nehmen, länger leben", sagt Kiechl.

Bei Obvervationsstudien muss man immer Störfaktoren ausklammern. Haben die Menschen, die bei der Studie aus Innsbruck besonders alt wurden, sich einfach generell gesünder ernährt und sich viel bewegt - und deswegen länger gelebt? Kiechl sagt, diese Störfaktoren hätte man berücksichtigt. "Dennoch gab es bei Spermidin einen signifikanten Effekt." Der endgültige Beweis sei nur durch eine Interventionsstudie zu liefern. Diese sei bei VASCage bereits geplant, die Ergebnisse sollen in wenigen Jahren veröffentlicht werden.

Eine Einnahme von Spermidin könne dem Körper viel bringen, ist sich Kiechl sicher. "Spermidin verjüngt nicht nur die Zellen, sondern dämpft auch Entzündungen und senkt das Cholesterin im Körper." Auch der Blutdruck sei niedriger, Demenz wäre seltener vorhanden, hätten Studien gezeigt. Um absolut sicher zu gehen, brauche es auch dazu noch weitere Interventionsstudien.

Statt wie beim Fasten für die Autophagie aufs Essen verzichten zu müssen, könne man einfach spermidinhaltige Lebensmittel zu sich nehmen.

Spermidin: Warum Nahrungsergänzungsmittel häufig nichts bringen

Das Besondere an Spermidin sei, dass man es quasi nicht überdosieren könne. "Auch bei höheren Mengen gibt es keine Nebenwirkungen." Das gelte allerdings nur für die Einnahme über die Nahrung. "Medikamente, welche die Autophagie anregen, haben immer Nebenwirkungen." Und was ist mit Nahrungsergänzungsmitteln?

Seit einigen Jahren macht sich die Industrie den wachsenden Spermidin-Hype zu nutze. Nahrungsergänzungsmittel kosten nicht selten 80 Euro pro Dose, und sind derzeit dennoch häufig ausverkauft. Die jeweiligen Firmen würden das Geld aber nicht in weitere Studien über Spermidin investieren, was die Forschung voranbringen würde. "Es gibt Präparate, denen nur 1 Milligramm pro Kapsel zugesetzt ist. Die Dosierung muss natürlich höher sein", sagt Kiechl. Man sollte mindestens 5 Milligramm täglich zu sich nehmen, um einen Effekt zu merken. "Wenn man viele Vollkornprodukte, Gemüse, Sprossen, Pilze und Sojaprodukte zu sich nimmt, ist das leicht zu schaffen."

Wenn all die notwendigen weiteren Studien die Wirkung von Spermidin beweisen - wovon Kiechl ausgeht - dann erst wissen wir mit absoluter Sicherheit, ob Spermidin wirklich das Wundermittel ist, für das es viele halten. Laien genauso wie Experten.


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