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Der Ukraine-Krieg belastet viele: So schützen Sie Ihre Psyche

Der Krieg in der Ukraine macht auch vielen Deutschen Angst – auch vor einem möglichen Atomkrieg. (kreiszeitung.de-Montage) Vadim Ghirda/dpa/imago

Der Krieg in Europa macht vielen Angst. Zwei Psychologen erklären, wer eine Therapie braucht, und wer nur eine TV-Pause. Und warum es ok ist, sich auch zu freuen.


Berlin - Es lässt sich nicht schönreden: Die derzeitige Lage in der Welt ist vor allem eines - deprimierend. In den Nachrichten sehen wir zerstörte Krankenhäuser und flüchtende Kinder, auf jedem Kanal läuft eine Sondersendung über Putins Krieg in der Ukraine. In Europa! Sogar von einem möglichen Atomkrieg ist die Rede*. Das ist niederschmetternd, das belastet die Psyche. Und diese ist nach zwei Jahren Corona-Pandemie bei vielen ohnehin angeschlagen: Laut des Deutschland-Barometers Depression fühlte sich die Mehrzahl der Gesamtbevölkerung (67 Prozent) im Jahr 2021 zunehmend bedrückt.

Psyche durch Corona in Deutschland belastet - nun kommt der Ukraine-Krieg

Besonders bitter: Gerade schien sich die Corona-Lage in Deutschland endlich zu entspannen. Und nicht nur die, auch die Menschen schienen im Ausblick auf Lockerungen und Normalität besser drauf zu sein. Doch die Euphorie hielt nur kurz an. Jetzt folgt auf die eine Katastrophe die nächste - etwa durch den Krieg in der Ukraine und der folgenden humanitären Katastrophe. Die Gefahr: Wenn unsere mentale Gesundheit zu lange strapaziert wird, kann sie sich zunehmend verschlechtern. Und die Wahrscheinlichkeit einer Depression steigt. Aus diesem Grund sollten vor allem Menschen, die derzeit noch andere, private Probleme belasten, jetzt auf sich aufpassen.


Angst in Zeiten des Ukraine-Krieges zu haben, ist vollkommen normal

„Unsere Psyche ist derzeit einer Dauerbelastung ausgesetzt, und das merkt nahezu jeder von uns auf seine eigene Weise", erklärt Dr. Markos Maragkos im Gespräch mit kreiszeitung.de im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Der Leiter der Psychotherapeutischen Ambulanz AVM in München weiß: „Jeder reagiert sehr individuell auf solch extrem belastende Ereignisse - und geht auch unterschiedlich mit ihnen um." Typisch seien eine erhöhte körperliche Grundanspannung, sorgenvolle Gedankenketten und Schwierigkeiten bei der Konzentration.

Wer gerade Angst hat oder sich Sorgen macht, muss nicht daran zweifeln, ob das noch normal ist. Solange man noch in der Lage ist, seinen Alltag gut zu bewältigen, ist mit einem alles in Ordnung. „Aufgrund der aktuellen Kriegssituation ist Angst das Normalste auf der Welt", sagt Maragkos. „Ich als Psychotherapeut würde mir eher Sorgen machen, wenn wir in dieser Zeit keine Angst hätten. Denn sie ist ein wichtiger Hinweis, dass eine bestimmte Gefahr auf uns lauert und soll uns zur Vorsicht und zum richtigen Handeln animieren."

Trotzdem ist es gut und wichtig, sich zwischendurch auch mal abzulenken. „In Krisenzeiten nutzen wir Menschen oft unterschiedliche Schutzmechanismen, die sich bei uns in der Vergangenheit bewährt haben", erklärt Nathalie Krahé, Diplom Psychologin und Coach in Frankfurt. Der eine isst in diesen Tagen etwas mehr, um sich zu beruhigen. Der andere setzt auf Verdrängung, schaut keine Nachrichten und blendet aus, was ihn zu sehr belastet. Dann gibt es noch solche, die sich ablenken - sie gehen Fußball spielen oder in Clubs feiern.


Ablenken mit Feiern trotz Ukraine-Krieg - ist das moralisch ok?

Und das, während Bomben auf den europäischen Nachbarn abgeschossen werden. Ist das moralisch überhaupt vertretbar? „Ich denke, ja", sagt Nathalie Krahé. „Auch, wenn man sich jetzt beim Treffen mit Freunden mal schlapp lacht, ist das vollkommen in Ordnung. Denn auch Humor, besonders ein zynischer, ist ein Abwehrmechanismus, der Abstand schafft."

„Ja, es ist Realität, dass ein schrecklich ungerechter Krieg ganz in der Nähe stattfindet. Aber dass wir hier in Sicherheit sind, und die Sonne scheint, ist auch Realität", sagt Krahé. Es sei in Ordnung, sich darüber auch zu freuen. Man könne beides gleichzeitig: Betroffen sein, und sich freuen, wenn etwas Schönes in seinem Leben passiert.

Während im Krieg in der Ukraine Bomben fallen: Studentin geht auf Friedens-Demos und würde gerne in Clubs

So macht es auch die Hamburger Studentin Una Pajic (24). Letzte Woche ist sie mit ihrer Mutter auf eine Friedens-Demo gegangen und hat mit ihrem Vater Sachspenden für die Flüchtlinge aus der Ukraine* gekauft. Dennoch hätte sie jetzt, da die Clubs wieder öffnen dürfen, Lust auf Party - wenn auch mit einem schlechten Gewissen. „Meine Freunde waren letzten Freitag bis um 6 Uhr morgens feiern, haben dann zwei Stunden geschlafen und sind dann zu einer Demo gegen den Krieg gegangen. Ich finde, dann ist das ok."

Belastungen durch Ukraine-Krieg: Schalten Sie den Fernseher auch mal aus

Unas Freund Luca Mack (25) hat die vergangenen Tage eine Twitter-Pause eingelegt. „Ich hatte zwei Wochen so viele tote Soldaten auf Social Media gesehen, so viel über Kinder gelesen, die gestorben sind - ich brauchte mal eine Pause." Sich Auszeiten von den schrecklichen Bildern in den TV-Nachrichten* und im Internet zu gönnen, ist total in Ordnung. Wer merke, dass ihn diese Szenen wirklich belasten und traurig machen würden, der könne auch einfach mal morgens und abends das Radio einschalten, um informiert zu bleiben, empfiehlt Krahé. Das reiche.

Denn: Wegen des Ukraine-Kriegs fühlen sich viele Deutsche jetzt ohnehin machtlos und ausgeliefert. Wer sich jetzt noch aus Pflichtbewusstsein den ganzen Tag die schrecklichen Bilder in den Nachrichten ansieht, und jeden Tag trauriger wird, der hilft den Ukrainern damit auch nicht.


Krieg und Corona-Pandemie: Menschen, die zu Depressionen neigen, sollten jetzt besonders auf sich achten

Sensible Menschen neigen dazu, sich ohnehin zu viele Gedanken zu machen. Bei Menschen mit entsprechender Verletzlichkeit („Vulnerabilität") können solche Ereignisse wie der Russland-Ukraine-Konflikt tatsächlich depressive Symptome auslösen und in einigen Fällen sogar behandlungsbedürftige depressive Episoden. „Besonders Menschen, die in der Vergangenheit solche Phasen hatten, sind oft stärker gefährdet, erneut mit depressiven Symptomen konfrontiert zu sein", sagt Maragkos.

Diese Maßnahmen helfen in Krisenzeiten - abgesehen von einer Therapie Eine Tagesstruktur gibt Orientierung durch den Tag. Eine Arbeit gibt das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Zeiten den Rückzugs, auch Pausen innerhalb des Tages, sind „Tankstellen", wo sich unsere Psyche kurz ausruhen und wieder zu Kräften kommen kann. Gespräche mit engen Freunden stärken das Gefühl der Zugehörigkeit, man fühlt sich nicht allein.

Der Ukraine-Krieg bringt Sie stark in Grübeln? Wie Sie aus der Hilflosigkeit herauskommen

Viel besser als Grübeln und traurig sein ist ohnehin: Dankbarkeit empfinden dafür, dass wir in einem demokratischen Land leben, in dem kein Krieg herrscht. Und: Aktiv werden! „Denn dadurch kommt man von der Hilflosigkeit wieder ins Tun. Und man erlangt man wieder ein Stück Kontrolle über die Situation zurück", sagt Krahé, die im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. ist.

Also: Wer Geld spendet, einen Karton mit Konserven und Verbandszeug packt, auf eine Demo geht oder sogar Ukrainer bei sich zu Hause aufnimmt, der macht alles, was er selbst tun kann. Wer Geflüchtete zu Hause aufnimmt, der macht alles, was er selbst tun kann. Welche Schritte Wladimir Putin als nächstes plant, können wir persönlich hingegen nicht beeinflussen. Also sollten wir uns auch nicht ständig damit auseinandersetzen - es sei denn, wir sind ranghohe Politiker, die wirklich Einfluss haben und etwas bewegen können.

Wann ist die Angst vor einem möglichen Atom- oder Weltkrieg durch Putin noch normal - und wann übertrieben?

Ältere Menschen belastet derzeit die Sorge vor einem möglichen Atomkrieg* oder einem dritten Weltkrieg. Bei vielen werden Erinnerungen aus der Zeit der Kalten Krieges oder sogar noch aus dem Zweiten Weltkrieg wach. Manche kaufen sogar schon Jodtabletten oder bunkern Lebensmittel.

„Kriegserlebnisse werden nie im wahrsten Sinne des Wortes vergessen", sagt Psychotherapeut Maragkos. „Solche Erinnerungen können sehr leicht wiederbelebt werden." Das Alter schütze hier wenig und die Zeit heile auch nicht alle Wunden. „Diese Erinnerungen tun weh und machen Angst - trotzdem sollten wir uns mit diesen auseinandersetzen", empfehlt Maragkos. Das Beste sei, sie als „das zu sehen, was sie sind: Erinnerungen, die Teil unseres Lebens und die für uns von existentieller Bedeutung sind. Angst lässt in der Regel nach, wenn man sich ihr zuwendet, anstatt sie zu vermeiden."

Wenn Sie jemanden in der Familie haben, der sich gerade sehr viele Sorgen macht, können Sie selbst auch etwas tun. Und zwar, in dem Sie einfach da sind und zuhören. „Viel zu tun, ist oft gar nicht nötig. Zeit, Aufmerksamkeit, Verständnis und Mitgefühl zu schenken, wirken oft enorm", so Maragkos. * 24hamburg.de , fr.de und kreiszeitung.de sind Angebote von IPPEN.MEDIA.


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