Eine Weltreise mit Rad - das war Felix Starcks Traum. Untrainiert fuhr er los. Sein Reisepartner ließ ihn im Stich, sein Opa starb, er bekam eine Lungenentzündung. 17.918 Kilometer, 365 Tage, 22 Länder später ist er ein anderer geworden.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich zu Hause nicht gedacht: Umsorgt werden ist super, ich bleibe hier?
Starck: Ich habe bewusst alles in einem Hotel in Belgrad gelassen: Fahrrad, Klamotten, Kameraausrüstung, Laptop, alles. Also musste ich zurück.
SPIEGEL ONLINE: Und Ihr Partner?
Starck: Er ist zwar mit zurückgeflogen, aber schon vorher sagte er mir, das würde ihm alles zu viel. Meine Meinung: Er hat eine Ausrede gesucht, um abbrechen zu können. Heute würde ich sagen: Jeder hat nur drei bis vier enge Freunde auf der Welt, mit denen er so eine Reise machen kann. Und selbst da würde es jeden Tag mal knallen. Wir kannten uns erst ein paar Monate. Daher war es ziemlich naiv, gemeinsam zu einer Weltreise aufzubrechen.
SPIEGEL ONLINE: War es hart, so allein?
Starck: Ich hing in Belgrad, war schwach von der Lungenentzündung, hatte Reizhusten. Die Nächte waren schlimm. Hustenanfälle, kalter Schweiß und Besoffene, die grölend durch die Tür fallen. Am dritten Tag fuhr ich weiter. Da wurden mir die Ausmaße von Fynns Abschied bewusst. Kettenwechsel stand an, Navigieren klappte nicht gut - alles Aufgaben von Fynn. Ich schaffte es trotzdem und schlug nach 60 Kilometern mein Zelt auf. In dieser Nacht habe ich dann beschlossen: Ich werde nicht aufgeben und weiterfahren! Ich wollte es allen beweisen. Ab dann wurde es die Reise meines Lebens.
SPIEGEL ONLINE: Während Ihres Trips haben Sie eine Dokumentation gedreht, der Trailer ist sehr emotional. Was waren die schönsten Momente auf Ihrer Reise?
Starck: Die der Gastfreundschaft: Wildfremde Menschen nehmen dich auf, bekochen dich, bieten dir einen Job an und fragen dich, ob du für immer bleiben willst. Am ersten Tag wurden wir gleich eingeladen von einer Frau. Wir durften in ihrem Garten campen, sie hat uns Nudeln gekocht und uns Wein ausgegeben.
SPIEGEL ONLINE: Wo waren die Menschen am nettesten?
Starck: In Neuseeland bin ich kaum zum Radfahren gekommen. Wenn ich mal an einer Straßenkarte stand, haben die Leute angehalten, mein Rad eingeladen, mich mitgenommen in ihr Haus, ein Barbecue gemacht, und dann konnte ich dort übernachten. Wahnsinnige Gastfreundschaft von Menschen zwischen 20 und 70 Jahren.
SPIEGEL ONLINE: Es gab auch negative Erfahrungen. Sie wurden mal von der Polizei ausgeraubt auf dem Trip.
Starck: Ja, das war in Kambodscha. 150 Kilometer nach Siam Reap, nirgends war irgendetwas, es gab nur eine Polizeistation. Da habe gefragt, ob ich übernachten kann. Um fünf Uhr standen die vor mir, mit Knüppeln, und sagten nur: "Money, Money." Ich meinte: "20 Dollar für die Übernachtung?" Und die: "Alles, was du hast." Dann haben die Polizisten mir meinen Geldbeutel aus der Hand gerissen, alles rausgenommen, Kreditkarten drinnen gelassen und gesagt, ich könne mich jetzt verpissen. Ich hatte gerade 400 Dollar abgehoben.
SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie Angst?
Starck: Es ging. Zum Glück hatte ich meinen Laptop und die Kamera in den Fahrradtaschen und sah arm aus. Das hab ich also alles behalten. Irgendwie habe ich sie verstanden: Da kommt so ein junger Weißer mit 'nem schicken Rad, der Geld hat. Die haben gar nichts. Bevor ich gefahren bin, haben die sich auch bedankt.
SPIEGEL ONLINE: Ohne Geld, irgendwo in der Pampa - und dann?
Starck: Das Schlimme war: Da waren 40 Grad Celsius, und ich hatte kein Wasser und kein Geld. Ich bin die ganzen 150 Kilometer bei glühender Hitze zurückgefahren und dann kurz vorm Verdursten und völlig unterzuckert in die erste Tankstelle gefallen. Das war echt knapp.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben vorhin gesagt, nach den Startschwierigkeiten war es die beste Reise Ihres Lebens. Haben Sie trotzdem noch mal überlegt, abzubrechen?
Starck: Zwei, drei Mal. Wenn ich Heimweh hatte oder als mein Opa gestorben ist. Der war einer der wichtigsten Menschen für mich. Mein Mentor. Drei Stunden saß ich vor dem Computer und hatte den Pfeil der Maus auf den "Jetzt Buchen"-Knopf gerichtet. Ich habe ewig überlegt, ob ich zurückfliegen und abbrechen soll. Ich bin dann weitergefahren. Für Opa. Für die Familie. Und für mich.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie das mal bereut?
Starck: Nein. Als ich bei meiner Rückkehr in meine Heimatstadt gefahren bin, bin ich erst mal auf den Friedhof und habe mich verabschiedet. Bevor ich irgendjemand anderen getroffen habe.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sagen, Sie sind heute ein anderer als vor der Reise?
Starck: Ich bin heute viel zufriedener. Das hat zwei Gründe: Ich habe ein Jahr lang vollkommen einfach gelebt. Für den Morgenkaffee musste ich erst einmal Wasser organisieren und dann ewig auf dem Gaskocher erhitzen. Anschließend Kaffee- und Milchpulver rein. Nicht so lecker. Hier habe ich jeden Tag ein sauberes Bett und eine Dusche. Morgens drücke ich auf einen Knopf und es kommt warmer Kaffee aus der Maschine. Wahnsinn.
SPIEGEL ONLINE: Was hat Sie noch zufriedener werden lassen?
Starck: Im Gegensatz zu den armen Menschen, die ich auf der Reise gesehen habe, bin ich reich. In Kambodscha haben die Menschen gar nichts. Und sind trotzdem glücklich. Dort leben Menschen mit amputierten Gliedmaßen, die sechs Kinder haben und trotzdem alles auf die Reihe kriegen. Ich habe eine Überschwemmung in Thailand mitbekommen, nach einem Taifun. Die Menschen hatten alles verloren, saßen auf der Straße. Und haben mir zugewunken, als ich vorbeigefahren bin.
SPIEGEL ONLINE: Was machen die anders als wir?
Starck: Bei uns will man immer mehr: größer, schneller, besser. Die Buddhisten in Asien sind zufrieden, machen sich nicht so viele Gedanken darüber, was alles anders sein könnte. Wir denken immer im Scheißkonjunktiv. In Asien interessiert die Menschen nicht, was sein könnte. Die leben den Moment.
SPIEGEL ONLINE: Versuchen Sie, auch so zu leben?
Starck: Ja, aber das klappt jetzt ganz automatisch. Ich werde nie vergessen, was ich auf der Reise gelernt habe, kann viel mehr wertschätzen. Meckere weniger, wenn etwas mal nicht so läuft. Wenn ich beim Arzt zwei Stunden warten muss, weil das Wartezimmer voll ist. Vor zwei Jahren wäre ich noch ausgeflippt. Heute lässt mich das kalt.
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