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Beziehungsprobleme: Wenn Liebende sich nicht binden können

Sie leben in einer Beziehung - und fürchten sie. Sie wollen keinen Sex mehr, sie können nicht mal küssen. Menschen mit Bindungsangst sorgen für ständige Verunsicherung beim Partner. Wie geht man damit um?


Es ist ein schmerzhafter Satz: "Es tut mir leid, aber ich kann gerade keine Beziehung führen." Menschen, die sich so äußern, nur Fernbeziehungen hatten oder immer dann Schluss gemacht haben, wenn es ernst wurde, wollen und können sich tatsächlich nicht binden: Psychologen sprechen von Bindungsphobikern.

"Die Störung kann entstehen, wenn man in einer früheren Beziehung sehr verletzt wurde", sagt Stefanie Stahl, Psychotherapeutin und Autorin des Buchs "Jein. Bindungsängste erkennen und bewältigen." Meist werde sie aber in den ersten beiden Lebensjahren gebildet. "Sie sitzt also sehr tief."

Wie viele Menschen tatsächlich bindungsgestört sind, lässt sich mit Studien schwer belegen. Betroffene sind sich oft der tatsächlichen Ursache ihrer Probleme nicht bewusst oder leugnen sie. "Hinzu kommt, dass Psychotherapeuten das Problem ihrer Patienten häufig nicht als Bindungsangst diagnostizieren", sagt Stahl.

Gestörte Mutter-Kind-Beziehung

Dabei haben Bindungsphobiker oft einen ähnlichen Hintergrund: Viele wurden in ihrer Kindheit überbehütet oder vernachlässigt. Eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung oder ein schwieriges Verhältnis zum Vater können Ursache für die Bindungsangst sein.

In der Regel ist die Mutter Hauptbezugsperson. Deshalb üben sich die Kindheitserfahrungen besonders bei Männern negativ auf die Bindungsfähigkeit aus. Einige haben als Erwachsene große Angst davor, wieder von einer Frau eingeengt, enttäuscht oder verlassen zu werden.

Diese Ängste sind den Betroffenen gar nicht bewusst, vielmehr fühlen sie nur ein diffuses Gefühl der Einengung. Ihre Lösung: Vermeidung oder Flucht. "So sind nahe und vertrauensvolle Beziehungen von Anfang an zum Scheitern verurteilt", sagt Stefanie Stahl.

"Es gibt Bindungsängstliche, die wenig Leidensdruck verspüren, aber auch solche, die sehr unter ihrem Problem leiden", sagt Stahl. Doch Doris Wolf, Psychotherapeutin aus Mannheim, die sich unter anderem auf Partnerschaft spezialisiert hat, sagt: "Menschen, die Bindungsangst haben, kommen nur selten in Therapie. Sie sehen sich selbst nicht als gestört."

Eigentlich wünscht sich der Liebesphobiker Nähe

Dabei wünscht sich der Liebesphobiker eigentlich nichts sehnlicher als Nähe. Ambivalent wie er ist, sagt er nicht wirklich ja, aber auch nicht nein zum anderen. Und geht Beziehungen dennoch ein - ob locker als Affäre, Fernbeziehung oder sogar in Form einer Ehe.

Neben dem Nähe-Distanz-Problem gibt es ein weiteres: In einer Beziehung muss man Erwartungen erfüllen. Zuverlässig sein, pünktlich zurückrufen, Pläne für die Zukunft schmieden. Erwartungen sind aber Gift für den Bindungsphobiker, bedeuten Einengung und Freiheitsentzug. Erfüllt er die Erwartungen nicht, ist der Partner eventuell enttäuscht, könnte sich abwenden und den Liebesphobiker verlassen. Das Trauma aus der Kindheit würde wiederholt.

Die Folgen: Er zieht sich zurück, wendet sich der Arbeit zu, will weder küssen noch mit dem Partner schlafen, macht dicht. Er schafft Abstand, um weniger verletzt werden zu können. "Dieser Schutzmechanismus kann dazu führen, dass der Bindungsängstliche den Kontakt zu seinen Gefühlen verliert und somit die liebenden Gefühle für den Partner", sagt Stahl.

Angst auch vor schönen Momenten

Zwar genießt der Liebesphobiker schöne Momente mit dem Partner, gleichzeitig leidet er aber, weil ihm bewusst wird, wie viel der andere ihm bedeutet. "Ich bin abhängig von ihm", denkt er. Das will er auf jeden Fall vermeiden - und stößt den Partner regelrecht von sich.

Dieser verzweifelt schließlich an dem Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz und fragt sich, was er falsch gemacht hat. Durch das ständige Hin und Her kann der Partner sich nie sicher sein, ob der Phobiker ihn liebt. Diese Angst aber mündet in einen Teufelskreis: Durch sie steigert sich das Begehren nach dem Phobiker. "Die Partner von Bindungsängstlichen idealisieren sie", sagt Stahl. Sie laufen dem, der Angst vor Nähe hat, hinterher. Dieser fühlt sich bedrängt, läuft immer weiter weg oder trennt sich irgendwann.

Aus dieser Abhängigkeit, die sogar in einer Depression enden kann, gibt es für den Partner zwei Wege: Entweder er trennt sich. Oder er akzeptiert die Tatsache, dass man den anderen nie wirklich haben kann. "Eine Beziehung mit einem Bindungsphobiker hat nur eine Chance, wenn man aufhört, an ihr festzuhalten", sagt Stahl. Erst wenn man den Phobiker gehen lassen kann, hat der keine Angst mehr.

Eine Garantie, dass dieser bleibt, hat man jedoch nicht. Betroffene Partner, so Stahl, sollten sich bewusst machen: Ein Bindungsphobiker, der sein Problem leugne, werde nie richtig lieben können. "Wenn er aber gewillt ist, an sich zu arbeiten, gibt es eine Chance auf Heilung."

Der erste Schritt wäre, sich die Bindungsangst einzugestehen und sich damit zu beschäftigen, warum man flüchtet. Die Psychotherapeutin Wolf erklärt, was Bindungsphobiker in einer Therapie lernen könnten: etwa Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen, Gefühle adäquat zu äußern, Grenzen zu setzen und sich selbst anzunehmen.

"Mit diesen und anderen Verhaltensregeln können Betroffene durchaus zufriedenstellende Beziehungen führen", sagt Stahl.


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