Moskau. Im schicken Moskauer Einkaufszentrum „Jewropejski" purzeln die Preise: Bis zu 70 Prozent Rabatt bieten die Geschäfte auf Kleider, Kosmetik und Schuhe. Doch die meisten Besucher laufen nur durch die Etagen und lassen sich von Popmusik beschallen. Eine Einkaufstüte trägt kaum jemand. Im Elektromarkt kommen fünf Berater auf drei Kunden, in den Klamottenläden haben die Angestellten Zeit zum Falten der Pullover. Denn für Modeartikel haben die meisten Russen derzeit kein Geld übrig - es herrscht Wirtschaftskrise.
Die Rezession trifft auch westliche Unternehmen: Sie ziehen sich spürbar vom russischen Markt zurück. Von einst 6 000 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung haben 2015 nach Angaben der russischen Steuerbehörde mehr als 400 (7 Prozent) das Land verlassen. Der jährliche Kapitalschwund beträgt Dutzende Milliarden Euro.
Die deutsch-russische Auslandshandelskammer (AHK) beobachtet den Rückgang schon seit Jahren. „Das geht quer durch alle Bereiche", sagt Sprecher Jens Böhlmann. „Besonders hart trifft es aber Firmen, die hier kleine Repräsentanzen ohne operatives Geschäft hatten." Ein Viertel aller deutschen Firmenvertretungen hat geschlossen, seit die Bundesregierung mit anderen westlichen Ländern als Reaktion auf Moskaus Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim russische Konten eingefroren und Kreditbedingungen verschärft hat.
Vor allem europäische Marken aus dem mittleren Preissegment sind in den letzten zwei Jahren aus den Regalen verschwunden, darunter die katalanische Modemarke Desigual und die britische Bekleidungskette River Island. Der finnische Handelskonzern Stockmann kündigte Ende 2015 an, alle Geschäfte in Russland an einen örtlichen Investor zu verkaufen. Insgesamt sei der Markt für Schuhe und Kleidung im letzten Jahr um 20 Prozent geschrumpft, berichtet die Zeitung „Kommersant".
Burger statt Kleider
Ein Grund dafür ist der schwache Rubel - am Donnerstag erreicht der Wechselkurs zum Euro erneut ein Rekordtief. Die Realeinkommen der Bevölkerung sind nach Angaben des russischen Wirtschaftsministeriums vergangenes Jahr um 3,5 Prozent gesunken - 2016 haben die Russen voraussichtlich noch einmal 3,7 Prozent weniger im Geldbeutel. Auch das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2015 um 3,9 Prozent.
Die Entwicklung im laufenden Jahr wird auf dem Ölmarkt entschieden, denn die russische Wirtschaft ist in hohem Maß von Energieexporten abhängig. Bleibt der Preis auf dem derzeit niedrigen Niveau von unter 30 Dollar je Barrel (159 Liter), könnte das BIP um fast vier Prozent schrumpfen, warnt Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew. Und selbst wenn der Ölpreis auf 40 Dollar steigen sollte, müsste Russland ein Minus von einem Prozent hinnehmen. Mit diesem Wert rechnet auch der Internationale Währungsfonds (IWF).
In der Bevölkerung hat sich längst Pessimismus breitgemacht. Die Mehrheit der Russen glaubt Umfragen zufolge, dass die schwerste Zeit noch vor ihnen liegt. Lediglich der Luxusgütermarkt ist von der Rezession fast unberührt geblieben. Am Roten Platz hat die französische Modemarke Hermès im berühmten Warenhaus GUM gerade ihre Ladenfläche verdoppelt. Im Luxuskaufhaus ZUM neben dem weltbekannten Bolschoi Theater probieren Damen im Pelzmantel Schmuck an oder lassen sich Parfüm empfehlen. Doch selbst in Läden, die mit Rabattplakaten ihr Klientel eher abschrecken würden, haben sich die Zahlen auf den Preisschildern nahezu halbiert.
Stattdessen hat sich die Mehrheit der Russen an das gewöhnt, was der Chef der staatlichen Sberbank, German Gref, mit „Downshifting" umschreibt: Den Verzicht auf Luxus und das Leben mit dem Verfügbaren. Ein gutes Indiz sind die vollen Schnellrestaurants. Bei McDonald's, KFC und der russischen Kette Kroschka Kartoschka schlagen sich viele Russen für vergleichsweise wenig Geld die Bäuche voll. Wenn das schöne Kleid schon auf der Stange hängen bleiben muss, so sagen sie, gönnt man sich wenigstens einen Burger.