Jasmin Sarwoko

Journalistin Video/TV/Online/Social Media, Johannesburg

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Strom und Zäune sollen schützen: „Wir sind hier mitten im Wolfsgebiet"

Foto: dpa

2016 wurden 175 Weidetiere von Wölfen gerissen. Manche würden Wölfe lieber abschießen lassen. Andere setzen auf alternative Möglichkeiten des Tierschutzes. Der Nabu hat ein Konzept dafür entwickelt.

In der Lüneburger Heide hockt eine junge Frau mit einer rosafarbenen Mütze an einem Weidezaun. Sie legt eine Bohrmaschine am Zaunpfahl an, rund 20 Zentimeter über dem Boden, sodass ein Wolf nicht drunter durch kommt. Joanna Tegtmeier bohrt Löcher in den Pfahl und setzt Isolatoren ein, durch die sogenannte Litzen für den Stromzaun gezogen werden. Später sollen hier auf der Weide in Wietzendorf die Fohlen von Trakehnerzüchterin Sabine Oberdieck grasen.


Die 23-jährige Tegtmeier ist eine von fünf Ehrenamtlichen, die Sabine Oberdieck beim Errichten eines „wolfsabweisenden Grundschutzes" hilft. Im Rahmen eines neuen Herdenschutzprojektes unterstützen Experten und Ehrenamtliche des Naturschutzbunds (Nabu) Nutztierhalter dabei, die Hütesicherheit zu verbessern.

Auf Oberdiecks Reiterhof werden die Zäune um jeweils eine Litze - also einen stromführenden Querstreben - erweitert. Dann können zum einen ihre Pferde nicht durch den Zaun entwischen. Zum anderen sollen Wölfe, deren Population in Niedersachsen etwa 80 Tiere zählt, daran gehindert werden, auf die Weide zu gelangen und Pferde zu reißen. Die Zahl der von Wölfen gerissenen Weidetiere ist 2016 im Vergleich zum Vorjahr von 165 auf 175 gestiegen.


„Wir müssen mit den Wölfen leben"


„Wir sind hier mitten im Wolfsgebiet", sagt Nabu-Projektleiter Peter Schütte. Sabine Oberdieck war an den Nabu herangetreten, als sie von einer befreundeten Pferdebesitzerin von dem Projekt hörte. Ihre neuen Litzen werden in einer an Wolf und Weidetier angepassten Höhe angebracht: 20, 45, 80 Zentimeter. „Wir müssen mit den Wölfen leben", sagt Züchterin Oberdieck. Natürlich sei die Schutzmaßnahme ein finanzieller und zeitlicher Aufwand, für sie gehöre die Erneuerung der Zäune aber ohnehin jedes Jahr dazu.

Doch mit der Zaunbearbeitung allein ist es nicht getan. Zunächst muss ein sogenanntes Weidezaungerät installiert werden, das Stromimpulse abgibt, die dann über Leitungen zu den Zäunen laufen und die Litzen mit Strom versorgen. Wie hoch die Kosten für den grundsicheren Wolfsschutz am Ende sind, variiere von Fläche zu Fläche, sagt Peter Schütte.

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und die Niedersächsische Bingo-Umweltstiftung fördern das Herdenschutzprojekt, der Staat zahlt den Tierhaltern die Materialien. Doch nur Schaf- und Ziegenhalter erhalten den Zuschuss, weil ihre Tiere stärker von Wolfsrissen betroffen sind als etwa Pferde. Es geht aber nicht nur ums Geld: „Wir können unsere Erfahrung weitergeben", sagt Peter Schütte. Denn viele Tierhalter wüssten über die Möglichkeiten für den Herdenschutz wenig Bescheid.


Niedersachsen hatte im April als erstes Bundesland einen Problemwolf abschießen lassen. Für ein Abschussrecht spricht sich auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) aus. Der Wolf habe die Scheu vor dem Menschen verloren, sie müsse ihm deshalb durch „massive Vergrämung" wieder beigebracht werden, argumentiert die AbL. Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) glaubt dagegen, dass die Prävention mit wolfssicheren Zäunen funktioniert. Und Peter Schütte vom Nabu ist überzeugt: „Wenn man sich die Ökologie anschaut, reguliert sich die Population von selbst."

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