Jana Werner

Autorin und Moderatorin, Hamburg

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Heintze und Trepoll: Wie ein CDU-Duo Özkan zur Spitzenkandidatin kürte - WELT

Heintze und Trepoll Wie ein CDU-Duo Özkan zur Spitzenkandidatin kürte

Im Alleingang hat Hamburgs CDU-Führungsduo Aygül Özkan zur Spitzenkandidatin für 2020 auserkoren. Während das Vorgehen innerhalb der Partei nur wenige kritisieren, ist die Botschaft nach außen fatal.

Verwundert blickten die meisten Hamburger Christdemokraten am vergangenen Sonntag auf ihr Mobiltelefon. Am frühen Nachmittag hatte sie eine längere Mail mit dem Betreff „Spitzenkandidatur" erreicht, der Landesvorsitzende Roland Heintze und der Fraktionschef André Trepoll als Absender, überraschend der Inhalt. Nur wenige Minuten vor der Öffentlichkeit erfuhren die CDU-Mitglieder darin, dass sie mit der ehemaligen niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan als Spitzenkandidatin in den Bürgerschaftswahlkampf 2020 ziehen werden.

Nun ist es schon lange Praxis, dass Parteien ihre Kernentscheidungen im Hinterzimmer treffen, geradezu als Demonstration der Macht einer Handvoll Verantwortlicher, nicht selten gar eines Einzelnen, fernab von eigenen Gremien und Mitgliedern. Das Bemerkenswerte im aktuellen Hamburger Fall ist jedoch, dass die monatelange Heimlichtuerei kaum einen Christdemokraten ernsthaft stört. Die Botschaft könnte aber bei den Bürgern Spuren hinterlassen.

„Seit wir wussten, mit wem wir es zu tun haben", betonten Heintze und Trepoll am Sonntag, „haben wir uns auf Özkan als Spitzenkandidatin festgelegt." Sie meinen damit den Moment, in dem Olaf Scholz das Bürgermeisteramt an Peter Tschentscher (beide SPD) übergab: im März dieses Jahres. Dem neuen „blassen Amtsinhaber" sollte „möglichst eine dynamische Frau" entgegengesetzt werden.

Strategie mit Imagevideo

Und so kreierten Heintze und Trepoll mit einer Werbeagentur aus der Idee Özkan eine Strategie - inhaltlich wie optisch, flankiert von Hochglanzfotos und einem Imagevideo. So detailliert, so heimlich, so alternativlos, dass es so manchem Christdemokraten an der Elbe seit dem Bekanntwerden am vergangenen Wochenende „Respekt statt Unmut abnötigt", wie es ein Mitglied erklärt. Schließlich seien Heintze und Trepoll einst vom Landesvorstand beauftragt worden, der Partei einen gemeinsamen Vorschlag für die Spitzenkandidatur zu machen.

„Das haben sie getan, sie haben Verantwortung übernommen und eine Entscheidung getroffen - das, was wir von ihnen verlangt haben", sagt ein anderer Christdemokrat in Anspielung auf das 15,9-Prozent-Wahldebakel von 2015. Dass sie den Auftrag „sehr wörtlich, sehr frei" genommen haben, dass kein größerer Kreis in die Kandidatensuche eingebunden gewesen sei, monieren nur wenige. Folglich ist der anfängliche Ärger in der Hamburger CDU über die nicht vorhandene Teilhabe rasch verpufft, das belegten nach WELT-Informationen die Sitzung der Fraktion am Montagabend und die des Landesvorstands am Dienstagabend deutlich.

Ein Parteimitglied begründet: „Das liegt daran, dass die Fraktion und der Landesvorstand fachlich und inhaltlich hinter der einsamen Entscheidung von Trepoll und Heintze stehen." Mit Özkan sei beiden die Überraschung gelungen, auf die alle in der CDU gehofft hatten. Mit ihr als Kandidatin sei „der CDU-pur-Trend gestoppt", „das Ende des ewigen Zwei-Kernthemen-Kurses erreicht", „der Schritt zu mehr Weltoffenheit, Vielschichtigkeit und Modernität vollzogen". „Mit ihr können wir das schaffen, was wir uns vorgenommen haben - Wähler hinzugewinnen", sagt eine Christdemokratin. In Umfragen lag die CDU zuletzt bei 16 Prozent.

Hoffen auf schnelle Genesung

Ein weiterer Grund für das lediglich sanfte Aufflackern von Kritik am Alleingang des Spitzenduos dürfte auch die schwere Erkrankung von Özkan sein, die Heintze und Trepoll am Sonntag ebenfalls öffentlich machten. Erst wenige Tage zuvor hatte die 46-Jährige von der Diagnose erfahren. Seither steht für Christdemokraten das Hoffen auf ihre schnelle Genesung im Vordergrund statt das Nörgeln an ihrer heimlichen Inthronisierung.

Selbst ein Blick in die jüngere Hamburger Politgeschichte verrät, dass das Vorgehen bei der CDU nicht ungewöhnlich ist. Denn zu Beginn des Jahres bekam die SPD der Hansestadt ein letztes Mal die Dominanz des damals scheidenden Bürgermeisters Scholz zu spüren. Seine Nachfolge soll der heutige Bundesfinanzminister gänzlich allein geregelt haben: Weil seine Favoritin, Sozialsenatorin Melanie Leonhard, jedoch dankend ablehnte, drückte Scholz den bis dato amtierenden Finanzsenator Tschentscher durch und stellte den Landesvorstand, insbesondere die mächtigen Kreisvorsitzenden, vor vollendete Tatsachen.

Die Alternative dazu ist das Modell der Grünen und Linken, bei denen jeder seinen Hut in den Ring werfen kann, allerdings auch „die üblichen Verwirrten", wie es ein Linker in der Hansestadt beschreibt. Ein Erfolg ist damit nicht garantiert. Doch ist es das ehrlichere Modell. Jenes, aus dem nicht nur innerhalb der eigenen Reihen eine Akzeptanz erwächst, sondern zudem eine in der Öffentlichkeit. Vielleicht ließe sich auf diese Weise das Ausbluten der Parteien, die sinkende Wahlbeteiligung, die Politikverdrossenheit und das Erstarken der Populisten mindern. Nicht zuletzt raten Experten Parteien, mehr Elemente direkter Demokratie zuzulassen, interessierte Nichtmitglieder einzubinden, wieder zuzuhören.

All das haben Roland Heintze und André Trepoll in den vergangenen Monaten bezüglich der CDU-Spitzenkandidatur unter sich ausgemacht. Sie haben sich ganz bewusst für einen Alleingang entschieden - wohl wissend, dass sie eine starke Persönlichkeit präsentieren müssen, um dem Gegenwind standzuhalten. Ob ihre Strategie aufgeht, bleibt zunächst unbeantwortet.

Zum einen wählt Hamburg erst in 18 Monaten eine neue Bürgerschaft. Zum anderen ist derzeit unklar, ob Wunschkandidatin Özkan aufgrund ihrer Erkrankung überhaupt antreten kann. Haben Heintze und Trepoll einen Plan B? Sicher ist wohl, dass Parteimitglieder und Bürger davon vorerst wieder nichts erfahren würden.

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