Jana Werner

Autorin und Moderatorin, Hamburg

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Artikel

SPD-Führung: Prinz Olaf, der Zauderer - WELT

Wenn es um die politische Zukunft von Olaf Scholz geht, bleiben die sonst so meinungsstarken Hamburger Sozialdemokraten lieber im Verborgenen. Wir sprachen mit zwei einflussreichen Politikern über seine Ambitionen - natürlich anonym.

Manchmal gibt es nur den einen richtigen Moment für die richtige Entscheidung und um Geschichte zu schreiben. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) scheint diesen zumindest vorerst verpasst zu haben, wenn er denn das Ziel hatte, den Parteivorsitz der SPD zu übernehmen. Einer Partei, die ihn seit Jahren so leiden lässt. Was auch für den derzeitigen Mann an ihrer Spitze gilt, denn mit Martin Schulz verbinden Scholz nur Äußerlichkeiten.

Spätestens, seitdem nach der Wahl eine lange „Spiegel"-Reportage über Schulz' Wahlkampf erschienen war, in der sich der damalige Kandidat das Fell freiwillig gegen den Strich bürsten ließ, hält ihn Scholz für untragbar. Aber das war eigentlich auch vorher schon so, der ganze Wahlkampf: ein Desaster. Dabei hätte die SPD die Wahl gewinnen können, glaubt der Parteistratege Scholz.

Warum wird er bei dem Bundesparteitag nicht als Parteivorsitzender kandidieren? Oder hätte er schon zur vergangenen Jahreswende zugreifen müssen, als die Spitzenkandidatur und damit zwangsläufig verbunden die Parteiführung greifbar gewesen wäre? Eine Bestandsaufnahme, bei der selbst Sozialdemokraten, die sonst für ihre offenen Worte bekannt sind, lieber im Verborgenen bleiben.

In einem Café mitten in Hamburg sitzt also ein langjähriger Weggefährte und Kenner des Bürgermeisters. Und der sieht den Zug noch nicht ganz abgefahren. „Wenn Olaf Scholz Parteichef werden möchte, wird er es doch noch machen", sagt der selbstbewusste Sozialdemokrat und betont weiter: „Das weiß nur Scholz selbst und vielleicht nicht einmal dessen Frau Britta Ernst." Allerdings geht er davon aus, dass der Hamburger Bürgermeister im Dezember nicht für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren wird. „Warum sollte er, gut zwei Jahre vor der nächsten Bürgerschaftswahl und vier Jahre vor der nächsten Bundestagswahl?"

Scholz werde Schulz den Posten „weiter machen lassen und entspannt abwarten" - wohl auch, wie dieser sich bei weiteren Landtagswahlen noch mehr aufreibt und an Rückhalt in den eigenen Reihen verliert. „Und gewinnt Scholz 2020 die Bürgerschaftswahl in Hamburg erneut, steht er glänzend da und hat ein Jahr Zeit, sich als Parteichef und Kanzlerkandidat zu positionieren", glaubt der Sozialdemokrat.

Scholz sucht nicht die Konfrontation im Blitzlicht

Wer auch immer in drei Jahren mit Scholz konkurriere - ob nun Schulz, Andrea Nahles oder Manuela Schwesig -, öffentlich würde der allerdings nie gegen einen Genossen beziehungsweise eine Genossin antreten und wie einst Oskar Lafontaine im Duell mit Rudolf Scharping auf einem Wahlparteitag die Konfrontation im Blitzlicht suchen. „Das ist nicht seine Art, das klärt er vorher im Hinterzimmer." Und: „Klar will Olaf Scholz Kanzlerkandidat werden, aber er möchte gebeten werden, der Sicherheitsfanatiker."

Auf dem Weg dorthin sei es „ein genialer Schachzug der SPD" gewesen, sich im Bundestag in die Opposition zu begeben, glaubt der Sozialdemokrat und giftet: „Agenda 2010, Mindestlohn, Rente mit 63 - wir haben jetzt lange genug etwas fürs Volk getan, jetzt sind andere dran." Während sich bei einer möglichen Jamaika-Koalition künftig gleich vier Parteien aufrieben, könne sich die SPD „neu sortieren" und „dann als einzige Alternative dastehen".

„Da braucht es keinen strahlenden Gegenkandidaten mehr, nur einen, der da ist." Dafür ist Scholz im Wunschdenken dieser Genossen „genau der Richtige - fachlich und strategisch auf der Höhe". Für eine SPD unter Führung des Hamburger Bürgermeisters spreche ferner, dass Scholz sehr genau wisse, was er könne, aber auch, was er nicht könne. „Er verstellt sich nicht. Er gibt nicht vor, jemand anderes zu sein. Die Menschen wissen, was sie an ihm haben." Das kann sowohl Vorteil als auch Nachteil sein.

Ein anderer Tag, ein anderes Café, wieder ein Treffen mit einem Genossen. Dieser hält den bundespolitischen Zug für den Bürgermeister allerdings für längst abgefahren. Als er noch vor Jahren neben Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft als Favorit auf die SPD-Kanzlerkandidatur galt, habe Scholz gezögert. „Ein Verhalten, das sich in der Folge wiederholte", betont der Mann.

Scholz, „das akribische Arbeitstier", das nichts dem Zufall überlasse, habe den richtigen Zeitpunkt „einfach verpasst". Das sei bei einem Politiker mit einem derartigen Hang zur Kontrolle zwar schwer nachvollziehbar. Es liege aber in erster Linie daran, dass die SPD den emotionslosen Hanseaten nur schätze, nicht liebe. Nicht zuletzt sei der Hamburger Landesverband im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu klein, um eine Hausmacht hinter sich zu vereinen. „Für mich ist Olaf Scholz inzwischen der Kandidat, der sich nicht traut", fährt der Wegbegleiter den Ellenbogen aus.

Es bleiben Nadelstiche in Interviews, es bleiben Versuche, sich doch über die Grenzen des wirtschaftsliberalen Flügels hinaus auch für das linke Spektrum der Partei wählbar zu machen, etwa durch die Forderung eines Mindestlohns von 12 Euro, was die Hamburger Linkspartei gleich für die städtischen Beschäftigten umgesetzt haben wollte. Allerdings dann doch gleich mit 13 Euro. Das Rennen im linken Lager, das auch in der eigenen Partei gegen den wirtschaftsnahen Praktiker steht, ist für Scholz schwierig zu gewinnen. Es gibt immer ein noch weiter links, und es fehlt die eigene Glaubwürdigkeit.

Und es bleiben die Mühen der lokalpolitischen Ebene. Dort ist es lange schön gewesen, das Passspiel lief, die Mischung aus Offensive und Absicherung funktionierte. Aber das hat sich geändert. Die aus dem Rathaus heraus erwünschte Sauberkeitsgebühr, von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) exekutiert, musste nach großen Protesten von vielen Seiten in der vergangenen Woche gekappt werden. Sogar der Sozialverband mit seinen 20.000 Mitgliedern protestiert. „Ihm ist das Gefühl für die Stadt abhanden gekommen", kritisiert und frohlockt die Opposition gleichermaßen.

Und dann ist da noch das Großthema G-20-Aufklärung, die mit einem anfangs noch demonstrativ gut gelaunten Auftritt des Bürgermeisters am Donnerstag vor einem Sonderausschuss einen ersten Höhepunkt fand. Bei einigen Fragen wirkte es fast so, als würde die Situation Scholz körperliche Schmerzen bereiten, etwa als er dazu Stellung nehmen soll, ob die versprochene Aufklärung jetzt daran scheitert, dass er sich so stark mit der Bundespolitik beschäftigt.

Später wird er auch mal etwas herablassend und will einer Fragestellerin erklären, „warum ihre Subjunktion falsch ist". Seinem vermutlichen CDU-Herausforderer bei der Bürgerschaftswahl 2020, André Trepoll, beschied er eine „völlige Fehlinterpretation" in der Bewertung von zentralen Dokumenten. Die meisten Bürger der Stadt würden ihn weiter für einen glaubwürdigen Politiker halten, und „ich möchte auch, dass das so bleibt", sagt er noch.

So geschwächt und ohne nennenswerte Unterstützertruppen wird Olaf Scholz mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne den Dolch im Gewand Anfang Dezember auf der Parteitagsbühne sitzen und zuhören, wie Martin Schulz seinen Leitantrag zur Neuorganisation der Partei vorträgt. Dessen Ideen nach mehr Basismitbestimmung und noch mehr gemeinsamer Programmarbeit in Regionalkonferenzen wird er hören, die so deutlich seinem eigenen Politikstil widersprechen. „Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch", ist einer dieser Sätze, die an dem Machtpolitiker kleben wie Kaugummi im Haar. Aber was, wenn keine Bestellung ankommt?

Die Unwägbarkeiten waren für ihn immer groß

Als er nach seiner Zeit als Generalsekretär und Arbeitsminister nach Hamburg zurückkam, um die CDU aus dem Rathaus zu vertreiben, war das Feld für ihn bestellt: Gegner geschwächt, die eigene Partei dürstend nach einem starken Anführer. Das Risiko war gering, die absolute Mehrheit war dennoch vor allem auf seine Ausstrahlung zurückzuführen. König Olaf war damit geboren.

Eine solch günstige, klare Konstellation gab es auf Bundesebene für Scholz nie, immer waren die Unwägbarkeiten zu groß, die Gegner in der eigenen Partei und die Gegnerin in Form von Kanzlerin Angela Merkel zu stark, und zudem waren die Möglichkeiten für die eigene Karriere, für den letzten großen Sprung, in der Zukunft noch irgendwie vorhanden. Und so wurde er hier zu Prinz Scholz. Mögen hätte er schon gewollt, aber dürfen hat er sich nicht getraut, um mit Karl Valentin zu sprechen.

Den letzten Machtanspruch erheben derzeit jedenfalls die anderen. Weil das aber bei der SPD zuletzt nicht selten von nur kurzer Dauer war, ist der Schlusspfiff für Olaf Scholz auch noch nicht ertönt: Sollte er aus der Bürgerschaftswahl 2020 doch wieder als klarer Sieger hervorgehen und sich die anderen Führungsfiguren abgenutzt haben, geht sein Plan vielleicht doch noch auf.

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