Rendsburg | Sie sorgen täglich für unsere Sicherheit, schlichten Streitigkeiten, räumen Straßen, helfen in Krisensituationen und retten manchmal sogar Menschenleben: Feuerwehr, Polizei, Technisches Hilfswerk und der Rettungsdienst. Die Landeszeitung stellt in dieser Woche die Blaulichthelden von Rendsburg in einer Serie vor und zeigt, welche Menschen hinter der Arbeit stecken und wie die einzelnen Bereiche organisiert sind. Im ersten Teil geht es um die Arbeit auf der Rettungswache in der Lilienstraße.
Vor dem Einfamilienhaus in Büdelsdorf macht der Rettungswagen Halt, gleich dahinter bleibt das Auto des Notarztes stehen. Die vier Männer - drei Rettungsassistenten und ein Notarzt - stürmen die Treppe hinauf, hinein ins Schlafzimmer. Doch sie können nichts mehr tun, der Mann ist bereits tot. Er ist wahrscheinlich an Altersschwäche gestorben. Friedlich liegt der 80-Jährige in seinem Bett, dort ist er eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.
Tote Menschen zu sehen, ist für die Rettungsassistenten nicht die größte Herausforderung. Der Anblick der Hinterbliebenen, sie trauern zu sehen, ihnen sagen zu müssen, dass der langjährige Partner plötzlich nicht mehr da ist - das ist hart. Die Ehefrau ist schockiert. Sie hat früh morgens die Notrufnummer 112 gewählt, als sie neben ihrem reglosen Partner aufgewacht ist. „Vor ein paar Tagen hat er noch seinen 80. Geburtstag groß gefeiert", erzählt sie den Helfern.
Die Rettungsassistenten Ralf Habben (42) und Jannis Ramm (28) schreiben noch ein EKG, der Vollständigkeit halber. Die Schicht der beiden Männer hat noch nicht offiziell begonnen, doch den ersten Einsatz haben sie schon hinter sich. Um 7 Uhr fangen sie auf der Rettungswache in der Lilienstraße an zu arbeiten, bis 19 Uhr sind sie im Einsatz. Dann kommen die Kollegen der Nachtschicht und übernehmen bis zum nächsten Morgen. Heute sind Ralf und Jannis ein Team. Sie werden den ganzen Tag zusammenbleiben und einen der beiden Rettungswagen (RTW) an der Rendsburger Wache besetzen.
Langsam fahren sie vom Einsatz in Büdelsdorf los. Auf dem Rückweg zur Wache machen sie einen Stopp beim Bäcker, Frühstück muss sein. Ihren „Pieper" haben sie aber immer dabei. Die Leitstelle in Kiel kann sie jederzeit alarmieren und zum nächsten Notfall schicken. Zurück auf der Wache treffen die beiden ihre Kollegen. In der Küche sprechen sie beim Kaffee über das eben Erlebte. „Dinge in sich reinzufressen, ist fatal. Es ist wichtig, dass wir auf der Arbeit über unsere Einsätze sprechen. Da fließen auch mal Tränen", erzählt Ralf.
Auch beim Anblick der Witwe in Büdelsdorf spürte der stellvertretende Wachenleiter noch vor ein paar Minuten einen Kloß im Hals. „Nach 40 Jahren plötzlich voneinander getrennt zu sein - das ist heftig." Die Kollegen hören aufmerksam zu, dann wechseln sie das Thema. Anekdoten vom Wochenende werden ausgetauscht, sie albern herum. Wem das zu anstrengend ist, der zieht sich nebenan aufs Sofa zurück. „Wir sind hier wie eine große WG, eigentlich schon eine Familie", sagt Ralf. Die Helfer verbringen während ihrer Zwölf-Stunden-Schicht viel Zeit miteinander und müssen sich zu hundert Prozent aufeinander verlassen können. Außerdem schweißt das Erlebte die Kollegen zusammen.
Den nächsten Einsatz haben die Rettungsassistenten um 8.30 Uhr. Von der Leitstelle bekommen Ralf und Jannis erste Infos auf ihren „Pieper" geschickt. Was und wo es passiert ist, steht dort in Kurzform geschrieben. Dieses Mal geht es ohne Blaulicht durch Rendsburg. Eine Frau ist gestürzt, sie kommt nicht mehr allein hoch. Die Rettungsassistenten heben die Verletzte auf die Trage, und Ralf versucht, die Frau von ihren Schmerzen abzulenken: „Mensch, Sie haben aber einen schönen Garten. Machen Sie das alles selber?" Zu dem Job gehört eben nicht nur die medizinische Versorgung, es ist Einiges an Menschlichkeit gefragt. Der Umgang mit den Patienten ist wichtig, Kommunikation das A und O. Während der Fahrt bleibt Jannis bei der Verletzten und nimmt ihre Daten auf, während Ralf den Wagen in Richtung Klinik steuert. In der Notaufnahme angekommen, übergeben die Männer die Patientin. Ab jetzt kümmern sich die Klinikmitarbeiter um sie.
Auf ihren nächsten Einsatz müssen die Männer nicht lange warten, denn ein Patient muss in eine spezielle Praxis gebracht werden. Der verletzte Lkw-Fahrer ist mit seinen über 150 Kilogramm Körpergewicht zu schwer für das CT-Gerät der Klinik. Patiententransporte gehören zum Alltag dazu. Für Jannis sind sie mit das Beste am Job: „Die Menschen haben immer so viele Geschichten zu erzählen. Das liebe ich an der Arbeit." Der Lastwagenfahrer ist „ne richtige Type", findet Jannis und spricht mit ihm auf dem Weg zur Praxis über die Tatsache, dass seine Freundin viel zu gut kochen kann und er deswegen so dick geworden ist.
Bis zum Ende ihrer Schicht haben Ralf und Jannis noch zwei weitere Krankentransporte, einen Notfalleinsatz in Fockbek sowie einen Einsatz zusammen mit dem Rettungshubschrauber. Mit insgesamt sieben Einsätzen war es für sie ein ganz normaler Arbeitstag auf der Wache.
Die Rettungskette vom Notruf bis zum Krankenhaus:1. Der Unfall: Ein Mitarbeiter in der Kraftfahrzeugwerkstatt stürzt, kann weder stehen noch auftreten. Der Kollege ruft den Notruf 112.
2. Der Anruf landet in der Leitstelle Kiel. Der Mitarbeiter alarmiert die Rettungskräfte, bleibt mit dem Anrufer in Kontakt und gibt Erste-Hilfe-Tipps.
3. Auf den Meldeempfänger bekommen die Rettungskräfte alle Infos zum Einsatzort, Einsatzart (Notfall oder Krankentransport) und Einsatzgrund.
4. Automatisch hat das Navigationssystem im Rettungswagen die Daten vom Einsatzort. So können die Helfer so schnell wie möglich zur Kfz-Werkstatt gelangen.
5. Am Einsatzort: Der Patient schildert den Rettungsassistenten, was passiert ist. Nach einem kurzen Check der wichtigsten Vitalfunktionen und einer orientierenden Ganzkörperuntersuchung wird das verletzte Bein genauer untersucht.
6. Im Rettungswagen: Der Patient saß längere Zeit auf dem kalten Boden der Kraftfahrzeugwerkstatt. Dazu kommen jetzt Kreislaufprobleme. Deshalb werden seine Vitalwerte kontrolliert - wie etwa der Blutdruck.
7. Der Verletzte muss ins Krankenhaus. Während der Fahrt wird der Mann weiter betreut. Verletzungen sowie die getroffenen Maßnahmen müssen außerdem im Einsatzprotokoll dokumentiert werden. Deshalb bleibt die Rettungsassistentin hinten.
8. Im Krankenhaus: Der Patient wird an die Klinikmitarbeiter übergeben. Die Rettungsassistenten schildern kurz was passiert ist und welche Untersuchungen gemacht wurden. Dann sind sie bereit für den nächsten Einsatz.
Die Rettungswachen Rendsburg und Büdelsdorf gehören organisatorisch zusammen und werden von einer Personalgruppe besetzt. Dazu gehören derzeit 65 Mitarbeiter, darunter neun Auszubildende. Im Jahr 2014 wurde die Rettungswache Rendsburg zu 10.879 Einsätzen alarmiert, die Wache Büdelsdorf noch einmal zusätzlich zu 3587 Einsätzen. Durchschnittlich sind das 1200 Einsätze pro Monat und 40 Alarmierungen pro Tag. Rund ein Drittel dieser Einsätze sind planbare Krankentransporte, mehr als 60 Prozent Notfälle und rund zehn Prozent Notarzteinsätze. Ungefähr 13 Prozent aller Einsätze des Rettungsdienstes sind Fehlfahrten und falsche Alarmierungen. Insgesamt wurden in 2014 knapp 1000 Einsätze mehr gefahren als im Vorjahreszeitraum. Die Rettungswache gehört zur Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH), die im Jahr 2005 gegründet wurde. Das Unternehmen ist für die Notfallrettung in den Kreisen Dithmarschen, Pinneberg, Steinburg und Rendsburg-Eckernförde zuständig.
von Jana Walther erstellt am 13.Jul.2015 | 08:13 Uhr