Jana Petersen

Redakteurin, Autorin, Dozentin, Berlin

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Die Sache mit dem Ich

/ Erschienen im Band “Die Sache mit dem Ich - Reportagen” von Marc Fischer / KiWi / 2012


Manchmal, wenn man nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll, hilft eine Liste.

Ich habe viele Dinge von Marc geerbt. Bücher, den Schreibtisch, die Gitarre, das Bild mit den zwei halbnackten Mädchen, den Beutel von Lufthansa, auf den er mit Edding gekritzelt “Verwirrende Kabel”. In dem auch verwirrende Kabel drin sind. Ich habe seine Zettel geerbt. Seine Notizbücher. Es sind viele, er muss das Glaubensbekenntnis von Jack Kerouac sehr ernst genommen haben.

Und dann ist da noch: sein Computer.

In dem Computer ist eine Datei. Sie heißt „The Future“. Wenn sich die Zukunft gerade in Nichts auflöst, ist eine Datei mit dem Namen Zukunft erstmal gut. Ich öffne sie. Da steht:

The Future
Bücher:
Reportagekollektion „Ich, ich, ich“
Panther
Science Fiction
Hymne für eine vergessene Diktatur
Krimi (what if the killer is the main guy?)

Shorts:
Dakar - der Schlag
Deutschland - das Toupet des Nachrichtensprechers
Liebe

Marc und ich sitzen an dem Tisch, an dem ich jetzt auch gerade sitze. Seine Reporter-Reportagen will er rausbringen, sagt er, am liebsten bei KiWi, so wie damals die Romane. Er hat die Geschichten gesammelt, geordnet.

Irgendwo muss es also einen Ordner geben.

Richtig. Da ist er. In dem Ordner „Dinge, Dinge, Dinge“ steckt der Ordner „Fischerstories“. Geschichten, Reportagen, Stories. Geschichten, in denen Marc vorkommt. Geschichten, die er Reportagen nennt, die im Grunde genommen genau das Gegenteil von dem sind, was ich auf der Journalistenschule über Reportagen gelernt habe. Objektivität ist langweilig/egal/nicht möglich, sagt der Ordner voller Fischerstories. Sagen die Angeber-Geschichten. Die Helden-Stories. Das Fischer-Zeug. Sagen die Situationen-Erzeuger-Geschichten. Die Marc-Geschichten.

Manche Texte kenne ich. Er hat sie mir vorgelesen, wenn sie fertig waren, an dem dunkelbraunen Kommissar-Tisch, Weinchen, Zigarettchen, Kaffeechen. Ich frage ihn, ob die Geschichten genauso passiert sind, das sei ja wieder mal unglaublich, wie sich das alles so zugetragen hat. Na klar, Swinchen, genau so war es. Er grinst.

Viele Geschichte kenne ich nicht. Nie davon gehört, nie gelesen. Jetzt lese ich sie alle. Ich lese die Geschichte „Warum ich nie Terrorist werden wollte“. Höre Marc reden. Höre, wie er beim Reden denkt, einen Mäckie-Gedanken. „Vielleicht, denke ich manchmal, ging es der RAF nur um den weissen Wal; vielleicht war Deutschland das mythische Tier, das es zu erlegen galt“, sagt Marc. Ja, sage ich, ein guter Gedanke. Komm, lies mir noch ein bisschen aus Moby Dick vor.

Wenn das Schriftsteller-Prinzip von Hemingway war „Bereise die Welt und töte alles, was dir vor die Flinte kommt“, und das von TC Boyle „Bereise die Welt und umarme einen Baum“, dann war das Reporter-Prinzip von Marc „Bereise die Welt und mache etwas, das noch nie jemand vor dir gemacht hat.“  Denke etwas, das noch nie jemand vor dir gedacht hat. Setz dich in den Sushi Express im Shinjuku-Bahnhof und lauere einem Brillendieb auf. Ruf den ARD-Programmgestalter an und frag ihn, warum sie so einen Schrott zeigen. Sitze einen Tag auf einem Postkasten. Nimm das Lichtschwert von Obi Wan Kenobi mit in die Schwerelosigkeit.

„Würden Sie sich erschiessen wie Hunter S. Thompson, wenn Sie nicht mehr schreiben könnten?“, fragt Marc den Schriftsteller TC Boyle. „Ehrensache,“ sagt Boyle. Sie laufen noch ein bisschen durch seinen Garten. „Der Tod“, sagt Boyle dann zu Fischer, „ist ein Idiot.“ Ja, denke ich. Stimmt.