Paul Withero steht jetzt vorne an der Tür, mittlerweile hat auch er ein Klemmbrett in die Hand gedrückt bekommen, darauf 20 Seiten Papier: Informationsblätter, Anamnesebogen, bitte hier unterschreiben. "Einmal Impfen, zum ersten, zum zweiten, zum dritten?", ruft eine kleine quirlige Frau, die zwischen Fischauktionshalle, Tür und Menschenschlange hin und her wuselt, eine Pudelmütze auf dem Kopf und gekleidet in eine neongelbe Warnjacke, auf dem Rücken aufgedruckt "Hamburg impft", eine Spritze dahinter wie ein Ausrufezeichen. Sie verteilt Klemmbretter Informationsbögen, fragt "was hätten Sie denn gern, wann war Ihre letzte Impfung?", denn sechs Monate muss sie her sein, sonst wird das heute nichts mit der dritten Spritze, Ylva Eckhardt musste schon einige Menschen abweisen an der Tür heute, unschöne Szenen waren das, aber wer nicht auf den Tag genau sechs Monate gewartet hat, der bekommt keinen Booster.
Withero bekommt die Bögen in die Hand gedrückt, auf dem "Vektor" steht, "ausfüllen, unterschreiben, rein in die gute Stube", sagt Eckhardt zu ihm, man sieht ihren Augen an, dass sie ihn unter der OP-Maske angrinst. "Kommen Sie rein, kommen Sie rein, es ist kalt draußen", ruft sie dann dem Ehepaar hinter ihm zu, Kirsten und Jürgen Alt, sie sind mit der Schwiegertochter hier, Clara Rakemann, 37. Sie wohne um die Ecke und habe die beiden eingepackt, sagt sie, der Termin zum Boostern beim Hausarzt wäre erst nach Weihnachten gewesen, aber die Zahlen steigen jetzt, und Weihnachten soll sicher sein. Im Gegensatz zu den Erstimpfenden, die sich die Sache lieber noch länger aus der Distanz angeguckt hätten, steht die Booster-Fraktion hier, weil es ihnen nicht schnell genug geht. Der Booster sei einfach notwendig, sagt Rakemann, Corona sei nicht weg, auch im Sommer war das klar, aber da konnte man das besser ignorieren. Auch die Stadt scheint Corona im Sommer ein bisschen ignoriert zu haben, man fragt sich: Warum gibt es offene Impftage wie heute bloß als Reaktion auf die steigenden Zahlen und nicht schon früher? Hätte man sich diese vierte Welle nicht sparen können, wenn Maßnahmen von heute schon damals gegolten hätten?
In der Fischauktionshalle ist es ruhig. Drucker rattern Informationsbögen aus, sonst ist es still, jedes Geräusch und jedes Gespräch verliert sich in der altehrwürdigen, weiten Halle, manchmal Schiffstuten, auf der Längsseite hinter der Halle die Kräne des Hafens und manchmal ein Boot, das langsam an den tiefen Fenstern vorbeizieht. In der Mitte der Halle haben sie rote Polsterstühle aufgestellt, für die Wartenden vor dem Piks und für die danach, sollte es Komplikationen geben. Auf der linken Seite trennen schwere schwarze Vorhänge die provisorischen Impfkabinen ab, innen stehen Tische mit Desinfektionsmittel, Pappschalen mit aufgezogenen Spritzen, Stempel und Aufkleber für den Impfpass.
Marc Neumann impft in einer der abgetrennten Kabinen ganz hinten am hinteren Ende der Halle. Neumann ist Arzt, er arbeitet normalerweise im Krankenhaus, an freien Tagen kommt er zu den Impfaktionen. Die roten Stühle in der Mitte, sagt Neumann, seien viel zu leer. "Wir verwalten mehr, als wir impfen", sagt er. Er deutet auf eines der Klemmbretter mit den 20 Bögen Papier. "Wieso kann man das nicht vorher online machen? Wenn alle schon registriert kämen, müsste man sie nur noch impfen und fertig. Wir würden viel mehr Menschen immunisieren können an einem Tag." Damit der Prozess schneller geht, bringen Menschen wie Ylva Eckhardt den Wartenden draußen Klemmbretter mit Papier zum Ausfüllen, schon bevor sie in die Halle treten. Aber immer nur ungefähr 20 Menschen auf einmal. Mehr Klemmbretter haben sie hier nicht.
Wer bei Neumann in der Kabine sitzt, der sitzt oft ein bisschen länger da. Denn Neumann sagt, er nehme sich Zeit, gerade für Menschen wie Paul Withero. Denn der Beratungsbedarf sei groß manchmal: "80 Prozent brauchen keine Beratung, aber die anderen 20 Prozent schon, und ich will, dass die mit einem guten Gefühl nach Hause gehen." Die Ängste seien da, sie seien real, Neumann habe schon Menschen in seiner Kabine sitzen gehabt, die zittern, die hyperventilieren. "Viele informieren sich nur im Internet oder über Social Media", sagt Neumann, "die kriegen dann Druck von der Arbeit, herzukommen, aber haben einen Riesenstress." Neumann erzählt den Ängstlichen und Skeptischen von Studien, die durchgeführt wurden, er erklärt, welche Nebenwirkungen zu erwarten sind, also etwa Kopfschmerzen oder Fieber, und dass andere Sorgen unberechtigt sind. Am Schluss sagt er immer: "Bei uns überleben sogar die Männer." Dann lachen die Menschen.
Paul Withero sitzt auf einem der roten Stühle und blickt nach draußen auf den Hafen. Er ist geimpft jetzt, er wird zurückfahren in die Heimat, nach Ostfriesland, zu seiner Frau und den zwei Kindern. Dort wird er zwei Wochen bleiben, Urlaub machen nennt er das, warten, bis er den Impfstatus erreicht hat, offiziell. Dann kann er wieder auf die Baustelle.