5 Abos und 1 Abonnent
Artikel

Pilotin werden: Wollen Frauen wirklich nicht fliegen?

Pilotin Juliett bei der Arbeit: „Kollegen haben mich zur Bewerbung geschubst.“

In Deutschland gibt es weniger als 600 Pilotinnen. Warum gehen Frauen nicht ins Cockpit? Eine Flugkapitänin erzählt, wie sie ihren Traum vom Fliegen wahr machte: von der Flugbegleiterin zur Pilotin.

„Herzlich Willkommen an Bord, hier spricht ihre Pilotin!“ Na, wie oft hast du diesen Satz an Bord eines Flugzeugs schon gehört? Vermutlich ziemlich selten. Genauer gesagt: Bei Flügen mit deutschen Flugkapitänen liegt die Wahrscheinlichkeit bei fünf Prozent. Laut Luftfahrt-Bundesamt gab es im Jahr 2016 in Deutschland 11.009 Piloten für Verkehrsflugzeuge. Gerade einmal 557 davon waren Frauen.

Frau als Pilotin? Noch vor 30 Jahren unvorstellbar 

Die britische Fluggesellschaft Easyjet will das jetzt ändern. Konzernchef Johan Lundgren will bis 2020 deutlich mehr Frauen ins Cockpit bringen, berichtet das „Handelsblatt“. In zwei Jahren soll mindestens jeder Fünfte neu eingestellte Pilot weiblich sein. Aktuell seien etwa fünf Prozent Frauen als Pilotinnen bei der Fluglinie beschäftigt.

Eher wird eine Frau Boxweltmeister im Schwergewicht als Kapitän bei der Deutschen Lufthansa. – Alfred Vermaaten, ehemaliger Leiter der Lufthansa-Verkehrsfliegerschule in den 60er Jahren

Vor fast 30 Jahren war es kaum vorstellbar, dass eine Frau überhaupt ein Passagierflugzeug fliegt. 1986 dann die Wende – am 21. April 1986 begannen die ersten Frauen ihre Ausbildung an der konzerneigenen Fliegerschule der Lufthansa. Aber auch fast 30 Jahre später ist es nicht alltäglich, dass eine Frau ein Flugzeug fliegt.

Juliett, die eigentlich Julia heißt, ist eine der wenigen Frauen, die sich in der Männerdomäne durchgesetzt haben. Seit 2016 sitzt sie im Cockpit und fliegt Passagiere im A320 von Hamburg aus auf Kurz- und Mittelstrecke durch Europa und den Mittelmeerraum. Für sie ein Kindheitstraum. Auf Instagram und Facebook teilt die Pilotin ihre Erlebnisse aus dem Cockpit. Während eines Auslandsaufenthalts in der elften Klasse entwickelte sie nach ersten Flügen mit Segelflugzeugen und Helikoptern ihre Leidenschaft fürs Fliegen.

„Wer Pilotin werden will, den schrecken die Anforderungen oft ab“

Trotzdem dauerte es, bis Juliett ihren Traum verwirklichte. Nach ihrem Abi 2008 ging es für die 28-Jährige nicht direkt ins Cockpit. Zunächst arbeitet Juliett bis 2013 als Flugbegleiterin. Ein Grund dafür: die Anforderungen an die Pilotenausbildung. „Mir waren meine nicht sonderlich guten mathematischen Leistungen während der Schulzeit bewusst und somit habe ich ein wenig Zeit gebraucht, bevor ich mich getraut habe meinen Wunsch zu verfolgen“, sagt Juliett.

Ein Problem, das auch die Vereinigung Cockpit sieht. Sie vertritt die Interessen von Cockpitbesatzungsmitgliedern aus allen deutschen Flugbetrieben. „Die Anforderungen schrecken oft ab. Pilot ist ein eher technischer Beruf, den haben viele Frauen nicht auf der Liste“, erklärt eine Sprecherin der Vereinigung.

Cockpit befasst sich in der Arbeitsgruppe „Diversity & Social“ (Vielfalt & Soziales) mit der Vermittlung des Berufsbilds Pilotin in der Öffentlichkeit. So gibt es auf der Homepage einen eigenen Flyer zum Thema „Berufswunsch Pilotin“ extra für Frauen. Die Sprecherin der Vereinigung erklärt: „Männer bewerben sich automatisch für eine Pilotenausbildung. Bei Frauen ist der Beruf einfach nicht so präsent.“

Pilotenausbildung: Was sind die Voraussetzungen? 

Das bestätigt auch die Sprecherin der European Flight Academy, die Piloten für die Lufthansa Gruppe ausbilden: „In den Köpfen vieler ist Pilot ein Männerberuf.“ Deshalb mangelte es nicht nur im Berufsfeld an Frauen, sondern bereits bei der Bewerbung für eine Ausbildung. Nur etwa fünf Prozent der Bewerbungen seien von Frauen.

Vlog von Pilotin Madeleine: „Der Job ist traumhaft!“

Das kennt auch Juliett. „In der ersten Stufe im Auswahlprozess kamen wir auf drei Frauen zu etwa 20 Männern. In der zweiten und dritten Stufe habe ich keine anderen Frauen mehr angetroffen“, sagt sie. Juliett bewarb sich auf Rat ihrer damaligen Kollegen. „Durch meine Tätigkeit als Flugbegleiterin erhielt ich einen Einblick in den fliegerischen Alltag. Glücklicherweise haben in dieser Zwischenzeit meine Kollegen aus dem Cockpit sich geduldig meinen Fragen gestellt und mich sanft zu meiner Bewerbung geschubst.“

Von Bewerbern wird in den meisten Fällen das Abitur verlangt. Außerdem müssen sie einen medizinischen Flugtauglichkeitstest bestehen. Der beinhaltet unter anderem eine Untersuchung der Bewegungsfähigkeit, des Allgemeinzustands und der Sehfähigkeit.

Vorbereitung auf den Pilottest: „Ich bi kein Mathe-Genie“

Noch schwerer wird es im zweitägigen Auswahlverfahren. In der Berufsuntersuchung (BU) werden technisch-physikalisches Grundwissen, Englischkenntnisse, Rechenfähigkeit und logisches Denken aber auch Konzentrationsvermögen und Merkfähigkeit getestet. Gute Leistungen in Mathematik, Physik und Englisch sind also wichtige Grundpfeiler. Außerdem werden in Rollenspielen, Interviews und anderen Übungen das Verhalten, die Teamfähigkeit sowie die Persönlichkeit getestet.

„Generell muss ich gestehen, dass ich kein Mathe-Genie bin. In den ersten beiden Auswahlstufen bin ich mit den mathematischen Anforderungen klar gekommen, jedoch wurde in der finalen Stufe, einem Interview, hier massiv nachgefragt“, sagt Juliett. „Das Auswahlverfahren ist komplex und fordernd. Man kann sich aber gut auf die mathematischen und technischen Aspekte vorbereiten.“

Das Auswahlverfahren stimmt auf die zweijährige Ausbildung als Pilot ein. Abgeleistet werden rund 750 Theoriestunden in 14 Fächern wie Aerodynamik, Elektrotechnik, Grundlagen des Flugzeugbaus, Verhalten in Notfällen oder Meteorologie. Dazu kommen je nach Lizenzart mindestens 150 Flugstunden, heißt es in einer Broschüre der Vereinigung Cockpit.

Nach der Ausbildung wartet ein spannender Job mit vielen Erlebnissen aber auch fordernden Arbeitszeiten. Längere Zeit nicht zu Hause zu sein, gehört als Pilot zum Arbeitsalltag. Schreckt der Beruf Frauen deshalb ab, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Problem ist?

Wie ist das Familienleben als Pilot? 

„Sicherlich ist dieser Gedanke nicht ganz irrelevant. Der Alltag eines Piloten ist sehr dynamisch und je nach Arbeitgeber ist man viele Tage am Stück unterwegs“, sagt Pilotin Juliett. Dies betreffe jedoch auch auf Flugbegleiter und gerade hier existiere ein hoher Frauenanteil. „Außerdem gibt es viele Bemühungen, den Beruf familienfreundlicher zu gestalten.“

Jahresgehalt von Lufthansa-Piloten

Das bestätigt auch die Cockpit-Sprecherin: „Die meisten Airlines bieten Teilzeitmodelle an“, erklärt die Sprecherin. So sei es beispielsweise möglich, nur in der Woche oder auch nur am Wochenende zu fliegen.

Trotz des geringen Frauenanteils gebe es im Berufsfeld Pilot aktuell aber kein Nachwuchsproblem. „Wir werben aktuell nicht für eine Ausbildung, sondern warnen mit den Fakten, dass viele Piloten auf der Straße stehen“, erklärt die Cockpit-Sprecherin. Grund dafür ist auch die Pleite der Fluggesellschaft Air Berlin, durch die viele Piloten ihren Job verloren.

Auch die Lufthansa, Deutschlands größte Fluggesellschaft, hat kein akutes Nachwuchsproblem, wie ein Sprecher erklärt: „In den Letzen zwei bis drei Jahren haben wir keine Werbung für die Ausbildung gemacht, da es aufgrund des Stopps von 

Neueinstellungen bereits einen Stau an ausgebildeten Piloten gab.“

„Frauen haben sich zu wenig mit dem Beruf Pilot auseinandergesetzt“

Das soll sich aber jetzt ändern. „Jetzt wo wir wieder für den Pilotenberuf werben, setzen wir in unserer Kampagne bewusst auch auf Frauen, um Bewerberinnen anzusprechen.“ Eine Feste-Frauenquote wie beim Konkurrenten Easyjet, gebe es aber nicht.

Nach Meinung von Juliett muss in Schulen mehr für das Berufsbild getan werden. So könne man Frauen schon früh für den Beruf begeistern. „Lange Zeit galt der Beruf des Piloten als klassischer „Männerberuf“. Frauen haben sich demnach mit diesem Beruf zu wenig auseinandergesetzt“, sagt Juliett.

Sie findet die Initiative von Easyjet gut. „Ich denke, dass dies ein guter Weg ist, um den Beruf für Frauen attraktiver zu gestalten.“ Ihrer Meinung nach sollte aber nicht das Geschlecht, sondern die Qualifikation über eine Anstellung im Cockpit entscheiden.

Julietts Tipp an zukünftige Pilotinnen: „Wenn du einen Wunsch oder einen Traum hast, dann verfolge ihn. Die Stereotypen des Männer- oder Frauenberufes sind Grenzen, die wir uns in unseren Köpfen abstecken. Wir müssen uns von diesen Gedanken frei machen.“

Zum Original