Berghain-Wiedereröffnung Sieben Stunden in der Schlange
Nirgends ist der Mythos um wilde Partys größer als im Berliner Berghain. Jetzt durften Clubgänger zum ersten Mal nach 19 Monaten Pandemiepause von der Freiheit kosten - ohne Maske, ohne Abstand.
Ein Ortsbesuch von Jana Felgenhauer
In den letzten anderthalb Jahren sah es düster aus für den Exzess. Festivals wurden abgesagt, Clubs und Bars blieben meistens geschlossen oder machten gleich ganz dicht. Partys und Konzerte waren lange nur im Freien möglich, mit Maske und Abstand, die ja aber die größten Feinde des gediegenen Sich-Gehenlassens sind: beim Tanzen versonnen Zigaretten schwingen, Drinks kippen, knutschen, sich an verschwitzten Leibern reiben. Das ging alles nicht. Beim Hamburger Reeperbahn Festival vor einer Woche etwa galt 3G. Bei den Konzerten musste man sitzen oder sich brav auf Markierungen stellen. Tanzen war verboten.
Jetzt aber macht die wohl größte Exzess-Institution in Deutschland wieder auf: der Techno-Club Berghain in Berlin-Friedrichshain. 19 Monate lang fanden hier keine Partys statt, stattdessen gab es Kunst. Hier gilt jetzt 2G. Wer in der ersten Nacht nach der Club-Schließung dabei sein will, muss geimpft sein oder nachweisen, Covid überstanden zu haben. Und kann dann, so das Versprechen, tanzen wie früher - ohne Maske, ohne Abstand.
Zur Berghain-Normalität gehören bekanntermaßen auch lange Schlangen. Doch in dieser Samstagnacht um halb zwölf stehen bereits so viele Menschen am Bunker an, dass der Preis besonders hoch scheint - zumal man, auch das gehört zum Mythos, beim Berghain ja nie weiß, ob man am Ende wirklich reinkommt.
Viel gibt der Betonklotz nicht preis. Auch die Menschen haben Betongesichter. Bloß cool bleiben, das hier ist ja schließlich das Berghain! Nur das flimmernde Licht in den Fenstern hält die Hoffnung hoch, Pink, Blau, Grün, in der Ferne kann man die Bässe hören, beim Näherkommen schon fast spüren.
Am Ende der Schlange stehen Sam und Dario, so klingen ihre Namen zumindest zwischen den vielen Gesprächsfetzen, und trinken Wodka-Red-Bull aus Plastikbechern. Sie sind extra aus London hergeflogen, waren schon oft hier, etwas Vergleichbares, sagen sie, gibt es bei ihnen nicht. Sam freut sich, endlich wieder ohne Einschränkungen in seinem Lieblingsklub feiern zu können. Das lange Warten nimmt er in Kauf, er ist sich sicher: "Es wird sich lohnen."
Dann ist da noch ein großer Typ mit Basecap, der seiner Freundin zuliebe für das Re-Opening aus Tschechien angereist ist. Er sagt, eigentlich höre er lieber Hip-Hop, und so sieht er auch aus. Er wundert sich, warum hier alle nur Schwarz tragen und was das ganze Geschrei um "dieses Haus" eigentlich soll. Er bleibt trotzdem dabei.
Die Mischung aus Feier-Jetset und Leuten, die einfach mal gucken wollen, was dran ist am Berghain-Mythos, das ist typisch für den Klub. Also alles wie immer, eigentlich. Denn auch um vier Uhr morgens kommen wir nur in Minischritten voran, so groß ist der Run in dieser Nacht. Kälte und Müdigkeit werden lästig - aber man ist ja schon so weit gekommen!
Am Rand des Weges liegen so viele Flaschen, als sei die Party längst vorbei, dabei rücken immer noch neue Gäste an. Die, die am Eingang von Türsteher ein Kopfschütteln kassiert haben, laufen neben der Schlange zurück, manche erhobenen Hauptes, andere schwer enttäuscht.
Frauen laufen so selbstverständlich in Stringbodys, Lackbustiers und Netzstrümpfen umher, als hätte die Pandemie nie für Monate ganze Nationen in Jogginghosenzombies verwandelt.
Weiter vorn gibt es Ärger, weil sich Leute reindrängeln, die nicht anstehen wollen, ein Pulk kreist sie ein, beschimpft sie auf Englisch. Die Situation beruhigt sich aber schnell, auf Stress hat hier niemand Bock. Niederländer, Franzosen, Italiener, Deutsche - manche, die vor Stunden noch betont unbeteiligt vor sich hinstarrten, liegen sich mittlerweile mit jemanden in den Armen, teilen Kippen, nehmen einen Schluck aus einem fremden Bier. Angst vor Corona zeigt keiner in der Schlange, vielleicht auch, weil das alte Leben so greifbar scheint. Sam erzählt nebenbei, dass er eben erst seine Familie besucht hat. Fast zwei Jahre lang habe er sie nicht gesehen.
Nach sieben Stunden warten darf man seine müden Knochen endlich in den Klub schleppen. Türsteher Sven Marquardt fragt, ob man den "Berghain Pass", einen QR-Code zur Kontaktnachverfolgung, parat hat. Hat man. Das Team checkt alles sehr gründlich, das ist gut, aber ja, das dauert.
Drinnen macht sich Erleichterung breit. Alle sind reingekommen, die Londoner, der Hip-Hop-Fan mit seiner Freundin.
Bässe wummern, während Menschen, die gerade noch dick verpackt waren, sofort blankziehen. Nackte Männeroberkörper schieben sich an einem vorbei, Frauen laufen so selbstverständlich in Stringbodys, Lackbustiers und Netzstrümpfen umher, als hätte die Pandemie nie für Monate ganze Nationen in Jogginghosen-Zombies verwandelt.
Oben in der "Panorama Bar" legt DJ Gabrielle Kwarteng auf, die Euphorie steigt. Arme fliegen nach oben, Gesichter wirken entrückt, Sex liegt in der Luft. Alle tanzen befreit, Corona? Kein Thema.
Eine Etage tiefer ist die Masse in Nebel getaucht, die Stroboskope werfen psychedelische Kreise an die Wand, die Musik surrt, scheint stehen zu bleiben. Lichtstrahlen wandern über die Menge, dann wird es dunkel, still. Ein magischer Moment, der jeden Gedanken an Impfdurchbrüche verdrängt.
Ein paar Sekunden später fängt der Beat erneut an zu pochen, die Menge erwacht, jubelt, eine Welle aus Körpern wogt empor. Die Parallelwelt hat wieder geöffnet.