Künstliche Intelligenz kann die Beschäftigungsverhältnisse grundlegend verändern und Ausbeutung befördern. Gewerkschaften und Betriebsräte lernen erst, Digitalisierung zu gestalten.
Viele fürchten sich vor einer Technik, die immer mehr Fähigkeiten entwickelt, selbstständig dazulernt und immer mehr kann, was Menschen auch können. Dass künstliche Intelligenz in absehbarer Zeit nicht die Weltherrschaft übernimmt und auch kein menschenähnliches Bewusstsein entwickeln wird, ist mittlerweile klar. Doch auch technische Systeme, die auf einen bestimmten Aufgabenbereich begrenzt sind, können Menschen Sorgen bereiten. Denn was, wenn die immer fähigeren Systeme genau die Tätigkeit erlernen, die den eigenen Lebensunterhalt sichert? Was, wenn Arbeitgeber die Arbeit von Maschinen erledigen lassen könnten, die keine Toilettenpause brauchen, keinen ergonomisch gestalteten Arbeitsplatz und kein Gehalt?
Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes durch Automatisierung ist nicht neu. Jeder technische Fortschritt, von der Dampfmaschine über das Fließband bis zum Computer, hat diese Sorgen neu befeuert. Doch die Vergangenheit zeigt, dass die Arbeitsplätze nicht sukzessive weniger geworden sind. Was die Menschen tun, hat sich einfach nur immer wieder gewandelt. Dass das bei der neuesten Innovation, der künstlichen Intelligenz, auch so sein wird, glaubt neben vielen anderen auch der derzeitige Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Im April sagte er in einem Interview mit dem „Tagesspiegel", dass der Gesellschaft auch in Zukunft nicht die Arbeit ausgehen werde. Einzelne Jobs würden zwar wegfallen, aber andere dafür neu entstehen.
Markus Hertwig, Professor am Lehrstuhl für Soziologie der digitalen Transformation an der Ruhr-Universität Bochum, sieht vor allem Menschen mit mittlerer Qualifikation durch die digitale Transformation in der Arbeitswelt herausgefordert: „Die Arbeit geht uns nicht verloren. Eine App muss ja beispielsweise nicht nur einmal programmiert, sondern permanent überarbeitet werden. Aber die Menschen, die jetzt von digitalen Tools ersetzt werden, kann man nicht einfach ohne weiteres zu App-Entwicklern oder Software-Beratern umschulen." In der Summe rechnet auch Hertwig nicht mit Arbeitsplatzverlusten, sondern mit einer Umschichtung. Deshalb werde Weiterbildung immer wichtiger, damit Menschen, deren Stellen durch Digitalisierung wegfallen, eine neue Arbeit finden, und neu entstehende Arbeitsplätze mit gut ausgebildeten Menschen besetzt werden können.
Künstliche Intelligenz: Arbeit ist oft prekärDoch die neu entstehende Arbeit ist oft nicht mit klassischen Beschäftigungsverhältnissen vergleichbar. Im ihrem Buch „Ghost Work" beschreiben die Anthropologin Mary L. Gray und der Computerwissenschaftler Siddharth Suri, dass jeder Automatisierungsschritt menschliche Arbeit benötigt, die ihn ermöglicht. Damit eine KI beispielsweise in der Lage ist zu erkennen, was auf einem Bild zu sehen ist, müssen Menschen Tausenden Trainingsbildern händisch eine Beschreibung hinzufügen - denn noch ist ja keine KI da, die das übernehmen könnte.
In der Natur der Technik liegt es aber, dass die Arbeit, die Menschen bei der Entwicklung von KI-Anwendungen verrichten, für Beschäftigte oft prekär ist. Sie lässt sich leicht in kleine Teilaufgaben zerstückeln, über eine Online-Plattform verteilen und von ungelernten Arbeitskräften für wenig Geld ausführen. Ein Umstand, den sich Konzerne zunutze machten, um ihre Profite zu steigern, sagt der Soziologe Hertwig: „Unternehmen gliedern Arbeitsaufträge aus und fragen die Leistungen über die Plattformen bei externen Arbeitskräften nach. Das schafft neue und weitgehend unregulierte Arbeitsverhältnisse."
Künstlicher Intelligenz: Soloselbstständige arbeiten als CrowdworkerDieses Prinzip wird nicht nur in der KI-Entwicklung angewandt. Immer mehr Branchen entdecken die sogenannte Plattformwirtschaft für sich. Denn die Unternehmen können so Lohnkosten sparen und müssen keine Sozialabgaben für die Mitarbeitenden leisten, die dann oft über keinerlei Absicherung verfügen. Sie sind offiziell Soloselbstständige, die ihre Arbeitskraft über digitale Plattformen anbieten und deren Dienste die Kunden, also die Unternehmen, dort buchen können. Auch die Plattformen sehen sich nicht als Arbeitgeber dieser sogenannten Crowd Worker, sondern nur als Vermittler zwischen Arbeitskraft und Kunde.
Das Prinzip „Crowd Work" beruhe darauf, dass Arbeitskräfte meist ohne Tarifvertrag, ohne festen Unternehmenskontext und ohne Einbindung in eine Organisation ihre Arbeit verrichteten, berichtet Linda Nierling, die am Karlsruher Institut für Technologie die Forschungsgruppe „Digitale Technologien und gesellschaftlicher Wandel" leitet und zu Arbeit auf Online-Plattformen forscht. Dem gegenüber stünden herkömmliche Arbeitsverhältnisse, für die man meist eine klare Qualifizierung brauche, für die man einen festen Vertrag mit einem Unternehmen abschließe und damit auch eine gewisse zeitliche Planbarkeit der Arbeit habe.
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Künstliche Intelligenz wird das Arbeiten radikal automatisieren.
Die FR-Serie „Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt" von Jana Ballweber untersucht Risiken dieser Technik - und wie man sie begrenzt.
Editorial zur Serie von FR-Chefredakteur Thomas Kaspar.
Einführung: KI von A bis Z - die wichtigsten Fakten.
Teil 1: KI und Kapitalismus. Künstliche Intelligenz verspricht, Arbeitsprozesse zu erleichtern, nutzt aber zuerst dem Kapitalismus. Es könnte auch anders sein.
Teil 2: KI im Einsatz: betroffene Branchen und Tätigkeiten, Folgen für die Löhne.
Teil 3: Bedeutung der Künstlichen Intelligenz für Gewerkschaften, Betriebsräte und Plattformwirtschaft.
Teil 4: Auswirkungen von KI auf Datenschutz und Gesundheit, Diskriminierung durch KI (etwa bei Bewerbungen).
Teil 5: Wie Digitalisierung gestaltet und die Mitbestimmung der Beschäftigten festgeschrieben werden kann.
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Plattformarbeit, insbesondere solche, die online verrichtet wird, kann im Prinzip immer und überall erledigt und flexibel an die eigenen Lebensumstände angepasst werden. Ein Umstand, den viele Menschen, die Plattformarbeit leisteten, an dieser Form der Beschäftigung schätzten, so Nierling: „Die ursprüngliche Erwartung war, dass sich hier neue zeitliche und räumliche Gestaltungsoptionen von Arbeit ergeben, sie flexibel erledigt werden kann und nicht zuletzt über den globalen Raum verteilt ist, woraus sich neue Geschäftsmodelle ergeben können." Ihre Forschung habe gezeigt, dass sich Crowd Work in den verschiedenen Branchen sehr unterschiedlich entwickelt habe. Bei Essenslieferdiensten sei es Gewerkschaften und Ridern gelungen, Crowd Worker feste Anstellungen zu verschaffen, im Bereich Mobilität sei Crowd Work auf Druck der Taxifahrergewerkschaft sogar verhindert worden. „Gemein ist allerdings die hohe Bedeutung der Verteilung von Arbeit über Apps und damit verbunden die hohe algorithmische Kontrolle in der Plattformarbeit."
Künstliche Intelligenz: Gewerkschaften und Betriebsräte tun sich oft schwerDas Ansinnen, dass sich gemeinsam mit den Arbeitsverhältnissen auch der Arbeitsschutz weiterentwickeln soll, wird in den Betrieben üblicherweise von Betriebsräten und Gewerkschaften vertreten. Doch die tun sich oft schwer mit dieser neuen Form der Beschäftigung, weil Soloselbstständige ja offiziell keine Arbeitnehmer:innen, sondern ihre eigenen Arbeitgeber:innen sind, und Gewerkschaften traditionell nach Menschen ausgerichtet sind, die Vollzeit und festangestellt arbeiten. Soziologe Hertwig weist zwar darauf hin, dass bislang nur etwa vier Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung in Europa in der Plattformwirtschaft tätig sind, viele von ihnen auch nur im Nebenerwerb. Dennoch rechnet auch er damit, dass diese neue Form der Beschäftigung für Gewerkschaften zunehmend zur Herausforderung wird.
Julia Görlitz ist politische Sekretärin in der Grundsatzabteilung der IG Metall und beschäftigt sich dort unter anderem mit den Themen künstliche Intelligenz und Digitalisierung. Sie berichtet, dass man bei der IG Metall schon von einigen Jahren auf die Situation von Plattformarbeiter:innen aufmerksam geworden sei: „Seit 2016 können auch Soloselbstständige Mitglied der IG Metall werden. Seitdem haben wir uns auch verstärkt bemüht, die Crowd Worker und Plattformarbeiter zu erreichen und gute Erfolge erzielt. Damit waren wir Vorreiter."
Plattformarbeit: IG Metall setzt auf InitiativeDie IG Metall hat dafür die Initiative „Fair Crowd Work" ins Leben gerufen, die Beschäftigten Informationen über ihre Rechte und über die Plattformen zur Verfügung stellt. Crowd Worker können Plattformen dort hinsichtlich der Arbeitsbedingungen bewerten und so von den Erfahrungen anderer profitieren.
Doch auch abseits der Plattformarbeit, für Menschen in herkömmlichen Beschäftigungsverhältnissen, setzt sich die IG Metall Görlitz zufolge für eine beschäftigtenfreundliche Digitalisierung ein: „Wir befinden uns da in einem permanenten Spannungsfeld zwischen Innovationsförderung und Risikovermeidung. Wir wollen Digitalisierung nicht blockieren, aber zum Wohle der Beschäftigten gestalten." Solle KI im Unternehmen eingesetzt werden, müsse man unterscheiden, zu welchem Zweck in welchen Bereichen, so Görlitz: „Einerseits kann KI den Beschäftigten als Werkzeug dienen und die eigene Tätigkeit aufwerten. Es kann aber auch KI geben, die mich einschränkt, mich kontrolliert, die meine Tätigkeit weniger attraktiv macht oder mich sogar ersetzt." Das sei eine Herausforderung für die betriebliche Mitbestimmung, die für Görlitz deshalb grundlegend reformiert gehört.
KI-Seminare für BetriebsräteAuch Betriebsräte müssten für das Thema KI erst mal sensibilisiert und geschult werden, sagt sie. „Gerade diese Technologie bringt eine gewisse Intransparenz und eine mitunter hektische Dynamik mit sich, die KI von anderen Digitalisierungsmaßnahmen unterscheidet." Die IG Metall biete Seminare und im Einzelfall auch Prozessbegleitung an. Denn eine wichtige Gestaltungsmöglichkeit für Technik, die im Unternehmen zum Einsatz kommen soll, seien die Betriebsvereinbarungen.
Diese Vereinbarungen, abgeschlossen zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber, könnten zum Beispiel festhalten, dass finale Entscheidungen immer bei einem Menschen liegen müssen und KI nur Empfehlungen aussprechen darf. Auch der Datenschutz der Beschäftigten und das Recht auf Weiterbildungen könnten so gestärkt werden, genauso wie stetige Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Von der Mitbestimmung könnten auch die Arbeitgeber profitieren, so Görlitz. Die Beschäftigten brächten oft Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag mit, die unerlässlich dafür seien, dass sich künstliche Intelligenz reibungslos in einen Betrieb integrieren lasse. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.