Von Beleidigungen und Hass im Netz sind besonders marginalisierte Gruppen betroffen, wie etwa Sexismus oder Rassismus.
Einen Witz über hohe Spritpreise machen? „Dir haben sie mächtig ins Gehirn geschissen du Schwanzgesicht", „Ahnungsloses Walross". Einen kritischen Artikel über Elon Musk und sein Satelliteninternet schreiben? „Warum muß eigentlich jeder Kommunist, der bei der FR arbeitet das Maul aufmachen? Wieviele Satelliten hat denn die FR schon hochgeschossen?". Ein Kommentar über das Chaos bei Twitter veröffentlichen? „Wir sammeln gerade Daten von allen Medien die gegen Musk oder für den Great Reset und Betrug am Volk sind. Ihr seid notiert".
Diese Kommentare sind echt. Menschen haben sie, teilweise anonym, teilweise mit Klarnamen, unter Veröffentlichungen auf Twitter gepostet. Nicht alle sind noch online zu finden, da sie wegen Verstößen gegen die Plattform-Richtlinien gemeldet und gelöscht wurden. Derartige Reaktionen sind für viele, die sich regelmäßig online zu Wort melden, Alltag - wenn man Glück hat. Wer Pech hat, findet seine Privatadresse in extremistischen Foren veröffentlicht, wird mit Tod oder Vergewaltigung bedroht oder landet auf Listen von Personen, die dann regelmäßig Ziel orchestrierter Hassattacken werden. Besonders häufig und intensiv trifft es Menschen, die einer marginalisierten Gruppe angehören, also von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Bodyshaming, Trans- und Homofeindlichkeit oder einer anderen Form der Diskriminierung betroffen sind. Auch für Kinder und Jugendliche ist digitale Gewalt alltäglich. Mobbing im realen Leben wird oft im Internet fortgeführt - und umgekehrt.
Die Strategien sind bekanntDie Themen, wegen derer Menschen zur Zielscheibe organisierter Hassrede im Internet werden, sind vielfältig. Querdenker:innen reagieren mit extremen Drohungen auf Veröffentlichungen zur Corona-Pandemie, Putin-Fans stürzen sich auf alles, was mit dem Ukraine-Krieg zusammenhängt und Nazis triggert vor allem das Thema Migration.
Der Grund dafür ist in vielen Fällen keineswegs eine kippende gesellschaftliche Stimmung. Tausende Kommentare unter einem Artikel oder einem Post in einem sozialen Netzwerk suggerieren, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, sich - oft kritisch - zu einem Thema zu äußern. Betroffene und Beobachter:innen bekommen den Eindruck, hier äußere sich der „Volkszorn" einer breiten Masse der Gesellschaft. Doch immer wieder zeigt sich, dass dieser Eindruck gezielt erzeugt werden soll - um Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen und Menschen einzuschüchtern.
In rechten Kreisen kursieren Handbücher für Hassrede, die erklären, wie man Menschen online systematisch zerstört und zum Schweigen bringt. Dort finden sich technische Hinweise, wie man soziale Netzwerke mit mehreren parallel betriebenen Fake-Accounts und dem massenhaften Posten von Hashtags besonders gut für seine Zwecke instrumentalisieren kann. Außerdem liefern die Dokumente auch Tipps für die Auswahl der Zielpersonen. Besonders gut eignen sich demzufolge „junge Frauen, die direkt von der Uni kommen". Weil diese nicht gewohnt seien, einzustecken, könne man sie eigentlich immer ziemlich einfach auseinandernehmen. Komme dann unerwartet doch Contra, empfiehlt der unbekannte Autor zielloses Beleidigen: „Ziehe jedes Register. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie." Als „Ultima Ratio" sei es auch erlaubt, jemanden „fett oder hässlich" zu nennen. Außerdem solle man sich für gezielte Hass-Attacken in einschlägigen Gruppen organisieren und zusammenschließen, um die Wirkung durch eine größere Zahl an Kommentaren innerhalb kurzer Zeit zu verstärken.
Auch wenn die Strategien bekannt sind, ist es nicht immer leicht, ihnen beizukommen. Plattformen haben zwar eigene Regeln und sperren Accounts, wenn sie merken, dass sie für Spam und für Hass benutzt werden. Doch viele Aktionen bewegen sich online bewusst in einem Graubereich. Was ein einzelner Account tut, verstößt oft nicht gegen die Regeln. Unangenehm wird es für die Betroffenen erst durch die Masse an Accounts, die sich an einer Kampagne beteiligen.
Aus diesem Grund fällt auch eine gesetzliche Regulierung schwer. Natürlich sind einige Beleidigungen gesetzeswidrig und können angezeigt werden, Todesdrohungen allemal. Doch oft ist der Grat schmal: Einerseits müssen Betroffene besser vor Hassrede geschützt werden. Andererseits darf das nicht dazu führen, dass der Meinungsfreiheit im Internet allzu enge Grenzen gesetzt werden.
Denn aufgrund der schieren Masse von Inhalten, mit denen soziale Netzwerke tagtäglich befüllt werden, ist es unmöglich, alles auf Gesetzesverstöße zu kontrollieren. Selbst mit der Menge von gemeldeten Inhalten kommen die Betreiber der Netzwerke oft nicht hinterher. Automatisierte Systeme können helfen - doch sie sind schlecht darin, den Kontext einer Äußerung zu verstehen und können beispielsweise mit Satire nur schlecht umgehen.
Gewalt im echten LebenDas führt dazu, dass Accounts von Menschen zeitweise oder dauerhaft gesperrt werden, weil die Algorithmen einen Witz falsch interpretiert und als Hassrede gekennzeichnet haben. Das ist ein Problem, sind die sozialen Netzwerke doch mittlerweile zu einem wichtigen Ort der öffentlichen Meinungsbildung und damit der Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft geworden. Wer gesperrt wird, verliert seine Kontakte und die Möglichkeit, sich in politische Diskurse einzuschalten.
Ein weiteres Instrument, mit dem gerade konservative Politiker:innen dem Problem der Hassrede gerne beikommen würden, ist die sogenannte Klarnamenpflicht. Wer ein soziales Netzwerk nutzen möchte, wäre verpflichtet, das unter seinem richtigen Namen zu tun. Die Hoffnung: Wer nicht anonym unterwegs ist, äußert sich respektvoller. Das Problem: Auch Betroffene können sich nicht mehr durch Anonymität schützen. Wer sich gegen Rassismus oder Sexismus engagiert, wäre umso mehr dem gezielten Hass von rechts ausgesetzt.
Schon heute können Betroffene oft nicht mit Hilfe rechnen, wenn sie von Menschen unter deren richtigen Namen online bedroht oder beleidigt werden - schlicht und einfach, weil die Polizei diese Anzeigen nicht abarbeitet oder nicht ernst nimmt. Die technische Expertise und das Verständnis für die Mechanismen, die bei Online-Hass greifen, fehlt in vielen Strafverfolgungsbehörden immer noch.
Was für Hassrede gilt, gilt auch für andere Formen der digitalen Gewalt. Polizist:innen raten Menschen, die von Doxxing betroffen sind, immer noch, sich doch online einfach ein bisschen zurückzuhalten. Beim Doxxing werden private Informationen, in vielen Fällen vor allem die private Adresse einer Person, veröffentlicht, um sie einzuschüchtern - und anderen einen Weg zu eröffnen, Gewalt auch im echten Leben auszuüben. Menschen deswegen zu raten, auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung im Netz zu verzichten, nimmt denen, die ohnehin oft schon marginalisiert sind, die Möglichkeit zur Teilhabe - und verschiebt die Verantwortung für die Bekämpfung von Hassrede weg vom Staat, Plattformbetreibern und Täter:innen hin zu den Betroffenen selbst.