Wirtschaft Der Preis des Todes
Mit Bäumen, Urnen und Diamanten - so tiefgreifend wandelt sich die Bestattungbranche
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Eine ganze Branche steht vor dem Umbruch: Nur noch jeder fünfte Sarg stammt aus Deutschland, 75 Prozent der Bürger bevorzugen ohnehin eine günstigere Beerdigung, Friedhöfe verlieren an Bedeutung. Viele Betriebe reagieren mit ausgefallenen Alternativen.
Anfang der 90er-Jahre war Michael Jagdts Geschäft die reinste Goldgrube, kurz nach der Wende in Berlin war das. Die Kundschaft des Sargherstellers hatte sich mit dem Fall der Mauer vervielfacht. Plötzlich war West-Berlin keine Insel mehr, und Jagdts Firma Lignotec verkaufte nun Särge weit über das Umland hinaus.
Wenn Jagdt heute über die Särge spricht, die in einem Industriegebiet nahe dem stillgelegten Flughafen Tegel in Hunderter-Reihen gelagert werden, wird seine Stimme heiser. Während der vergangenen zwei Stunden hat er keinen Schluck getrunken, so viel gab es zu erzählen über das Sarg-Handwerk - eine Branche, die in Deutschland mittlerweile vom Untergang bedroht ist.
Es ist eine lange Geschichte. Zwar hat der Spruch „Gestorben wird immer" seine Gültigkeit nicht verloren. Jedes Jahr sterben in Deutschland fast eine Million Menschen. 2020 waren es 982.489 Tote - ein Anstieg gegenüber 2019 um rund fünf Prozent, der zumindest teilweise auf die Pandemie zurückzuführen ist. Bis auf einige Ausnahmen, etwa bei muslimischen Bestattungen, müssen Verstorbene in Deutschland in einem Sarg beerdigt oder verbrannt werden. Das schreibt das Bundesbestattungsgesetz so vor.
Doch weil das Lebensendeoft ein Tabuthema ist, wissen viele nicht, was hinter den Kulissen einer Beerdigung passiert. Dabei ist das Geschäft mit dem Tod milliardenschwer. In den vergangenen Jahren hat es einen tiefgreifenden Wandel durchlebt.
Einer der Gründe dafür liegt in der Art, wie heute bestattet wird. Seit Jahren geht der Trend hin zu Urnenbegräbnissen, die mittlerweile 75 Prozent ausmachen, oder zu unkonventionellen Bestattungen, etwa in sogenannten Ruhewäldern oder auf See.
Zwar greift auch bei der Einäscherung die Sargpflicht, meist wird jedoch ein günstiges Stück gewählt - weil es ohnehin verbrannt wird. Individuell gestaltete Särge werden daher immer seltener. „Neun von zehn unserer Särge werden verbrannt", sagt Jagdt. „Mit reinen Erdbestattungen kann hierzulande kein Sarghersteller mehr seinen Betrieb finanzieren."
Sorgen macht den hiesigen Herstellern noch eine weitere Entwicklung: Sie sehen ihren Markt von Importen aus Osteuropa bedroht. „Die gesamte inländische Produktion wird auf rund 180.000 Särge jährlich geschätzt", heißt es beim Bundesverband Bestattungsbedarf - bei mehr als fünfmal so vielen Todesfällen. Mit anderen Worten: Mehr als 80 Prozent aller Särge kommen mittlerweile aus dem Ausland, besonders aus Polen.
Michael Jagdt musste über Jahre dabei zusehen, wie der Markt immer weiter schrumpfte. Eine Traditionsfabrik nach der anderen ging in Konkurs. Viele seien dem Wettbewerb aus Osteuropa erlegen. „Wir sind eine aussterbende Art", konstatiert er in seinem holzvertäfelten Büro, während vor dem Fenster ein dunkler Kastenwagen in das Firmengelände einbiegt. „Mittelständische Sarghersteller gibt es nur noch eine Handvoll." Insgesamt 15 sind es noch, sagt der Verband. Nach der Wende waren es im wiedervereinigten Deutschland etwa 100.
Um sich von der Konkurrenz abzuheben, hat Jagdt ein „Made in Berlin"-Logo entworfen. Seine Kunden sollen wissen, dass es sich um regionale und nachhaltige Produkte handelt. Zwischen 1000 und 4000 Euro kostet ein Sarg hierzulande, je nach Verarbeitung und Sonderwünschen. Im Ausland produzierte Stücke sind etwa fünf bis zehn Prozent günstiger, vor allem wegen niedrigerer Lohnkosten.
Wobei billiger nicht unbedingt schlechter heißen muss: „Die Produzenten in Osteuropa haben teils bessere Maschinen als wir - auch dank EU-Fördergeldern ", sagt Jagdt. Der Preisunterschied habe jedenfalls gereicht, um große Teile des Marktes zu untergraben.
Die Kosten für eine Bestattung sind hoch: Knapp 13.000 Euro sind für eine durchschnittliche Beisetzung einzukalkulieren, rechnet das Portal „todesfall-checkliste.de" vor - extravagante Beerdigungen jedoch kosten schon mal das Dreifache.
Dass die Deutschen nach wie vor viel Geld für Begräbnisseeinkalkulieren, zeigt der Branchenumsatz: Lag dieser laut Statistischem Bundesamt 2009 noch bei 1,5 Milliarden Euro, war es 2018 mit 2,1 Milliarden ein knappes Drittel mehr - was aber nicht heißt, dass Beerdigungen immer teurer werden: Der Umsatz ist auch abhängig von der Sterberate - und diese war 2018 rund zehn Prozent höher als 2009.
Umstrittene SteinbrücheWenn Benjamin Pütter von seiner Arbeit in Indien erzählt, klingt das manchmal wie aus dem Drehbuch eines Agentenfilms: Lobbyisten, die Behörden schmieren, Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe - und am Ende eine fieberhafte Flucht aus Bangalore, wo es Auftragskiller eines Steinbruch-Unternehmers auf ihn abgesehen haben sollen.
Pütter aber, der für das internationale Hilfswerk „Sternsinger" arbeitet, versteht sich nicht als Spion, sondern als Befreier: Er will den Kindern helfen, die - so erzählt er es - in indischen Steinbrüchen mit schwerem Arbeitsgerät schuften müssen.
Mehr als 80-mal ist der Freiburger seit den 70er-Jahren nach Indien gereist. Zunächst gehörte er der Friedensbewegung an, heute steht er den Grünen nahe. Auch seine Mission gehöre zur Industrie hinter den Bestattungen: Er will der Kinderarbeit bei der Herstellung von Grabsteinen ein Ende setzen - Kinderarbeit, die es nach Ansicht seiner Gegner kaum gibt. Selbst Fotos von Minderjährigen in Steinbrüchen, die der Aktivist nach eigenen Angaben selbst geschossen hat, sind für die Gegenseite bloß Bilder von engagierten Schauspielern.
„In einige Regionen in Indien kann ich keinen Fuß mehr setzten, ich würde mein Leben riskieren", erzählt Pütter. Doch auch bei deutschen Steinmetzen sei er wegen seiner Berichte in Ungnade gefallen. Einige gingen bereits juristisch gegen ihn vor. Zwar gibt es seit den 90er-Jahren ein Siegel der Indo-German Export Promotion, das die ethisch korrekte Herkunft indischer Ausfuhren belegen soll. Aber Pütter, der dieses für unzureichend hält, hat im Jahr 2012 ein Siegel in Eigenregie gegründet. Unterstützung kam damals von Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU).
Doch trotz all der Bemühungen hat Deutschland offenbar nach wie vor ein großes Grabstein-Problem: „Jeder dritte Grabstein in Deutschland stammt aus Indien, wo 150.000 Kinder in Steinbrüchen schuften", mahnte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erst vor wenigen Monaten.
Auf Nachfrage konkretisiert sein Ministerium: Nach aktuellen Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) arbeiten in Indien ungefähr zehn Millionen Kinder. Zwei Drittel aller Grabsteine hierzulande stammten von dort. Dass „zumindest die Hälfte der aus Indien importierten Steine unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt wurde", sei demnach plausibel, sagt ein Sprecher.
Sybille Trawinski hingegen ist über diese Rechnung irritiert. Einige Aussagen würden „schon seit über zehn Jahren recht pauschal getroffen, ohne dass uns je ein Nachweis bekannt wurde", sagt die Geschäftsführerin des Bundesverbands der Steinmetze. „Wir müssen bis heute annehmen, dass Kinderarbeit in Steinbrüchen stattfindet, dass diese jedoch nicht am Grabmal arbeiten, sondern kleine Steine klopfen, die eher im Straßen- und Landschaftsbau verwendet werden", verteidigt die Verbandschefin die Branche, der rund 5000 Betriebe angehören.
Trawinski sieht das Problem eher an anderer Stelle - und betont, dass es gerade bei öffentlichen Bauvorhaben eine „Billigpreispolitik" gebe, bei der häufig ausgerechnet die günstigeren Materialien aus Ländern wie Indien den Vorzug vor hiesigen Angeboten bekämen. Konkrete Zahlen dazu lassen sich kaum finden - auch Müllers Ministerium kann keine nennen: Die Herkunft der Steine aus Indien sei in Teilen weiterhin intransparent.
„Steinmetze sind oft das Ende einer langen Kette", sagt Trawinski. Und diese endet häufig in einem Firmengeflecht. Die Konzentration auf Grabmäler sei gar „Kosmetik" für größere Bereiche, wie den Garten- oder Straßenbau.
Auf Nachhaltigkeit legen jedenfalls auch die Steinmetze Wert. Sie sei gar das „neue Schlagwort", heißt es im Jahresbericht der Innung 2018. Kinderarbeit lehne man grundsätzlich ab. Und die Entstehungsgeschichte der Steine ist offenbar auch den Kunden zunehmend wichtig: Vier verschiedene Zertifikate listet das Portal „Siegelklarheit.de" der Bundesregierung auf - das von Pütter gehört ebenfalls dazu.
Klar ist jedoch: Weil immer mehr Menschen sich in Urnen oder anderweitig beisetzen lassen, sinkt die Nachfrage nach Grabsteinen. Und auch bei diesen sind die Preisunterschiede erheblich: Die Preise fangen bei etwa 1000 Euro an, können aber auch das Zehnfache erreichen. Verlässliche Umsatzzahlen der gesamten Branche kann der Verband auf Nachfrage nicht liefern, bei einer Mitgliederumfrage im Jahr 2019 haben allerdings 92,9 Prozent der Betriebe ihre Geschäftslage mit gut oder befriedigend angegeben.
Eventkultur des BestattensEin schwerer Eichensarg, der in die dunkle Erde hinabgelassen wird - für viele Menschen ist diese klassische Form des Begräbnisses eine beängstigende Vorstellung. Davon - und von den hohen Kosten einer traditionellen Beerdigung - profitiert eine neue Industrie: Seit einigen Jahren drängen Unternehmen auf den Markt, die die Begräbniskultur in Deutschland revolutionieren wollen.
Weg von Erde und Sarg und hin zu einer Art Eventkultur des Bestattens, die dem Tod wenigstens etwas von seinem Schrecken nehmen soll. Das ist zumindest der Anspruch, mit dem viele der jungen Firmen angetreten sind. Losgetreten wurde dieser Trend in den USA, wo sich das Angebot bereits von Beerdigungen in kompostierbarem Granulat und Urnen über Einäscherungen in Recyclinggläsern bis hin zu nachhaltigen Waldbestattungen erstreckt.
Nicht alles davon wird den Weg nach Deutschland finden - auch weil hierzulande deutlich strengere Regeln gelten. Dennoch versucht eine Handvoll Start-ups, auf Kundenwunsch Bestattungen der unkonventionellen Art zu organisieren. Einige Firmen haben sich zudem auf das immer komplexere Thema des digitalen Nachlasses und Patientenverfügungen spezialisiert, wieder andere bieten Rundum-Services für Angehörige an, die mit der Organisation einer Beerdigung inmitten ihrer Trauer oft überfordert sind.
Emmora ist eines dieser Start-ups. Seine beiden Gründerinnen haben sich vorgenommen, dem Thema Bestattungen in Deutschland die Erdenschwere zu nehmen. Der Tod müsse grundsätzlich enttabuisiert und mehr über Beerdigungen und deren Kosten gesprochen werden, so formulieren Victoria Dietrich und Evgeniya Polo ihren Anspruch.
Ihr Unternehmen, mit Büros in Hamburg sowie im Berliner Szenestadtteil Prenzlauer Berg, vermittelt auf seiner digitalen Plattform Hinterbliebene an Bestatter, Musiker und Trauerredner oder Trauerbegleiter. Die Kunden buchen quasi eine Bestattung als All-inclusive-Paket mit individueller Betreuung.
Besonders beliebt sind sogenannte Baum-Bestattungen, erzählt Gründerin Polo in der Küche des Berliner Büros, das eher an Studenten-WG, als an eine Firmenzentrale erinnert. Emmora ist für die 27-Jährige die erste berufliche Station als Chefin; Mitgründerin Dietrich, die zuvor für die Reederei Maersk gearbeitet hat, lernte sie 2018 auf einem Workshop der Berliner Start-up-Szene kennen.
Bei der Baum-Bestattung wird die Urne im Wurzelwerk eines Baumes im Ruhewald beigesetzt, den Stamm ziert oft eine kleine Namenstafel. Die Beerdigung in der freien Natur entspreche dem Wunsch vieler Kunden nach einem umweltfreundlichen Begräbnis, so schildern es die beiden Unternehmerinnen.
Wer nachhaltig lebe, lasse verstorbene Angehörige auch nachhaltig beerdigen. Völlig ausgefallene Wünsche wie etwa den nach einer letzten Ruhestätte jenseits der Erde, im Weltall, können zwar auch die jungen Wilden der hiesigen Bestattungsbranche nicht erfüllen - das geht bisher nur in den USA und in Skandinavien.
Dafür lässt sich der ebenfalls eher unkonventionelle Wunsch nach Einarbeitung eines Teils der Asche in einem Diamanten mittlerweile auch hierzulande buchen. Aus juristischen Gründen muss die Umsetzung - je nach Größe des Diamanten werden meist zwischen 3000 und 15.000 Euro aufgerufen - allerdings in der benachbarten Schweiz erfolgen.
Ihren größten Vorteil dürfte die junge Branche aber weniger aus dem hippen Image, sondern vor allem aus den geringeren Kosten im Vergleich zum Angebot klassischer Bestatter ziehen: Weil der teure Grabstein wegfällt, ist das Sparpotenzial groß - denn allein dieser schlägt oft mit 2000 bis 5000 Euro zu Buche. Auch Zusatzkosten wie Friedhofsgebühren oder Kosten für die Grabpflege fallen weg, wenn als letzte Ruhestädte der Friedwald statt des Friedhofs gewählt wird.
Und tatsächlich spiegelt sich der Trend zu neuen Formen des Bestattens fernab der Friedhofserde längst in der rückläufigen Zahl der kirchlichen Begräbnisse: Laut Statistischem Bundesamt machten sie 2018 nur knapp 54 Prozent aus. Vor 20 Jahren waren es noch fast zwei Drittel.
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