Der Glanz der Schattenwirtschaft
In Lagos, der größten Stadt Nigerias, wühlen Hunderte Menschen im Abfall nach Verwertbarem. Wirtschaftswissenschaftler zählen sie zum "informellen Sektor". Ungefähr 60 bis 80 Prozent der Erwachsenen Nigerias gehören dazu und zahlen weder Steuern noch sonstige Abgaben. Die Weltbank geht davon aus, dass alle informell arbeitenden Menschen zusammen zehn Billionen Dollar jährlich erwirtschaften. Das ist mehr als das Bruttosozialprodukt Chinas.
"Die Schattenwirtschaft wird verachtet als krimineller Schwarzmarkt, dabei ist sie eine wirtschaftliche Supermacht", sagt Robert Neuwirth, der auf der größten Müllkippe Afrikas in der nigerianischen Hauptstadt Lagos steht. Hier wühlen Hunderte Menschen im Abfall einer Millionenstadt nach Verwertbarem. "Zahlen der Weltbank belegen, dass diese informell arbeitenden Menschen zusammen weltweit zehn Billionen Dollar jährlich erwirtschaften. Wären sie Einwohner eines Landes, wäre es nach den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft", sagt Neuwirth.
Neuwirth hat monatelang bei den Menschen gelebt, die Kunststoffe, Altmetall und Elektroschrott sammeln. Viele verkaufen als Straßenhändler gebrauchte Mobiltelefone oder gefälschte Markenartikel. Sie zahlen keine Steuern, sind nicht registriert und haben keinen Schulabschluss. Schätzungen zufolge erwirtschaften allein die Sammler auf den Müllkippen täglich insgesamt 30.000 Dollar. "Vier von fünf sind informell", sagt Neuwirth, "wenn wir über wirtschaftliches Wachstum in Afrika sprechen, müssen wir über diese informelle Wirtschaft sprechen, nicht über die formellen Unternehmen."
Michael Grimm stützt diese Aussage. Auch für ihn steht fest: ein wirtschaftlicher Aufschwung in Afrika geht von diesen informellen Kleinstunternehmern, den Händlern und Handwerkern auf der Straße aus. Sie können mit ihrem Engagement, unternehmerischen Mut und ihrer Kreativität Afrika aus der Armut führen.
Nigeria ist gleichzeitig die größte Volkswirtschaft Afrikas und das bevölkerungsreichste Land. Trotz einiger Anfangserfolge rutschte es seit dem Verfall des Ölpreises in eine tiefe Wirtschaftskrise. Im Juli 2016 berieten der Internationale Währungsfonds und die Weltbank über Kredite in Milliardenhöhe. Nigeria ist der größte Ölexporteur des afrikanischen Kontinents. Doch von den vielen Petrodollar kommt auch in guten Zeiten nur wenig beim Volk an.
Der Staat kümmert sich kaum um die Infrastruktur. Stattdessen zerstört er die Lebensräume vieler Unternehmer. Im Stadtteil Makoko etwa hat die Polizei in einer Nacht- und Nebelaktion Wohnhäuser ansässiger Fischer und Fischhändler abreißen lassen. Als sie protestierten, wurde ein Gemeindevertreter erschossen. Offizielle Begründung des Abrisses: Verschönerung des Stadtbildes. Doch die Anwohner glauben, dass ihr Grund und Boden für viel Geld an Spekulanten verkauft werden soll. Anstatt unterstützt zu werden, leiden Afrikas Kleinstunternehmer unter Repressalien und schlechter Infrastruktur - und schaffen es doch mit ihrer Kreativität und ihrem Willen, die Wirtschaft dort aufzubauen.