Der 48-jährige Hamburger peilt bei den Olympischen Spielen in Sotschi einen Platz im Mittelfeld an. Als Skip benötigt man mehr Erfahrung als Kraft.
Frage: Herr Jahr, es wird immer wieder betont, dass Sie mit 48 Jahren der älteste deutsche Teilnehmer bei den Olympischen Spielen in Sotschi sind. Welche Rolle spielt das Alter beim Curling?
John Jahr (48): Na ja, man muss bedenken, dass als Skip, also als Kapitän, der immer hinten steht und die Strategie und das Ziel vorgibt, das Körperliche ausgeblendet ist. Ich wische nicht mehr über lange Distanzen. Von daher ist das jetzt gar nicht so ungewöhnlich. In Kanada zum Beispiel, bei den Weltklasseleuten, die schon mehrere WM-Titel geholt haben, ist es durchaus verbreitet, dass der Kapitän etwas älter ist und ein eher jüngeres, körperlich starkes Team um sich schart.
Frage: Was fasziniert Sie am Curling?
Jahr: Da ist zum einen diese Bewegung, die Körperbeherrschung, die ist sehr komplex. Außerdem gibt es viele taktische Komponenten, wie man ein Spiel aufziehen kann: Beginnen wir aggressiv, defensiv, wo muss der Stein platziert werden, um welche Ergebnisse zu erzielen? Gute Spieler denken bereits drei, vier Züge im Voraus und in der Regel, wenn alles perfekt umgesetzt wird, enden die Spiele dann auch wie geplant.
Frage: Als Laie fragt man sich oft, was genau das Wischen mit dem Besen für eine Bedeutung hat . . .
Jahr: Durch die Reibung und den Druck beim Wischen schmelzen kleine, extra auf dem Eis aufgetragene Tröpfchen an. Das hat dann einen ähnlichen Effekt wie beim Aquaplaning: Der Stein schwimmt auf, die Reibung auf dem Wasserfilm wird vermindert, wodurch sich die Lauflänge des Steins verlängert. Ein weiterer Effekt ist: Durch das Beschleunigen des Steins wird auch die Parabel – ein Curlingstein läuft immer eine Parabel – abgeflacht. Dadurch kann man einen Stein bis zu vier Meter verlängern.
Frage: Wie sehen Sie die Chancen auf eine Medaille?
Jahr: Ja, das fragt jeder. Klar versuchen wir, das Beste zu geben. Wenn ich das mal rein vom Papier betrachte, gibt es fünf, sechs Teams, die nichts anderes tun, als Curling zu spielen. Ein Platz im Mittelfeld, vielleicht auch im unterem Mittelfeld, wäre von daher erst mal realistisch. Die Qualifikation für Sotschi war das hohe Ziel für 2014. Was jetzt noch kommt, kann man nur schwer einschätzen.
Frage: Wohnen Sie im Olympischen Dorf?
Jahr: Es gab unterschiedliche Überlegungen, wo wir unser Quartier aufschlagen wollen. Um ehrlich zu sein, geh' ich auch gerne mal ins Hotel. Im Olympischen Dorf herrscht viel Trubel. Da in Sotschi große Sicherheitsvorkehrungen aufgefahren werden, haben wir uns aber doch entschieden, im Dorf einzuziehen, um diesen ewigen Sicherheitskontrollen aus dem Weg zu gehen.
Frage: Bundespräsident Gauck boykottiert Olympia aus Protest gegen die politische Lage. Das hat zu sehr unterschiedlichen Reaktionen geführt. Wie stehen Sie dazu?
Jahr: Schwierige Frage. Ich kann Herrn Gauck verstehen: Wann soll man Kritik anbringen, wenn nicht bei solchen Großereignissen? Auf der anderen Seite ist immer die Frage, ob man so ein Sportfest, und das ist es ja nach wie vor, politisieren sollte. Aus meiner privaten Perspektive, oder aus der Sicht des Sportlers, sage ich: Es ist ein Sportfest, und zu viel Politik gehört da einfach nicht hin.
Frage: Wie hoch sind Ihre Bedenken bezüglich der Sicherheit – vor allem nach den Anschlägen im Dezember in Wolgograd?
Jahr: Angst habe ich nicht. Klar wird Sotschi für zwei Wochen ein Brennpunkt auf dieser Welt sein. Auf der anderen Seite, wenn ich übersteigerte Angst hätte, könnte ich auch in London nicht mehr in die U-Bahn steigen. Natürlich schwingt ein gewisses ungutes Gefühl mit, ich weiß aber auch, welche Sicherheitsvorkehrungen bei den Olympischen Spielen aufgeboten werden. Die können sich gar keine Vorfälle erlauben.