Jacob Queißner

Freier Journalist/Fotograf, Gera

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Artikel

Fest der Fahnen & Widersprüche

Am letzten Ferienwochenende war Gera Schauplatz für das "Große Treffen der Bundesstaaten", einer Veranstaltung von Bürger*innen, die sich das Kaiserreich zurückwünschen, aber nicht Reichsbürger*innen genannt werden möchten.

Es war außergewöhnlich heiß für einen Apriltag. Die Sonne schien prall auf den Parkplatz am Hofwiesenpark, wo die Veranstaltung stattfand. "Kaiserwetter" redeten es sich die Teilnehmer schön, die durchaus mit der Hitze zu kämpfen hatten.

Zum "25+1 - Das große Treffen der Bundesstaaten" wurde gerufen und rund 1000 Menschen, aus der gesamten Bundesrepublik und auch über ihre völkerrechtlichen Grenzen hinaus, kamen. Die Polizei nannte 910 als Höchstzahl.

Diese Bewegung beruft sich auf 1871, dem Jahr, in dem das Deutsche Kaiserreich gegründet worden ist, und vor allem auf die dabei entstandene Verfassung. Sie sind der Meinung, dass das Kaiserreich formell und somit auch die Verfassung weiterbesteht. Nicht jeder „Reichsbürger" ist gleich ein Rechtsextremist. Das sagt auch der Verfassungsschutz. Was sie eint, ist aber die Ablehnung des Staates und des Grundgesetzes. Szenebeobachter*innen stellten fest, dass der Frauenanteil zugenommen hat und auch mehr junge Leute teilnahmen als noch vor ein paar Jahren. Die Szene hat deutlichen Zulauf über Querdenken und die Anti-Corona-Maßnahmen-Proteste bekommen.

Die 25 Bundesstaaten sind die 25 Gebiete (Königreiche, Herzogtümer, Fürstentümer,...) die zum Kaiserreich fusionierten. +1 ist Elsass-Lothringen, welches 1874 dazu kam. Und das damalige Reichsgebiet umfasste Regionen, die heute zu Frankreich, Dänemark und Polen gehören.

Präsentiert wurden diese Bundesstaaten in einem Fahnenumzug, der in einer Demonstration durch die Stadt zog. Jeder Bundesstaat hatte dabei einen eigenen Block, bei dem die jeweiligen Fahnen geschwenkt wurden. Einige der Teilnehmer*innen trugen altertümliche Kostüme, darunter auch preußische Uniformen mit Pickelhauben. Laut Polizei konnte aber kein militärischer Charakter festgestellt werden und die Pickelhauben gelten auch nicht als Schutzbewaffnung.

Allerdings schritt die Polizei an anderer Stelle ein. Es gab zwei Verstöße gegen §86 a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen), zwei Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, eine Ordnungswidrigkeit wegen Verstoß gegen §111 OWiG (Falsche Namensangabe), sowie ein Verstoß gegen §90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole). Die Veranstaltung wurde zuvor stark beauflagt. Verbieten konnte man sie nicht.

Die Veranstaltung gab sich sehr professionell. Es gab eine große Leinwand sowie einen Multikamera-Livestream. Von den Orgastrukturen der Geraer Montagsdemonstranten*innen kam die kulinarische Verpflegung. "Dass ausgerechnet Gera für diese Demo ausgewählt wurde, ist kein Zufall", erklärt uns die Recherchegruppe Ostthüringer Divan, die die Szene seit einigen Jahren beobachtet. "Gera genießt einen guten Ruf bei rechtsextremen Coronademonstranten bis hin zu Reichsbürgern. Das liegt an den zurückhaltenden Behörden, aber auch an den mittlerweile gefestigten Strukturen von Miteinanderstadt Gera/Aufbruch Gera/Freies Thüringen/AfD. Die wichtigsten Organisatoren kamen nicht aus der Umgebung. Die Leute, die das Event im Hintergrund ermöglichten, dagegen schon. Aufbruch Gera versorgte die Teilnehmer mit Getränken und Essen und füllte sich so scheinbar selbst die Kassen."

Insgesamt machte es ein wenig den Eindruck einer PR-Veranstaltung. Man wollte sich friedlich und familienfreundlich geben. Nicht ins Bild passten da die zahlreichen rechtsextremen Symboliken, Wehrmacht-Shirts und Buttons rechtsextremer Organisationen, wie der "Identitären Bewegung". Auch Personen, die in Verbindung zu der verhafteten Gruppe um Prinz Reuß stehen, waren anwesend. Nicht nur ein Befürworter des mutmaßlichen Putschisten Reuß durfte eine Rede halten, sondern sogar auch einer der Beschuldigten in dem Verfahren.

Allgemein war die Veranstaltung durch zahlreiche Widersprüche geprägt. Großes Motto des Treffens war "Weltfrieden", sie sehen sich auch als "Friedensbewegung". Das steht im starken Kontrast mit dem Kaiserreich selbst. Nicht nur, dass es damals im Ersten Weltkrieg gipfelte; in den 47 Jahren seiner Existenz war es von vielen Konflikten und Kriegen geprägt. Da sind vor allem die Beteiligung an der blutigen Niederschlagung des Boxeraufstands und der Völkermord an den Herero und Nama zu nennen, aber auch die kolonialistische Expansionspolitik im Allgemeinen. Vor allem afrikanische Gebiete wurden vom Deutschen Reich besetzt und ausgebeutet, die Menschen mussten Zwangsarbeit leisten oder wurden in Menschenzoos gesteckt. Dennoch nahmen an der Demo auch vereinzelt schwarze Personen teil.

Dazu gab es eine Fraktion der "Royal Ottoman Society", die gerne das Osmanische Reich zurück hätte. Deren Anführer hielt seine Rede auf Türkisch (mit Übersetzer) ab, was die meisten nicht zu stören schien. Mit "Möge Allahs Segen auf uns sein" beendete er seine Rede und bekam Applaus.

Die Reichsbürger-Szene lehnt nicht nur den Staat ab, sondern auch alle Parteien. Selbst die AfD. Dennoch nahmen einige AfD-Mandatsträger*innen teil, darunter mindestens drei aus dem Geraer Stadtrat, wovon einer auch im Thüringer Landtag sitzt.

Doch nicht nur rechte Politiker*innen konnte man sehen. Zur Bestätigung des eigenen Weltbilds wurden auf der Leinwand auch Videos von Politikern wie Gregor Gysi (Linke), Theo Waigel (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) gezeigt. Deren, aus dem Kontext gerissene, Zitate dienten als Beweise für eine vermeintliche Besatzung Deutschlands durch alliierte Truppen oder dass Deutschland eine GmbH sei. Im Falle von Gysi waren es Aussagen im Rahmen der Abhöraffäre 2013, bei denen er Geheimverträge zur Tätigkeit der alliierten Geheimdienste in der Bundesrepublik kritisierte. Auf Nachfrage von Gerda bestätigte Gysis Büro, "dass Herr Gysi mit Reichsbürgern und deren Absichten nicht das Geringste zu tun hat und deren Positionen in jeder Hinsicht verurteilt. Selbstverständlich ist die Bundesrepublik Deutschland ein souveräner Staat."

Das Aktionsbündnis Gera gegen Rechts hatte kurzfristig einen Gegenprotest organisiert und stand mit rund 50 Personen, hauptsächlich Familien mit Kindern, vor dem Theater. Sie protestierten gegen die Demo mit Zirkusmusik. Außerdem wurde Kaiserschmarrn serviert und Fantasiefahnen gebastelt.

Nachdem auf der Reichsbürgerversammlung die erwähnten Politikerzitate gezeigt wurden, fragte der Redner in Richtung Aktionsbündnis: "Warum geht Gera gegen Rechts nicht zum Bundestag und macht dort eine Demo und nimmt nicht gleich den Bürgermeister von Gera mit?" Diese Frage beantwortete der Anmelder des Gegenprotests gegenüber Gerda: "Wir stehen da, wo wir stehen, weil wir auf Nazicodes hinweisen müssen; weil wir darauf hinweisen müssen, dass dort eine menschenverachtende Sprache gesprochen wird, dass dort ganz klar Revisionismus betrieben wird und das ist uns wichtig"

Trotz geringer Größe schien der Gegenprotest die Reichsbürger*innen zu stören. Im Livestream ist der Gegenprotest zwar kurz zu sehen, aber der Ton mit der Zirkusmusik ist nicht zu hören.

Mit Gerda wollten die Teilnehmer*innen des Bundesstaatentreffen aber nicht reden. Sie hörten brav auf das, was von der Bühne diktiert wurde: Nur mit den eigenen akkreditierten Medienvertretern reden und nicht mit der "gleichgeschalteten Mainstreampresse". Dabei hätten wir gerne aus erster Hand erfahren, warum die Menschen sich von Staat & Demokratie weg zu solchen Ideologien hin bewegen und wie sie zu den ganzen Widersprüchen stehen. Einen Kommentar hinterlassen
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