Es ist der Tag nach Veröffentlichung der Geheimplan-Recherche: In einem Videogespräch treffen sich Dutzende Reporterinnen und Reporter, die für Lokalmedien aus ganz Deutschland arbeiten. Sie sind Mitglieder von CORRECTIV.Lokal. Es ist der Beginn einer Vernetzung, die seitdem täglich im Netzwerk stattfindet.
Ein Kollege berichtet von ersten Protesten gegen die AfD und Rechtsextremismus in seiner Stadt. Eine Lokalreporterin teilt mit der Runde, wie sie in kürzester Zeit einen weiteren AfD-Politiker identifizieren konnte, der am Geheimtreffen bei Potsdam teilgenommen hat. Andere teilen Ideen für weitere Recherchen und diskutieren handwerkliche Fragen, um tiefer ins Thema einsteigen zu können.
Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort nehmen als Erstes wahr, was später für alle sichtbar sein wird. Mittlerweile sind mehr als drei Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Über die Deutschlandkarte von CORRECTIV haben Menschen in mehr als 350 Einträgen lokale Folgen sichtbar gemacht. In den folgenden Berichten erzählen sechs Reporterinnen und -reporter, was bei ihnen vor Ort passiert ist.
Thüringen: Das Ende der Machtlosigkeit in Gera
von Jacob Queißner (freier Journalist)
In Gera waren die Entwicklungen nach den Veröffentlichungen durchwachsen. Es dauerte knapp drei Wochen, bis es am 27. Januar die erste Kundgebung stattfand, an der zwischen 700 und 1.000 Menschen teilnahmen. Das ist für Gera in Ostthüringen viel, aber unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Städten.
Allerdings muss erwähnt werden, dass zeitgleich wenige Hundert Meter eine extrem rechte Veranstaltung stattfand, zu der auch Martin Sellner angekündigt worden war. Sellner wusste von der Einladung anscheinend nichts, aber die thüringischen Behörden waren trotzdem alarmiert und erwirkten ein Einreiseverbot. Die Lokalzeitung in Gera hat das Thema nicht mehr weiterverfolgt und die CORRECTIV-Recherche nur in den Mantelnachrichten gehabt - ohne eigene Recherchen vor Ort.
Dennoch ist es zu beobachten, dass sich mehr Menschen engagieren wollen, vor allem gegen die rechten Montagsdemos, die seit über zwei Jahren wöchentlich durch die Stadt ziehen. Bei den Menschen der Stadt herrschte bisher eine Machtlosigkeit und das Gefühl, dass die Demos und insbesondere der Organisator, ein vorbestrafter Neonazi, Narrenfreiheit haben.
Ich glaube, dass die Menschen wieder mehr Mut und Motivation haben, etwas dagegen zu tun. So gibt es jetzt eine neue Veranstaltungsreihe der Stadtkirchgemeinde, bei der man etwas abseits von den Montagsdemos ins Gespräch kommen möchte, Ängste nehmen will und die schönen Seiten der Stadt hervorheben will. Auch bei Gegenprotesten zu rechten Veranstaltungen sind mehr Teilnehmende zu beobachten. Das gibt Hoffnung für die anstehenden Kommunalwahlen Ende Mai und die Landtagswahlen im September in Thüringen.
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Das Netzwerk CORRECTIV.Lokal stärkt den Lokaljournalismus. Mehr als 1.700 Mitglieder werden bei Recherchen unterstützt und profitieren von vielfältigen Angeboten. Viele von ihnen kommen Ende April zu einer Fachkonferenz in Erfurt zusammen. Im Netzwerk arbeiten wir an national relevanten Themen, die gleichzeitig Menschen vor Ort betreffen. Zusammen glauben wir an die Kraft eines Lokaljournalismus, der positive Veränderungen in der Gesellschaft bewirkt.