James Blakes neues Album erscheint fünf Jahre nach seinem ersten und zwei Wochen nach seinem größten Auftritt: Auf dem selbstbetitelten Debüt vermengte er 2011 zum ersten Mal minimale britische Elektronik und maximal emotionalen Soul. Dass Blake jetzt, strategisch günstig, kurz vor seinem dritten Werk auf Beyoncés Überraschungsalbum „Lemonade“ mit einem eigenen Song vertreten ist, verdeutlicht wohl am besten, was sich in der Zwischenzeit getan hat.
Blakes elektronischer Singer/Songwriter-Ansatz - Post-Dubstep, Future Pop, der Name spielt keine Rolle - ist aus seiner Nische herausgewachsen und nun so präsent im Pop, dass selbst die größte Sängerin der Welt ihr Album damit schmücken kann. Dass es so gekommen ist, liegt sicher auch an Künstlern wie FKA twigs, Banks, Jamie Woon und, ja, auch Kanye West, die Blakes Konzept auf ihren eigenen Alben weiterentwickeln konnten.
Vor allem aber liegt es an James Blake selbst. Er wusste stets, was da klingen musste, und er wusste, wie es klingen muss. Bei Blake fielen die grundsätzlichen Unterschiede seiner beiden Einflussrichtungen, der klassischen Pianolehre und dem Club, nie auf: Er vereinte sie, ohne dass man überhaupt merkte, dass es da etwas zu vereinen gab, was eigentlich doch nicht zusammengehört. Das war die hohe Kunst seines Erstlings und der Nachfolgerplatte „Overgrown“ von 2013.
Auf „The Colour In Anything“, dem letzten Freitag veröffentlichten dritten Album des Briten, bilden sich erstmals Risse. Die tektonischen Platten auf Blakes musikalischer Landkarte reiben sich aneinander, noch jedoch ohne ein größeres Unheil anzurichten.
„The Colour In Anything“ ist selbst für den Mimosenkönig Blake ein sehr weinerliches Album geworden. Es dreht sich viel um den Zerfall in der Liebe, um gegenseitige Entfremdung. „Sadly you're no longer her“, singt er rührselig auf „Points“, ein Lied später rudert er zurück: „I won't be so loud if this is what you need“. „Love Me In Whatever Way“ heißt diese vertonte Selbstaufgabe.
Es ist Blake noch nie so gut gelungen, seinen Gemütszustand in Worte zu fassen - doch er ist auch noch nie so sehr daran gescheitert, ihn zu vertonen. Die dazugehörige Musik klingt nämlich selten still, wenn, dann steht es ihr, man höre sich die herausragende Piano-Ballade „f.o.r.e.v.e.r.“ an. Häufig aber lässt Blake seine Songs aufgewühlt klingen. Aus der stillen Trauer, die er mit sich spazieren trägt, wird eine wütende, die er loswerden will. Und so verkalkuliert er sich oft, verheddert seine Stücke in einem Gewirr aus Geräuschen und kriegt die Knoten nicht wieder aufgelöst. Genügend Zeit dazu hätte er ja: „The Colour of Anything“ ist mit fasts 80 Minuten Laufzeit ein regelrechtes Monster von einem Album. Spätestens aber nach der Hälfte findet sich auch sein Schöpfer darin nicht mehr zurecht: Der aus Stimmfetzen zusammengehaltene Beat von „Noise Above Our Heads" ist schwer zu genießen, „Two Men Down“ verwandelt sich unvermittelt aus einer schlimmen, atonalen Collage in eine noch schlimmere Synth-Pop-Ballade.
Und was nicht schlimm ist, ist oft auch nicht interessant. Erst am Ende warten dank des verzerrten Pianos von „Modern Soul“, Blakes Allzweck-Waffe, und des sich langsam aufbauenden „Always“ noch ein paar Perlen. Im A-Capella-Stück „Meet You In The Maze“, mit dem die Platte schließt, ist Blake endgültig im Selbstmitleid zerflossen.
Auch wenn „The Colour In Anything“ denkbar einsam klingt, begegnen uns auf der Reise durch Blakes Gefühlsleben drei prominente Gäste. Einer von ihnen, Rick Rubin, der wohl bekannteste Produzent ohne Handschrift, kann uns getrost egal sein kann. Die anderen beiden sind Justin Vernon, der Mann hinter dem Folk-Projekt Bon Iver, und Soul-Sänger Frank Ocean, wahrscheinlich diejenigen Künstler, auf deren Alben wir nach dem jüngsten Radiohead-Release am gespanntesten warten.
Beide haben an je zwei Songs mitgewerkelt, und man wünscht sich, Blake hätte sie seinen Gästen ganz überlassen. „I Need a Forest Fire“ kann man sich mit all dem künstlich gestreckten Waldhütten-Pathos gut als Comeback-Single von Bon Iver vorstellen, und bei der Ballade „My Willing Heart“ denkt man sich automatisch das warme Soul-Falsett des kalifornischen Sunnyboys Frank Ocean dazu, der hier jedoch nur mit geschrieben, aber nicht mitgesungen hat.
Trotzdem: Die bloße Vorstellung eines „richtigen“ Blake-Ocean-Duetts ist so schon um einiges attraktiver - und wahrscheinlicher - geworden. Vielleicht macht Ocean es ja wie Beyoncé und lädt Blake auf sein Album ein, dann könnte der dort auch einiges wettmachen, was er gerade verhunzt hat.