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Biomasse ist Zukunft? Deutschlands großer Trend zum Holzverbrennen

Biomasse-Heizkraftwerk in Brunsbüttel Maurizio Gambarini/dpa

Ob für Heizung, Strom oder neue Brennstoffe: Biomasse ist von großem Interesse für die deutsche Industrie. Doch wo so viel Holz hernehmen? Was Fachleute dazu sagen.


Biomasse und vor allem Holzenergie sind durch die berühmt-berüchtigten Holzpellets jedem bekannt. Nach der massiven Verteuerung von Gas im Frühjahr 2022 explodierte die Nachfrage nach Holz, und Pelletheizungen gewannen trotz ebenfalls steigender Preise noch mehr an Beliebtheit.


Doch wie sehr die Verwendung dieses biologischen Brennstoffs auch für die Industrie von Nutzen ist, ist kaum bekannt. Liegt hier die Zukunft der Energiewende?


Bioenergie und vor allem die Nutzung nachhaltiger Holzenergie wurden jüngst von der Internationalen Energieagentur (IEA) in ihrem Zehn-Punkte-Plan zur Verringerung der europäischen Abhängigkeit von russischem Erdgas erwähnt. Die Holzenergie soll maßgeblich dazu beitragen, deutsche und europäische Klimaziele zu erreichen. Die Preise tun zurzeit noch weh: rund 500 Euro pro Tonne Holzpellets aus der Industrie, das sind plus 144 Prozent in nur zwei Jahren. Doch insbesondere die technische Verfügbarkeit und die Umweltfreundlichkeit machen die Biomasse auf die Länge attraktiv.


Fernwärme aus erneuerbaren Energien: Biomasse gibt den Ton an

Biomasse spielt bei der Wärmegewinnung schon jetzt eine wichtige Rolle. Die Holzenergie aus Sägenebenprodukten oder nicht sägefähigem Industrieholz sichert heute bis zu zwei Drittel des Anteils der erneuerbaren Energien an der Wärmeerzeugung bzw. über zehn Prozent der insgesamt produzierten Wärme. Vor allem bei der Fernwärme gibt die Holzenergie den Ton an.


Im Märkischen Viertel in Berlin betreibt der Stromanbieter Vattenfall beispielsweise ein Biomasseheizkraftwerk. Auch in Neukölln wird von RWE Restholz zur Wärmeerzeugung verheizt. Die weggeworfenen Weihnachtsbäume werden hier unter anderem geschreddert und zur Energiegewinnung verbrannt.


Doch über diesen Einsatz hinaus hat die Holzenergie noch keinen großen Anwendungsbereich in Deutschland. Dafür aber gute Aussichten, die inzwischen auch die Politik erkannt hat. „Die Nationale Biomasse-Strategie (Nabis) der Bundesregierung für die Nutzung nachhaltiger Holzenergie kann das große Zukunftspotenzial der Holzenergie fördern", sagt der Geschäftsführer des Forums Nachhaltige Holzenergie, Dr. Frank Schauff, dazu. Das Forum vertritt Interessen von Energie-, Forstwirtschafts- und Pelletunternehmen in Deutschland. Mit der Nabis-Strategie soll etwa ermittelt werden, wie viel nachhaltig gewonnene und erzeugte Biomasse Deutschland überhaupt zur Verfügung hat, um diese als Energieträger zu verarbeiten.


Holzenergie: Hoffnung auf Dekarbonisierung

Man könne durch Holzenergie in Kraftwerken noch mehr Wärme und Strom erzeugen, sagte Schauff weiter in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung. In anderen Ländern ist das bereits länger der Fall. Im Kraftwerk Amer von RWE in den Niederlanden werden Holzpellets bereits zu 80 Prozent zur Gewinnung von Strom genutzt. Dies reduziert die CO₂-Emissionen um rund 2,4 Millionen Tonnen jährlich. Ein Vorschlag von Schauff: Deutschland könnte seine Steinkohlekraftwerke auf holzbasierte Biomasse umrüsten und so nach dem Kohleausstieg, insbesondere in hocheffizienten KWK-Anlagen, emissionsarm Strom in den bereits vorhandenen Kraftwerken produzieren. Laut Schätzungen des Forums Nachhaltige Holzenergie könnte dies bis zu vier Gigawatt (vier Milliarden Watt) jährlich bereitstellen.


Die Kosten für die Umrüstung eines Kohlekraftwerks auf Biomasse in Form von Holzpellets liegen in der Größenordnung von rund 300 Euro pro Kilowatt und sind weitestgehend unabhängig vom Kraftwerksalter (zum Vergleich: zwischen 800 Euro/kW bis 1100 Euro/kW bei Gas- und Dampfkraftwerken). Es ist jedoch zu beachten, dass die Kosten je nach Standort variieren können und ein Umbau an manchen Standorten unwirtschaftlich wäre. 


In der Industrie würde nachhaltige Holzenergie dafür aber maßgeblich zur Dekarbonisierung, also zur Reduzierung von CO₂-Emissionen beitragen, so Schauff. Zum Beispiel in der Kalk-, Zement-, Stahl- und Chemieindustrie, welche äußerst viel CO₂ emittieren. Denn Holz kann industrielle Prozesswärme liefern und so die fossilen Energieträger ersetzen. Insbesondere für den Mittel- und Hochtemperaturbereich gebe es derzeit und in naher Zukunft auch keine Alternativen zur Biomasse, so Schauff gegenüber der Berliner Zeitung.

Biomasse könnte auch Brennstoffe „defossilisieren"

Langfristig könnte Biomasse einen großen Beitrag zur Defossilisierung leisten, also zur Umstellung bestimmter Bereiche von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Alternativen. Vor allem im Bereich der grünen Kraftstoffe: „E-Kerosin für die Luftfahrt und Bio-Methanol-Kraftstoffe für die Schifffahrt werden langfristig die Defossilisierung der Lieferketten voranbringen", sagte der Manager des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research, Hans Koenig, der Berliner Zeitung. Denn es werde auch zukünftig Bereiche geben, die nur sehr schwer oder gar nicht elektrifiziert werden könnten, wie zum Beispiel der Flugverkehr oder die Schifffahrt. „Hier müssen fossile Energieträger wie Öl oder Gas durch Brennstoffe ersetzt - defossilisiert - werden, die aus erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie und eben auch Biomasse hergestellt werden können", so der Experte.


Ein großer Vorteil der Holzenergie ist neben der Nachhaltigkeit und den potenziellen Anwendungsbereichen die Verfügbarkeit. Laut Annahmen des Umweltbundesamtes und des Deutschen Biomasseforschungszentrums stehen zwischen 22 und 30 Millionen Tonnen Holz jährlich für den energetischen Verbrauch zur Verfügung. Die regionale Wertschöpfung könnte laut dem Forum Nachhaltige Holzenergie außerdem durch überregionale Ströme gestützt werden. Zudem legt eine Studie der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg nahe, dass selbst unter hohen Anforderungen an Biodiversitätsschutzmaßnahmen und Naturschutzleistungen fast ein Drittel mehr Holz aus Deutschland genutzt werden könnte.

„Doch die derzeitige Diskussion um die Regulierung behindert die volle Ausnutzung des Potenzials zur Nutzung nachhaltiger Holzenergie", sagte Frank Schauff der Berliner Zeitung.


Diskutiert werden allerdings auch die Wirkungen auf Mensch und Umwelt durch den Anbau von Biomasse. Die Bioenergie hat zwar eine bessere Treibhausgasbilanz als fossile Energie, verändert aber auf Dauer die nationale und globale Landnutzung.


„Carbon Capture" als weitere Maßnahme

Der Leiter des Hauptstadtbüros des Bundesverbands der Deutschen Kalkindustrie, Philip Nuyken, zeigte im Gespräch mit der Berliner Zeitung Potenziale der Biomassenutzung in seiner Branche auf. Die Kalkindustrie ist eine CO₂-intensive Grundstoffindustrie, deren Produkte für die Herstellung von Glas, Stahl oder pharmazeutischen Produkten essenziell sind. „Biomasse in Form von Resthölzern kann uns die industrielle Prozesswärme liefern, die für unsere Hochtemperaturprozesse vonnöten ist." Die Elektrifizierung sei dabei bisher keine technisch machbare Option. Aktuell würden noch vornehmlich fossile Energieträger eingesetzt, sagt Nuyken.


Darüber hinaus hält Nuyken „Carbon Capture and Storage" (CCS), also das Abscheiden und Speichern von Kohlenstoffdioxid unter der Erde, für die Produktionsprozesse für notwendig. Das CCS-Verfahren gilt als entscheidende Technologie, um die Netto-CO₂ -Emissionen schnell zu senken. Dies ist in Deutschland allerdings rechtlich noch nicht möglich. „Die Kalk-, Zement- und Abfallwirtschaft ist aber auf jeden Fall darauf angewiesen", sagte Nuyken der Berliner Zeitung. Er rechne mit einer Klärung der Transport- und Exportfragen noch in dieser Legislaturperiode. Denn die Ampel-Regierung und Wirtschaftsminister Robert Habeck zeigen sich inzwischen offen für die CO₂-Technologie, die von den Grünen lange Zeit vehement abgelehnt wurde. Philip Nuyken ist überzeugt: Das wäre ein wichtiges Zeichen für ganzheitlichen Klimaschutz und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

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