Polina Scherebzowa wuchs in den Ruinen des Sowjetimperiums auf. 1994 brach in ihrer Heimatstadt Grosny der erste Tschetschenienkrieg aus - und die damals neunjährige Polina begann ihr Tagebuch. Zehn Jahre lang notierte sie den Wahnsinn des Krieges. Hunger, Kälte - und Schikanen, die ihre Familie nach Krieg in Grosny erlebte. Als "Polinas Tagebuch", das jetzt ins Deutsche übersetzt worden ist (aus dem Russischen von Olaf Kühl, Rowohlt, Berlin, 576 S., 22,95 €) in Russland erschien, wurde Scherebzowa mehrfach verfolgt, bedroht und überfallen. Seit zwei Jahren lebt sie im politischen Exil in Finnland. Ein Skype-Gespräch.
Die Welt: Wenn man Ihr Tagebuch liest, denkt man immer wieder: Ein Wunder, dass Sie noch leben!
Polina Scherebzowa: Ich kann meinen Geburtstag im Prinzip jeden Monat mehrmals feiern, so oft bin ich beinahe gestorben, zum Beispiel am 21. Oktober 1999. Auf dem Markt, auf dem meine Mutter und ich gearbeitet haben, schlug eine riesige Rakete ein. Viele Menschen wurden buchstäblich zerfetzt. Einer hochschwangeren Tschetschenin in meiner Nähe, die Sauerkraut verkaufte, wurde der Kopf abgerissen, und so saß sie dann da, ohne Kopf. Ich bin losgerannt. Aber die Explosion war noch nicht vorbei. Diese Rakete war irgendwie so gebaut, dass ihre kleinen Teile immer wieder neu explodierten. Ein riesiger Splitter flog in meine Richtung. In diesem Moment verstand ich, dass ich verloren war. Es gab einen heftigen Schlag, und ein Splitter schlug in eine Mauer neben meinem Kopf ein. Kleine Splitter prasselten tief in meine Beine. Ich bin mir sicher, dass ich eigentlich in diesem Moment hätte sterben müssen, aber Gott hat gesehen, dass ich mein ganzes Leben in diesen wenigen Sekunden neu durchdacht habe, und er gab mir noch eine Chance.
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