Die zwölfseitige Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP liegt vor und auf queerpolitischer Ebene sind die Ergebnisse ziemlich vielversprechend. Unter anderem sollen das sogenannte Transsexuellengesetz, das Abstammungsrecht und das Familienrecht an die „gesellschaftliche Realität angepasst" werden. Wie das konkret aussehen soll, steht in dem Papier zwar nicht, aber Grünen-Politiker Sven Lehmann kündigte bereits an, dass mit der Ampelkoalition in Sachen Queerpolitik ein Aufbruch möglich sei.
Auch Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) betont, dass die Union sich queeren Themen „konsequent in den Weg gestellt" habe, um das sogenannte „christliche Weltbild als Status Quo zu zementieren". Die Ampelkoalition hingegen verspreche hingegen eine „queerpolitische Revolution".
Ergänzung von Artikel 3 des GrundgesetzesEinige Schwachstellen gibt es dennoch. So soll Art.3 Abs. 3 des Grundgesetzes zwar um ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der „sexuellen Identität" ergänzt werden, dabei wird die geschlechtliche Identität allerdings außer Acht gelassen. „Es ist großartig, was alles in das Sondierungspapier von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und SPD gekommen ist. Eine Vielzahl an geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von queeren Menschen in Deutschland", sagt Christian Gaa, Initiator der Initiative und Kampagne „Grundgesetz für alle".
„Allerdings gibt es eine Sache, wo ich und wir reingrätschen müssen und das betrifft Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. In der Ergänzung wird explizit aktuell nur die sexuelle Identität gefordert und das ist problematisch."
Denn dadurch werde lediglich das „LGB" von „LGBTIQ+" geschützt, während Trans- und Intergeschlechtlichkeit und geschlechtliche Vielfalt allgemein nicht abgedeckt würden. „Das Merkmal Geschlecht wird nach wie vor binär gedacht und Menschen, die dem nicht entsprechen, genießen dementsprechend keinen Schutz."
Stattdessen bräuchte es eine Ergänzung im Grundgesetz um die sexuelle sowie die geschlechtliche Identität. Diese Erkenntnis baue nicht „auf irgendeinem Bauchgefühl auf", sagt Gaa, sondern auf den Stellungnahmen von Rechtsexpertinnen, die betonen, dass die Ergänzung sexuelle Identität nicht ausreiche, um die vielfältigen geschlechtlichen Identitäten durch das Grundgesetz zu schützen. „Diese Erkenntnis darf nicht ignoriert werden."
[Wer mehr über queere Themen erfahren will: Der Tagesspiegel-Newsletter Queerspiegel erscheint monatlich, immer am dritten Donnerstag. Hier kostenlos anmelden]Julia Monro von der dgti kritisiert außerdem, dass im Zusammenhang mit dem Transsexuellengesetz von einer „Anpassung" und nicht von einer „Abschaffung" die Rede ist. Zahlreiche Verbände und Aktivist*innen machen sich seit Jahren dafür stark, dass das diskriminierende Gesetz endlich durch ein Selbstbestimmungsrecht ersetzt wird. Außerdem sei die Gesundheitsversorgung von trans Personen „komplett unerwähnt geblieben", sagt Monro.
Diskriminierungsfreies AbstammungsrechtAuch im Bereich Abstammungsrecht gibt es noch Konkretisierungsbedarf. So ist in dem Sondierungspapier bisher lediglich die Rede davon, dass das Familienrecht an die „gesellschaftliche Realität angepasst" werden soll. „Das ist insgesamt ja etwas vage, lässt sich aber gut mit Inhalten füllen", sagt Cristin G. von der Initiative Nodoption. „Ein diskriminierungsfreies Abstammungsrecht würde bedeuten, es umfangreich zu reformieren. Alle Regenbogenfamilienkonstellationen müssen damit rechtlich abgesichert sein."
Abgesehen davon, dass die Geschlechtszugehörigkeit und der Personenstand der Eltern keine Rollen spielen dürften bei der Eltern-Kind-Zuordnung, sollte es auch keine Rolle spielen, wie das Kind gezeugt wurde- „ob durch private oder offizielle Samenspende." „Ebenso ist es wirklich wichtig, dass auch unverheiratete gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam Eltern sein können", sagt Cristin G. „Diese werden aktuell zusätzlich finanziell benachteiligt, etwa durch die Nichtberücksichtigung beim Elterngeld."
Tritt eine Reform schon bald in Kraft?In einem Interview mit dem Tagesspiegel haben die Grünen-Abgeordneten Sven Lehmann und Ulle Schauws nun in Aussicht gestellt, dass eine Reform bereits im kommenden Jahr in Kraft treten könnte. Cristin G. hält es für schwierig einzuschätzen, inwiefern das realistisch ist. Hilfreich könnte allerdings sein, dass bereits einige Gesetzentwürfe vorliegen, auf denen aufgebaut werden könnte. „Das stimmt mich auch sehr optimistisch, dass unser Gang vor die Gerichte schneller obsolet wird als wir noch vor einem Jahr vermutet hatten." In jedem Fall sei eine Reform aber „sowas von überfällig und am besten gestern schon umgesetzt."
Mehr Klarheit darüber wie die Anpassung von Transsexuellengesetz, Abstammungsrecht und Familienrecht konkret aussehen könnte, dürfte ein Koalitionsvertrag bringen.