Es ist eine juristische Sensation: Nach Jahren der rechtlichen Diskriminierung könnte sich endlich grundlegend etwas an der Situation vieler Familien in Deutschland ändern. Die Ehepartnerinnen Verena Akkermann und Gesa Teichert-Akkermann wollten die Benachteiligung von sogenannten Regenbogenfamilien gegenüber heterosexuellen Paaren im Abstammungsrecht nicht länger hinnehmen und zogen vor Gericht - mit Erfolg: Ihr Fall liegt nun beim Bundesverfassungsgericht. Ein Grundsatzurteil aus Karlsruhe könnte nicht nur den Akkermanns rechtlich zugutekommen, sondern auch zahlreichen weiteren Familienkonstellationen, die durch das bislang gültige Abstammungsrecht diskriminiert werden.
Die Ausmaße dieser systematischen Benachteiligung zeigt gerade der Fall der Akkermanns exemplarisch. Im Februar 2020 brachte Gesa Teichert-Akkermann ihre Tochter Paula auf die Welt. Rein rechtlich gesehen, so steht es auch in der Geburtsurkunde, hat Paula nur einen Elternteil: ihre Mutter Gesa Teichert-Akkermann. Deren Partnerin, Verena Akkermann, wird nicht - anders als es bei heterosexuellen Paaren rechtlich möglich und auch gängige Praxis ist - automatisch als zweiter Elternteil beim Standesamt eingetragen. Denn laut dem geltenden Abstammungsrecht wird die Person, die das Kind zur Welt bringt, als „Mutter" eingetragen und als zweiter Elternteil kommt ausschließlich ein „Vater", also ein Mann, in Frage. Das Gesetz sieht somit zwei Mütter ebenso wenig als Eltern vor wie zwei Väter. Der zweite Elternteil, in diesem Fall Verena Akkermann, hat lediglich die Möglichkeit, ihr Kind im Rahmen einer sogenannten Stiefkindadoption zu adoptieren.
Diese rechtliche Benachteiligung gegenüber heterosexuellen Paaren erleiden potentiell alle Regenbogenfamilien hierzulande. Der schillernde Begriff „Regenbogenfamilie" beschreibt neben homosexuellen Familien auch jene, in denen einer oder mehrere Elternteile trans- oder intergeschlechtlich sind. An statistisch repräsentativen Zahlen, wie viele Regenbogenfamilien genau in Deutschland leben, mangelt es. Schätzungen des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) zufolge soll es bundesweit rund 12 000 Haushalte geben, in denen gleich- oder transgeschlechtliche Paare mit Kindern leben.[1]
Doch diesen Familienkonstellationen mangelt es immer noch an Sichtbarkeit, denn Cis-Geschlechtlichkeit,[2] Heterosexualität und Monogamie gelten als gesellschaftliche Norm. Und weil das Bild der traditionellen Kleinfamilie nach wie vor gesamtgesellschaftliche Vorstellungen von Familie prägt, sind davon abweichende Konstellationen häufig Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt. Viele müssen sich ihren Herkunftsfamilien oder ihrem sozialen Umfeld gegenüber rechtfertigen und die Entwicklungschancen ihrer Kinder werden oft per se zur Debatte gestellt. Dabei gibt es inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Studien, die belegen, dass es Kindern in Regenbogenfamilien keinesfalls schlechter geht als jenen in anderen Familien. Demnach gibt es bei ihnen, anders als oft behauptet, keinerlei Anhaltspunkte für eine erhöhte Neigung zu Depressionen.[3] Auch ist in Regenbogenfamilien beispielsweise die Care-Arbeit meist gleichberechtigter aufgeteilt. Eine vermeintlich „typische" Arbeitsteilung, wie sie bei heterosexuellen Paaren noch immer häufig der Fall ist, findet sich bei Regenbogenfamilien nur selten. Das kann dazu führen, dass Kinder dieser Familien ihre Lebensgestaltung freier wählen. Viele von ihnen interessieren sich so für Berufsfelder, die stereotyperweise nicht dem eigenen Geschlecht zugeordnet werden.[4]
Jahrzehntelange DiskriminierungDessen ungeachtet reicht die Diskriminierung von Regenbogenfamilien hierzulande weit zurück: Bis in die 1990er Jahre wurde lesbischen Paaren sogar das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Dafür genügte bereits die Behauptung von Nachbar*innen oder Lehrer*innen gegenüber dem Jugendamt, dass der „Lebenswandel" der Mutter angeblich das „sittliche Wohl" des Kindes gefährde.[5]
In den vergangenen Jahren hat sich die gesellschaftliche Situation von Regenbogenfamilien glücklicherweise etwas verbessert: Seit Oktober 2017 können auch gleichgeschlechtliche Paare die Ehe eingehen - und damit auch gemeinsam ein Kind adoptieren. Neben Adoption und Pflegschaft gibt es außerdem die Möglichkeit, Reproduktionstechnologien wie In-vitro-Fertilisation oder Samenspende in Anspruch zu nehmen. Dennoch besteht nach wie vor Handlungsbedarf, vor allem auf politischer Seite: So werden Familien mit mehr als zwei Elternteilen nicht anerkannt, obwohl die gesellschaftliche Realität vieler Familien genau das erfordern würde: Statistisch gesehen nimmt die Zahl queerer Mehrelternfamilien und Patchworkfamilien zu.[6]
Vor allem aber mit Blick auf das Abstammungs- und Adoptionsrecht sind Regenbogenfamilien gegenüber heterosexuellen Paaren weiterhin massiv benachteiligt. Denn anders als bei den Akkermanns wird bei heterosexuellen Paaren der männliche Ehepartner automatisch als Vater eingetragen, wenn er zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist - selbst, wenn er nicht der biologische Vater sein sollte. Und auch bei unverheirateten heterosexuellen Paaren kann der Mann die Vaterschaft ohne großen Aufwand anerkennen lassen, indem er bekundet, Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Bei heterosexuellen Paaren spielt die biologische Abstammung also de facto kaum eine Rolle, während sie im Kontext queerer Familien benutzt wird, um diese systematisch zu diskriminieren.
Die Elternschaft gesetzlich nicht an die biologische Abstammung zu knüpfen, ist rechtlich üblich - und auch den Lebensrealitäten vieler Menschen angemessen. Ein heterosexuelles Paar kann sich beispielsweise für eine Samenspende oder nach einem Seitensprung dazu entscheiden, ein Kind gemeinsam großzuziehen - ohne dass dem sozialen Vater Steine bei der Anerkennung seiner Vaterschaft in den Weg gelegt werden. Bei queeren Familien gilt das jedoch nicht: Sie scheitern bei der Anerkennung der Elternschaft an Paragraph 1592 BGB, wonach der Vater eines Kindes unter anderem der Mann ist, „der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist" oder „der die Vaterschaft anerkannt hat". Das Gesetz nimmt also insbesondere lesbische Paare, aber auch Menschen mit dem Geschlechtseintrag divers oder transgeschlechtliche Personen von dieser Regel aus.
Die Forderung nach einer "Adoption für alle"Die Akkermanns und andere Regenbogenfamilien wollen sich diese Diskriminierung im Abstammungsrecht nicht länger gefallen lassen und sind deshalb vor Gericht gezogen. Ihre Klagen legen auch eine Lücke bei der rechtlichen Regelung der „Ehe für alle" offen: Bei deren Einführung im Jahr 2017 wurden lesbische Paare in der Frage der Co-Mutterschaft nicht mit heterosexuellen Paaren gleichgestellt - und das obwohl mehr als 90 Prozent aller Kinder in Regenbogenfamilien bei zwei Müttern leben. Diese rechtliche Benachteiligung geht in allererster Linie zu Lasten der Kinder: Während Kinder von heterosexuellen Ehepaaren automatisch zwei Elternteile haben und damit beispielsweise Unterhalt oder erbrechtliche Ansprüche geltend machen können, fehlen Kindern aus Regenbogenfamilien diese rechtlichen Absicherungen. Da sie laut Geburtsurkunde nur einen Elternteil haben, gehen sie gegenüber dem anderen Elternteil im Zweifelsfall leer aus.
Einen Ausweg bietet in einem solchen Fall bislang lediglich die Stiefkindadoption. Allerdings birgt das dafür erforderliche Adoptionsverfahren enorme Hürden und Herausforderungen. Meist zieht sich die Adoption über mehrere Monate oder sogar Jahre hin und wird von den betroffenen Familien als belastend empfunden.[7] So besuchen Jugendämter die Familien regelmäßig, um Berichte über deren Zusammenleben zu verfassen, und Gerichte dürfen Dokumente zum Gesundheitszustand der Eltern oder zu deren finanzieller Lage einfordern.
Ein besonderer Aspekt kommt hinzu: Ursprünglich ist das in Deutschland übliche Adoptionsverfahren für Familien gedacht, bei denen ein neuer Elternteil in eine bestehende Familie aufgenommen wird, wenn also jemand das Kind einer neuen Partnerin oder eines neuen Partners adoptieren möchte. Bei queeren Familien, wo Paare sich gemeinsam dazu entscheiden, ein Kind zu bekommen, erscheint die Anwendung dieses Verfahrens hingegen absurd. Schließlich bringt niemand ein Kind aus erster Beziehung in eine weitere Beziehung, sondern zwei Personen entscheiden sich gemeinsam für ein Kind.
Beendet Karlsruhe die rechtliche Diskriminierung?In diesem Licht erscheint eine Reform des Abstammungsrechts umso dringlicher. Den Handlungsbedarf haben offenbar auch jene Politiker*innen erkannt, die in den vergangenen Jahren verschiedene Reformversuche initiierten. Bisher verliefen jedoch sämtliche dieser Anläufe im Sand - so etwa der Diskussionsentwurf der damaligen SPD-Justizministerin Katarina Barley, der unter anderem die Einführung einer „Mitmutterschaft" vorsah. Auch ein Gesetzentwurf der Grünen, der darauf abzielte, Kinder in lesbischen und heterosexuellen Partnerschaften im Abstammungsrecht gleichzustellen, wurde zu Beginn des vergangenen Jahres im Bundestag mehrheitlich abgelehnt.
Dies nahmen einige Regenbogenfamilien zum Anlass, um ihr Anliegen den Gerichten vorzulegen - unter ihnen die Akkermanns. Die Anträge der beiden Frauen wurden von den Amtsgerichten Hildesheim und Hannover zunächst zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschied jedoch daraufhin, dass das Abstammungsrecht die Grundrechte der Eltern und Kinder verletze, setzte das Verfahren aus und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht vor.
Dem OLG zufolge verstößt das Abstammungsrecht gegen das Recht der Eltern und der Kinder auf elterliche Pflege und Erziehung, wie es in Artikel 6, Abschnitt 2 des Grundgesetzes festgelegt ist. Außerdem verletze die fehlende rechtliche Anerkennung der Mutter Verena Akkermann das Recht auf Gleichbehandlung und das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung (Artikel 3 Abs. 1 GG).[8]
Die Entscheidung aus Celle ist mutig und wegweisend zugleich. Das zeigte sich bereits am darauffolgenden Tag, als das Berliner Kammergericht in einem ähnlich gelagerten Fall genauso entschied. Das Bundesverfassungsgericht könnte nun nicht nur die Situation zweier Familien grundlegend verbessern, sondern auch die verfassungswidrige Diskriminierung queerer Familien ein für alle Mal beenden. Zugleich tragen die Urteile aus Celle und Berlin dazu bei, dass das Thema Regenbogenfamilien in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert wird. Presseberichte und der Austausch in den sozialen Medien geben Regenbogenfamilien größere gesellschaftliche Sichtbarkeit und machen zugleich deutlich, dass die herrschende Gesetzeslage der Lebensrealität vieler Familien hierzulande nicht gerecht wird.
Gleichzeitig nimmt auch der politische Druck zu: Bereits im Anschluss an die Entscheidung des OLG Celle kritisierte Ulle Schauws, queerpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, dass die Gerichte „ausbaden" müssten, was „die Politik der Großen Koalition" vermasselt habe. Auch Berlins grüner Innensenator Dirk Behrendt erklärte, dass eine Reform des Abstammungsrechts längst überfällig sei. Er verwies dabei auf einen Antrag zur Stärkung der Rechte lesbischer verheirateter Paare, den das Land Berlin Ende März gemeinsam mit dem Land Thüringen in den Bundesrat eingebracht hatte und der nun in den Fachausschüssen verhandelt wird. Darüber hinaus verfassten die FDP-Abgeordneten Jens Brandenburg und Katrin Helling-Plahr einen Brief an Justizministerin Christiane Lambrecht. Darin forderten sie die SPD-Politikerin auf, noch in dieser Wahlperiode eine Reform des Abstammungsrechts auf den Weg zu bringen. Diese solle die Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren beenden und sicherstellen, dass kein Elternteil auf dem Rücken der Kinder ausgebootet werde.
Die Antwort aus dem Justizministerium fiel allerdings ernüchternd aus: Die große Koalition werde sich des Themas vor der Wahl nicht mehr annehmen: „Trotz intensiver Bemühungen" bestünden innerhalb der Regierung „unterschiedliche Auffassungen" über die Inhalte des Reformversuchs, die bislang nicht aufgelöst werden konnten.
Somit müssen die Betroffenen ihren Kampf gegen die Diskriminierung im Abstammungsrecht bis auf weiteres vor Gericht fortsetzen. Spätestens aber die nächste Bundesregierung sollte nicht ebenfalls auf ein Urteil aus Karlsruhe warten, sondern selbst eine Reform initiieren. Der Bundestag hätte dann die Gelegenheit, jene gesellschaftliche Vielfalt rechtlich zu schützen, die in vielen Familien längst gelebter Alltag ist.