Floriana Frassetto ist Gründungsmitglied der Schweizer Maskentheatergruppe Mummenschanz, die Ende Dezember im Metropoltheater gastiert. Frassetto reist seit 46 Jahren mit der Pantomimentruppe um die ganze Welt.
Frau Frassetto, seit fast 50 Jahren bereisen Sie mit Ihrem Maskentheater Mummenschanz die Welt. Erleben Sie manchmal das Gefühl von Monotonie? Oder begeistert Sie jeder Auftritt aufs Neue?
Floriana Frassetto: Ich werde nicht müde, auf die Bühne zu gehen und zu spielen. Seit zwei Jahren sind wir nun mit unserem Programm „You & Me" auf Tournee. Wir haben allein in der Schweiz 120 Vorstellungen aufgeführt, in Nordamerika waren es über 200. Kein Abend ist gleich, jede Show rührt mich auf ihre Art und gibt mir etwas zurück.
Sie haben Ende der 60er-Jahre Schauspiel in Rom studiert und dort Tanz, Akrobatik und Pantomime bei Roy Bosier gelernt. Wie ist Mummenschanz danach entstanden?Nach dem Studium habe ich in verschiedenen Pantomimen- und Theaterproduktionen mitgewirkt. Eines Abends, 1970 war das, hat mich Roy zu „Avant et Perdu", der Show der Schweizer Clowns Bernie Schürch und Andres Bossard, mitgenommen. Der Abend hat mein Leben verändert. Ich blieb mit beiden in Kontakt, in Paris haben wir uns später wiedergetroffen - dort haben sie mir die Technik des Maskenspiels beigebracht. Gemeinsam wollten wir experimentieren, improvisieren und einen anderen Zugang zum Publikum finden. 1972 ist daraus Mummenschanz erwachsen. Wir dachten nicht, dass wir auch nur einen Tag länger als eine Woche, vielleicht einen Monat bestehen. Hier bin ich nun, 47 Jahre später.
Wie lässt sich Mummenschanz beschreiben?Mummenschanz ist eine visuelle Form der Darstellung, eine Art modernes Commedia dell'arte. Wir übersetzen gesprochenes Theater in eine stille Version, arbeiten mit Masken, Objekten, Kostümen und Pantomime.
Woher rührt Ihre Faszination für stilles Theater?Ich war eine sehr schüchterne junge Frau. Ich habe mit Sprechtheater angefangen, dann aber schnell gemerkt, dass ich mich in einer stillen Umgebung wohler fühle. Ich habe Marcel Marceau und seine Pantomime vergöttert, wollte wie er sein und wusste gleichzeitig: Ihm das Wasser zu reichen ist unmöglich.
War das Spiel mit der Maske Ihre Art, sich als schüchterne Frau zurückzunehmen, sich gar zu verstecken?Zu Beginn hatte ich das Gefühl, mich hinter den Masken verstecken zu können, ja. Erst sehr viel später habe ich gemerkt, dass mich das Spiel mit der Maske nicht verhüllt, sondern entkleidet. Eine Maske kann einen großen Teil deiner Persönlichkeit offenbaren.
Mummenschanz kommt ganz ohne Sprache, ohne Musik und Bühnendekor aus. Warum haben Sie sich für eine reduzierte Kunstform entschieden?Wir treten auf der ganzen Welt auf. Würden wir mit Sprache arbeiten, müssten wir sie ständig verändern und anpassen, damit das Publikum des jeweiligen Landes das Gesagte verstehen kann. Das ist aufwendig. Wir machen Theater, das für alle Menschen gleichermaßen zugänglich ist. Das Alter, der kulturelle Hintergrund und die Sprache spielen keine Rolle. Stille ist international, Fantasie und Gefühl auch.
Gilt das nicht auch für Musik?Der Sound des Publikums, ihr Klatschen und Lachen, ist unsere Musik. Nach einer Show sagt vielleicht einer von hundert Zuschauern: „Wie schade, dass es keine Musik gab." Der Rest hingegen sagt: „Endlich mal wieder ein bisschen Ruhe."
Braucht unsere Gesellschaft heute solch eine Form des Theaters?Es ist schön, mal wieder den eigenen Herzschlag zu hören. Eine laute Welt braucht leise Kunst. Ich möchte die Menschen den Alltag für kurze Zeit vergessen lassen, indem ich sie in die intime und schöne Welt der stillen Fantasie entführe. Die Verspieltheit unserer Figuren und Masken regen Gefühle und eine innere Kreativität an, die uns seit unseren Kindheitstagen oftmals verloren gegangen sind. Es gibt Stücke, deren Inhalt man nach drei Tagen wieder vergessen hat. Ich kenne Zuschauer, die sich auch nach fünf oder zehn Jahren noch an viele Details aus unserer Show erinnern können.
Es ist noch gar nicht lange her, dass ein Generationenwechsel bei Mummenschanz stattgefunden hat. Mittlerweile sind Sie als letztes aktives Gründungsmitglied mit verjüngter Gruppe und neuem Programm unterwegs.Ja, vor sieben Jahren entschied sich Mitgründungsmitglied Bernie Schürch dazu, aufzuhören. Andres Bossard ist 1992 leider zu früh verstorben. Ich habe selbst lange überlegt, ob ich weitermachen möchte, oder nicht - ich bin nicht mehr die Jüngste. Ich habe mich aber dafür entschieden und für die neue Show „You And Me" vier großartige, junge Schauspielerinnen und Schauspieler aus der Schweiz engagiert, die seitdem mit mir auf Tour gehen. Jeder von ihnen bringt neue Emotionen und Kunstfertigkeiten mit, die das Stück bereichern.
Hat sich der Stil von Mummenschanz seitdem verändert?Mummenschanz bleibt sich bis heute treu. Das Programm variiert, wir nehmen neue Masken und Gegenstände ins Repertoire, bekommen in ganz alltäglichen Situationen neue Ideen. Der Kern aber bleibt gleich: Mummenschanz ist poetisch, interaktiv, humorvoll und ironisch.
Was ist die Voraussetzung, um im Ensemble mittun zu können?Wir sind viel unterwegs: Sie müssen die internationale Küche lieben und sich mit harten Hotelmatratzen arrangieren können.
Sie blicken auf ein dreijähriges Gastspiel am Broadway in New York zurück, hatten einen Auftritt in der „Muppet-Show" und in der „Sesamstraße", haben mit Mummenschanz die ganze Welt bereist. Gibt es noch Träume? Etwas, das Sie unbedingt noch erreichen wollen?Ich träume von weniger Egoismus in der Welt, von Frieden und mehr Miteinander. Aber ich fürchte, darauf habe ich mit meinem Theater keinen Einfluss. Was wir tun können, ist Trost zu spenden. Einen Abend in unserer Show ist ein Abend voller Liebe, Fantasie und Hoffnung.
Die Fragen stellte Imke Wrage. Zur PersonFloriana Frassetto
stammt aus Norfolk, Virginia. Die Tochter italienischer Einwanderer hat 1972 die Theatergruppe Mummenschanz mitgegründet. Mummenschanz steht für reduziertes Maskentheater, eine Mischung aus Pantomime und Figurentheater.
Weitere InformationenAm 28. und 29. Dezember gastiert das Theater Mummenschanz jeweils um 20 Uhr im Bremer Metropoltheater.
Zum Original