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Athletinnen der Jagd

In einer Höhle in Norwegen ist ein mit Pfeil und Bogen jagender Mann abgebildet. Die Malerei ist 5000 Jahre alt und Experten sehen darin einen Vorläufer des Biathlonsport. Pfeil und Bogen wurden im Lauf der Zeit gegen ein leichtes Kleinkalibergewehr getauscht. Die Herausforderung in der Jagd auf Skiern ist die gleiche geblieben: Es geht darum, Ausdauer und Präzision zu vereinbaren. Und genau das liegt den drei Gasparin Schwestern aus dem Engadin. Aber die Trophäe, die unsere drei Athletinnen verfolgen, ist Gold - und 2014 soll es nicht irgendein Gold sein, sondern Olympiagold. Das mag nicht für alle drei möglich sein, aber alle drei wollen sich auf die Jagd machen!

Selina, die älteste der Gasparin Schwestern, gilt als Pionierin im Schweizer Damen Biathlon und als führende Biathletin in der Schweiz. Sie wechselte 2004 vom Skilanglauf zum Biathlon und stieg 2010 in den Schweizer Skiverband Swiss-Ski auf. Noch im selben Jahr trat sie als erste Schweizer Biathletin in Vancouver zur Olympiade an. Mittlerweile gibt es sechs Biathletinnen im Swiss-Ski - darunter die drei Schwestern Gasparin. Aita (19), die jüngste von ihnen, startet noch in der Juniormannschaft, Elisa (22) und Selina (29) in der Damenmannschaft. Es liegt auch an den geographischen Eigenheiten ihrer Heimat, dass Sie einen der begehrten Plätze im Skiverband erlangt haben. Das Engadin bietet die perfekten Voraussetzungen für den Wintersport. Durch den regionalen Skiclub und den Schulsport waren die drei Gasparin Schwestern von Kindesbeinen an auf Langlaufskiern. Ihre Eltern sind durchschnittliche Freizeitsportler, also war es vermutlich der Sinn der Ältesten für den Wettkampf, der auch den Kampfgeist der Jüngeren entfacht hat. Als Teenager war Selina Organisatorin und Teilnehmerin ihrer eigenen Sport-Events im elterlichen Garten, in denen sie gegen ihre Schwestern antrat ... Stereotypen Dass der Biathlonsport vor der Ära Gasparin eine männliche Domäne war und es für ihre Mutter nicht selbstverständlich war, dass ein 14-jähriges Mädchen eine Waffe im Zimmer stehen hat, hat die drei nicht abgehalten. Sie lieben ihren Sport und verteidigen ihn - besonders wenn es um das verbreitete Klischée geht, dass, wer im Langlauf nicht gut sei, zu Biathlon wechsle. Schließlich ist im Biathlon neben der Präzision auch die Ausdauer gefordert. Das Klischée hält sich vielleicht auch deshalb so hartnäckig, weil der Biathlonsport in der Schweiz bisher eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Weltweit ist die Popularität seit den 1990er Jahren enorm gestiegen und seit der Jahrtausendwende zählt Biathlon zu den populärsten Wintersportarten. Damen Biathlon ist erst seit den Winterspielen in Albertville 1992 eine olympische Disziplin, entwickelte sich seither aber rapide.

Der große Traum Am ehesten hat Selina, die Älteste Gasparin-Schwester, eine Chance auf Olympiagold. Aber dabei sein wollen alle drei. Ihr großer Traum ist es, zu dritt zur Staffel anzutreten. Dazu ist zu wissen, dass alle drei Schwestern in allen Disziplinen antreten: Einzellauf, Sprint, Verfolgung, Massenstart, Staffel, gemischte Staffel und Mannschaftswettkampf. Wobei Stärken und Schwächen von Biathleten eher in den Faktoren Ausdauer und Präzision als in Disziplinen deutlich werden. Das liegt daran, dass der Start auch eine Sache der Qualifikation ist. Während in Einzellauf und Sprint jeder zugelassen ist, geht es in Verfolgung, Massenstart, Staffel und gemischter Staffel zunehmend um Potenzial. Ihr großer Traum, zu dritt zur Staffel anzutreten, wäre gleichbedeutend damit, dass sie drei der vier besten Damen aus dem Schweizer Team sind. Die einzig mögliche Steigerung dazu ist nur noch die gemischte Staffel, in der jeweils die zwei besten Damen und die zwei besten Herren einer Nation zugelassen sind. Realismus Zunächst geht es aber noch um die Qualifikation zu den Olympischen Spielen. Theoretisch haben alle drei die Chance in Sochi an den Start zu kommen, aber sie sind realistisch genug, um zu wissen, dass es sehr knapp wird. Ginge es allein nach dem Weltcup-Punktestand, dann stünde bereits fest, dass vier Athletinnen aus dem Schweizer Biathlon-Team nach Sochi fahren. Weil Swiss Olympic noch mal eigene Regelungen hat, ist die Qualifikation jedoch zusätzlich an einen zweifachen Top 25 Rang im Weltcup 2014/15 gebunden.

Selina ist eine kraftvolle Langläuferin, Elisa ein außerordentliches Talent im Schießen und Aita, die Jüngste, ist sowohl im Langlaufen als auch im Schießen gut.

Wenn sich die Schwestern qualifizieren, so gilt es in Sochi den traditionell stärksten Nationen - Norwegen, Deutschland, Russland - die Stirn zu bieten. Eine weitere Herausforderung sind die schwer einschätzbaren klimatischen Bedingungen. Sochi liegt in der südrussischen Provinz Krasnodar am Schwarzen Meer. Das Wetter ist wechselhaft und sowohl Regen als auch Frost sind möglich. Für die Biathletinnen kann das vom höchsten Punkt der Loipe bis zum tiefsten Punkt, sehr unterschiedliche Bedingungen bedeuten. Aber es gibt auch einen Vorteil für die Gasparin Schwestern in Sochi: Die Olympiaregion liegt auf einer Seehöhe von 1400 m. Das sind fast Trainingsbedingungen. Das Engadin liegt auf 1600 m Seehöhe. Dagegen trainieren die konkurrierenden Athletinnen zu Hause mehr oder weniger auf Seehöhe. Kreativität Die Schwestern widmen - abhängig von der Jahreszeit - täglich ca. vier Stunden dem physischen Training und eine Stunde dem Schießen. Selina hat in Norwegen Sport und Bewegungswissenschaften studiert und ist von Beruf Grenzwächterin. Da bei ihrem Arbeitgeber, dem Bund, Trainingszeit als Arbeitszeit gilt, steht sie tatsächlich selten an der Grenze und kann sich dem Spitzensport widmen. Elisa hat die Handelsmittelschule absolviert und ist Fitness-Trainerin, kann ihren Beruf aber, wie Selina, nur an gezählten Tagen im Sommer ausüben. Aita geht noch ins Gymnasium und hat ihre Schulzeit schon um ein Jahr verlängert, um ausreichend trainieren zu können. Im kommenden Frühjahr will sie zur Matura antreten. Als Mitglied der Juniormannschaft, hat Aita noch geringere Trainingsverpflichtungen. Verbringen ihre älteren Schwestern zwei Wochen pro Monat im nationalen Trainingszentrum in Realp, Innerschweiz, so ist es bei ihr bloß eine. In der verbleibenden Zeit haben Elisa und Selina einen Privattrainer im Engadin. Über die Trainingsbedingungen am Militärgelände in S-Chanf würden Athletinnen anderer Nationen lachen. Aber für die passionierten Schwestern tut es seinen Zweck. Es gibt dort einen Schießstand und viele kleine Straßen, auf denen sie Rollskifahren können. Darüberhinaus haben sie sich provisorische Trainingsbedingungen geschaffen - wie sie das früher schon im elterlichen Garten gemacht haben ...

Hildegard Suntinger

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